Die Geschichte des Künstlers, Illustrators und Aktivisten Zeev Engelmayer ist einzigartig. Weit über Israel hinaus ist er bekannt, vor allem als Illustrator und Comiczeichner. Doch vor sieben Jahren, im Jahr 2016, geschah etwas Seltsames, dem man vielleicht nicht gerecht wird, wenn man es als eine besonders eindrückliche Form von Performance-Kunst beschreibt: Engelmayer begann, sich in eine seiner eigenen Comicfiguren zu verwandeln.
Die Heldin heißt Shoshke, eines ihrer offensichtlichsten Merkmale ist ihre Nacktheit. Wenn Engelmayer zu Shoshke wird, trägt er ein Kostüm aus fleischfarbenem Stoff, mit Brüsten und Vagina. Was für manchen zunächst nach einem Witz klingen mag, ist vielschichtig und hat eine existenzielle Dimension: In der israelischen Demokratiebewegung der letzten Jahre spielt Shoshke eine zentrale Rolle.
Shoshke hat eine Funktion des Grenzüberschreitenden, wie sie sich nur aus der Kunst generieren lässt. Shoshke überklebt rassistische Plakate. Shoshke hat sich schon vor der Knesset mit roter Farbe übergießen lassen und die Aktion „blutende Demokratie“ genannt. Shoshke läuft bei den Protesten mit. Jeder kennt sie. Sie wird überall eingeladen.
Nach dem 7. Oktober aber ist Shoshke erst einmal verschwunden. Wenn er zu Shoshke werde, sagt Engelmayer im Gespräch, habe er das Gefühl, sehr viel von seinem künstlerischen Selbst an sie zu geben. Der Krieg habe ihm das Gefühl gegeben, sich selbst auf eine andere Weise zur Seite stellen zu müssen.
Die Bilder, die Engelmayer seit Massaker und Kriegsbeginn malt, können einem die Tränen in die Augen treiben. In warmen, hellen, kindlichen Farben entstehen Momente der letzten Monate, wie kleine glühende Kerne der Trauer und der Hoffnung.
Manchmal sind es, wie auf zweien der hier oben gezeigten Bilder, Szenen, die mit Stoffen arbeiten, die sich ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben: die Freilassung der 85-jährigen Yaffa Adar etwa, die Engelmayer übrigens gemalt hat, bevor sie tatsächlich freigelassen wurde.
Trauriges Lachen
Er habe das Bild von ihrer Entführung, auf dem sie mit Hamas-Terroristen in einem Pick-Up zu sehen war, einfach umgedeutet, sagt er – und sie auf dem selben Gefährt gezeigt, von Blumen und Tänzerinnen umgeben: „Großmutter Yaffa kommt nach Hause“.
Weil es fünf Tage später dann zu ihrer Freilassung kam, erzählt er, erreichten ihn immer wieder Anfragen, ob er Vermisste malen könne. Leider habe es über diesen Fall hinaus noch keine Wirkung gezeigt. Er erzählt es mit traurigem Lachen.
Ihn erreichen überhaupt sehr viele Anfragen, manchmal bis zu 300 am Tag, seitdem er als Zeev Engelmayer diese Art von Bildern malt. Eine Familie bat ihn, das Grab ihres Sohnes zu zeichnen, mit Blumen und Hippiesymbolen, weil es das war, was ihm gefiel.
Die Familien zweier Männer, die am 7. Oktober im Süden Israels fischen gewesen waren und ermordet wurden, baten ihn, die beiden beim Fischen zu malen. Und so redet und malt und reist Engelmayer, er lässt sich Geschichten erzählen und schafft einen kinderfarbenen Gedächtnisraum, schreibt ein und schreibt um.
Der Wandel, den der 7. Oktober in seinem Schaffen herbeigeführt hat, ist auch stilistisch bemerkenswert: Hatte er zumeist bevorzugt am Computer gezeichnet und waren seine Werke zuletzt verstärkt schwarz-weiß gewesen, hat er nun zu dieser neuen Farbigkeit gefunden, mit echten Farben auf echter Leinwand.
Und manchmal mit im wörtlichen Sinne herzzerreißendem Humor: Auf einem seiner Bilder vermisst ein Hund sein entführtes Herrchen und schlägt ein Vermisstenplakat an einen Baum.
100 einflussreichste Menschen Israels
Es ist interessant, dass dieser psychologische Transfer gleich zweimal hintereinander funktioniert: Nachdem viele Israelis jahrelang in Shoshke eine Art Maskottchen des anderen, des guten Israel gesehen haben (sie wurde sogar vom „Marker Magazine“ unter die 100 einflussreichsten Menschen Israels gewählt), wird nun das neue Werk Zeev Engelmayers über Nacht zum Resonanzraum des Schmerzes.
In dem auch Schmerz über das Leiden der palästinensischen Zivilisten in Gaza mithallt – „Eines Tages wird all das dir gehören“, lautet eine Inschrift auf einem von Engelmayers Bildern, es zeigt einen Vater mit seinem Sohn vor zerbombten Häusern. Ein anderes Bild von ihm spielt mit dem Spruch der Friedensbewegung „Araber und Juden weigern sich, Feinde zu sein“, indem er ihn umdichtet zu: „Kinder weigern sich, zu sterben.“ (Auf Hebräisch ergibt das etwas mehr Sinn als ins Deutsche übersetzt).
Wird Shoshke irgendwann wieder in Erscheinung treten? Freut sich Engelmayer über die diese Woche getroffene Entscheidung des Obersten Gerichts, die Justizreform zu kippen? Engelmayer zögert, er sagt, ja, es sei gut, aber er traue dieser Regierung vieles zu, er sei sicher, sie würde ihre Wege finden, das zu erreichen, was sie wolle. Shoshke, sagt er, sei nicht weg, aber vielleicht werde es eine Weile brauchen, bis sie eines Tages, in glücklicheren Zeiten, zurückkehre. Engelmayers Bilder aber werden mittlerweile von Psychologen in der Traumatherapie eingesetzt.