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  4. Inga Machels Trauerbuch „Auf den Gleisen“: Wenn es sich immer wie mitten in der Nacht anfühlt

Literatur Trauer-Roman

Wenn es sich immer wie mitten in der Nacht anfühlt

Literarischer Korrespondent
Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse: Die Autorin Inga Machel, geboren 1986, sitzt in einer Berliner S-Bahn. Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse: Die Autorin Inga Machel, geboren 1986, sitzt in einer Berliner S-Bahn.
Inga Machel, geboren 1986, lebt in Berlin
Quelle: Burak Isseven
Ein junger Mann verliert seinen Vater und damit den letzten Halt in seinem Leben. Inga Machel erzählt in ihrem für den Leipziger Buchpreis nominierten Debütroman von einem Schmerz, der alles auszulöschen droht.
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Es gibt Bücher, denen merkt man ihre Mangelhaftigkeit schon nach wenigen Seiten an. Da starrt jemand „aus betrunkenen oder irgendwie anders zugedröhnten Augen“ (als sei nicht der dazugehörige Mensch betrunken oder zugedröhnt). Oder im Ich-Erzähler ist „diese schmerzhafte Ansammlung, diese Zusammenrottung von Gewalt, die jeglichen Frieden ausgelöscht hatte“ (als wäre Gewalt nicht eine äußere Folge von inneren Zuständen). Oder der Tod des Vaters fühlt sich an „ein fremdes Organ in mir, und ich spürte, es musste raus“ (wie fühlen sich denn eigene Organe, sagen wir, Milz oder Niere an?). Solche Sätze gibt es viele in Inga Machels Debütroman, der vom Suizid eines Vaters erzählt und von der Trauer eines Sohnes.

Mangelhaftigkeit ist allerdings kein Kriterium für Literatur. Oder eben nur für eine Art von Literatur, die Makellosigkeit anstrebt: formale und stilistische Perfektion, stimmige Bilder, handwerklich saubere Konstruktion von Zeitebenen und Handlungssträngen und vor allem die sorgfältige Erfüllung von Genre-Regeln und Buchmarktgesetzen.

Im Falle eines Buchs über Verlust und Trauer – auch das ist ein Genre und kein erfolgloses –, verlangt dieser Kodex die angemessene Dosierung von Schmerz und Ausweglosigkeit, die Erfüllung der (verständlichen) Lesererwartung, eine aushaltbare, die Finsternis erhellende Story zu erzählen. Closure heißt das Zauberfremdwort. Bücher über den Tod erzählen vom Weiterlebenkönnen.

In der Berliner Drogenszene

„Auf den Gleisen“ erzählt vom Nichtweiterlebenwollen. Abgemildert wird nichts, der Schmerz wird allenfalls durch die Drogen gedämpft, die die Figuren einwerfen. Der Leser jedoch ist ihm ungefiltert ausgesetzt. Mario, der Ich-Erzähler, war schon zu Teenagerzeiten ein Säufer, nach der Selbsttötung seines Vaters verliert der Student in Berlin den letzten Halt. „Abgestürzt und versunken in einem Zustand, der mir wie der Tod oder eine Vorstufe davon vorkam. In dem der Schmerz so absolut war, dass er nicht nur mich, sondern alles andere auszulöschen schien … Und ich fand, genau so war es richtig.“

Inga Machel, Jahrgang 1986, die schon durch die Geschlechtswahl ihrer Figur eine platt autobiografische Lesart verhindert, lässt Mario durch eine dreckig-kaputte Großstadtwüste taumeln, zwischen Party- und Drogenszene, Afterhour-Strahlung und Ringbahnzentren-Terror. „Guten Morgen, Berlin, du kannst so hässlich sein“, besang Peter Fox diese Welt in „Schwarz zu Blau“. Bei Machel so: „Es war noch nicht Nacht, aber fühlte sich schon eine Weile lang so an. Der Himmel lag abgenutzt über dem See, an dessen Ufer, direkt gegenüber, ein betrunkener Mann eine betrunkene Frau schlug.“

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Der Plot, wenn man das so nennen will, ergibt sich durch eine Verfolgungsjagd, die Mario monatelang quer durch die Stadt an die Fersen eines Alt-Junkies heftet, den er nur P. nennt. Es ist nicht schwer zu kapieren, warum: P. ist eine Art Übergangsobjekt, eine Ersatzvaterfigur, die quasi in Zeitlupe jene Selbstzerstörung noch einmal vollzieht, die der lebensmüde und von seinen Medikamenten zermürbte Vater schließlich durch einen ICE exekutieren ließ. Mario folgt P. von dessen verranzter Wohnung in Reinickendorf zum Junkietreff, und von dort zur nächsten Fixerstube. Nie spricht er ihn an. Zwischendurch sprayt er Graffiti wie bunte Schreie ins Nirgendwo.

Parallel zu diesem sinn- und richtungslosen Elends-Stalking beschwört Mario das Leben seines Vaters (und der gefühlstauben Mutter) herauf, die Kleinbürgerhölle in der Provinz, die wenigen Augenblicke vermeintlichen Glücks und das Abdriften in Alkohol und Depression. Standardsatz des Vaters: „Ich bin nur von Idioten umgeben.“

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Die Zickzack-Touren von P. zum nächsten Schuss und die Gefühlsachterbahn des Vaters kennen nur eine Richtung: aufs Abstellgleis. Verbunden sind die Lebensirrwege beider durch die schuldhafte Passivität des Beobachters, seine Unfähigkeit, den trennenden Graben zu überwinden. Ob das Rettung bedeutet hätte? Von Liebe ist durchaus die Rede; Mario, der Psychologie in der mündlichen Abiturprüfung hatte („Thema Suizid, 15 Punkte“), weiß in seinen raren nüchternen Momenten selbst, wie viel davon Projektion ist.

„Auf den Gleisen“ ist für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Zu Recht? Man könnte leicht eine Mängelliste zu diesem Buch erstellen, schiefe Bilder und unklare Chronologie monieren, seine fett wie mit der Spraydose aufgetragene Melodramatik und ein selbstmitleidiges Suhlen im Elend.

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Damit aber würde man das Entscheidende an diesem Romandebüt verfehlen, die Kraft seiner Verzweiflung, seinen Sog, die finstere Energie. Es zeigt kranke, verletzte Seelen in „einem Horror von einem Zustand“ und zieht den Leser mit hinein. Das kann echte Literatur.

Inga Machel: „Auf den Gleisen“. Rowohlt, 160 Seiten, 22 Euro.

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