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Kultur Jahrhundertkomponist

Wie Schostakowitsch in die Sächsische Schweiz kam

Freier Feuilletonmitarbeiter
Pittoreske Festspielkulisse in der Sächsischen Schweiz Pittoreske Festspielkulisse in der Sächsischen Schweiz
Pittoreske Festspielkulisse in der Sächsischen Schweiz
Quelle: Oliver Killig
In Gohrisch findet das einzige Schostakowitsch-Konzertfestival auf der Welt statt. Im 15. Jahr tummeln sich dort Musikenthusiasten aus aller Welt – und große Künstler huldigen dem Jahrhundertkomponisten. Ein Besuch in Sachsen.

Es bröselt und blättert, es regnet herein. Nein, das ehemalige Gästehaus des Ministerrates der DDR in seiner schicken Fifties-Optik, heute der vernachlässigte, unbedingt renovierungsbedürftige Teil des Wanderhotels Albrechthof, er sieht erbärmlich aus. Lotte Ulbricht, Kim Il-sung und Volkskammer-Präsident Horst Sindermann urlaubten hier. Das Gebäude mit dem eleganten Pavillon und seinen jetzt trüben Fenstern steht unter Denkmalschutz, auch weil hier, im Kurflecken Gohrisch, auf einem Hochplateau in der Sächsischen Schweiz, Dmitri Schostakowitsch 1960 in nur drei Sommererholungstagen sein populäres achtes Streichquartett c-Moll op. 110 komponierte. Es ist sein einziges Werk, das außerhalb der Sowjetunion entstanden ist; Anfang der Siebziger war er mit seiner zweiten Frau Irina Antonowna nochmals hier.

Daran wollten 2010 – zum 50. Jahrestag – die Internationalen Schostakowitsch-Tage erinnern, ein damals charmant improvisiertes Konzertfestival; das einzige übrigens weltweit in Dmitris Namen. Das wurde eher spielerisch auf die Beine gestellt von Tobias Niederschlag, dem Konzertdramaturgen der Dresdner Staatskapelle, und einigen von deren Musikern. Doch der Enthusiasmus war auch in der 1700-Einwohner-Gemeinde groß. Obwohl man, es gibt nicht mal eine Kirche, für Konzerte lediglich eine moderne Strohscheune freiräumen konnte.

Zur 15. Ausgabe, 14 Jahre später, ist hier freilich, abgesehen von der in privater Hand vor sich hin gammelnden Schostakowitsch-DDR-Immobilie im Wald, alles fein. Gohrisch sieht hübsch aus im Sommerblumenschmuck, Erholungssuchende mischen sich mit polyglotten Musikenthusiasten aus der ganzen Welt. Es gibt inzwischen sogar einen Schostakowitsch-Platz samt Büste.

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Die „Konzertscheune“ der Agrargenossenschaft Oberes Elbtal am Waldrand wirkt längst wie eine pittoresk-perfekte Festspielkulisse auf dem Lande. Schwalbengesänge mischen sich in Streichquartettmelodieketten. 500 Menschen bietet sich hier, in dem Betonschuhkarton, eine anständige Akustik. Die auch den Künstlern gefällt. Die nämlich kommen gerne, auch die großen Namen und als Wiederholungstäter – obwohl es als Gage für alle jeweils nur 10 Euro Frackgeld gibt.

Inzwischen ist Tobias Niederschlag als Konzertbüroleiter zum Leipziger Gewandhaus gewechselt, das Festival bekommt Landesförderung, die Künstler sind sehr kommod in der Elbresidenz Bad Schandau untergebracht, direkt unten am Fluss, wo auch die temporäre Schostakowitsch-Bar abends interessante Moskau-Cocktails ganz ohne Molotow serviert. Und weil man hier keine sinfonischen Werke aufführen kann, immerhin ein integraler Teil des buntscheckigen Schostakowitsch-Klangerbes, programmiert das Donnerstag-bis-Sonntag-Festival immer ein Staatskapellen-Sonderkonzert vorab am Mittwochabend im Dresdner Kulturpalast. Diesmal stand unter dem strammen Vitali Alekseenok die dystopische „Leningrader“ als mahnende Kriegssinfonie an.

Die Festspielscheune in Gohrisch
Die Festspielscheune in Gohrisch
Quelle: Oliver Killig

Über die Jahre hinweg man hat ein sehr enges Verhältnis zu Olga Digonskaya aufgebaut, der Direktorin des Moskauer Schostakowitsch-Archivs. Daher konnte man in Gohrisch auch immer wieder kleine Uraufführungen von Schostakowitschs Jugendwerken oder -Fragmenten erleben. Die zwar keine revolutionären Überraschungen boten, aber als Steinchen das gewaltige Schostakowitsch-Mosaik vervollständigen.

Eine Uraufführung hätte es auch geben sollen, doch der erstmals hier gastierende Starbariton Matthias Goerne wurde wegen Erkrankung mit der späten, unvollendeten Romanze nach einem Jewtuschenko-Gedicht „Der Nagel von Jelabuga“ nicht fertig. Dabei hätte das von dem Schostakowitsch-Zögling Alexander Raskatov vervollständigte Opus die Brücke schlagen sollen zu dem Komponisten-Vorbild Modest Mussorgsky; beiden waren weitere Festival-Schwerpunkte gewidmet.

So beschränkte sich der ausdrucksüberstarke Goerne samt seinem reaktionsschnellen Pianisten Alexander Schmalcz auf die späte, spröde Michelangelo-Suite, deren düster-melancholische elf Sonette er eindrücklich-intelligent mit vier Mahler-Liedern verschränkte. Es war nur eine Singstunde, in der aber wurde vehement um Gefühle gekämpft: Am Ende stand ein nass geschwitzter Goerne glorios eigenwillig da. Und hinterher, einige Gewitter waren über die Scheune gestrichen, offerierte der Lilienstein einen Caspar-David-Friedrich-würdigen rosaroten Strahlensonnenuntergang, während sanfter Nebel im bläulichen Elbtal hing. Musikmärchenland total.

Die Witwe von Schostakowitsch konnte nicht kommen

Vorher hatte das ebenfalls erstmals in Gohrisch auftretende Musikerpaar Marie-Elisabeth Hecker und Martin Helmchen einen intensiv-dichten Duo-Nachmittag mit den Cellosonaten von Schostakowitsch und Prokofiew sowie einer imaginationssatten, knallbunten Lesart von Mussorgskys Klavierzyklus „Bilder eine Ausstellung“ gestaltet. Sieben Konzerte an vier Tagen, das erfordert durchaus Sitzfleisch, der polystilistische Schostakowitsch macht es aber leicht. Da gibt es die heitere Dur-Aufgeräumtheit des 6. Streichquartetts von 1926 und ebenso die sterbensmüde Ausgebranntheit des 14. Quartetts von 1973. Mit dem das temperamentssatte, aber auch subtile Quatour Danel die Gesamtheit der von ihm in Gohrisch aufgeführten Streichvierer nun vervollständigt hat.

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Kontraste halten die Musik dieses Jahrhundertkomponisten lebendig. In Gohrisch wird sie intelligent gemixt, oder von Gidon Kremer und seiner Kremerata Baltica keck ergänzt mit Osteuropäischem von Schnittke bis Silvestrov, Kalabis und Ķeniņš; Bacevicz, Tüür und Weinberg. Aufhorchen ließ dabei vor allem die Pianistin Onutė Gražinytė, jüngere Schwester von Dirigentinnenstar Mirga Gražinytė-Tyla.

Die Versonnenheit des 9. Streichquartetts stand interessant quer zum grellen Klangklamauk der Bühnenmusik zu Majakowskis satirisch-böser „Wanze“, die Dmitri Jurowski für Staatskapellenmitglieder mit Spaß am rhythmischen Lärm neu eingerichtet hatte. Nach den von Alexandros Stavrakakis, Ensemble-Bass der Semperoper, toll und füllig expressiv gesungenen „Lieder und Tänze des Todes“ Mussorgskys klimperte Julia Zilberquit vergnügt das tanzfreudige Concertino für Klavier und Streichorchester.

Eröffnungskonzert mit Quatuor Danel , der Sopranistin Elena Vassilieva und dem Fritz Busch Quartett
Eröffnungskonzert mit Quatuor Danel , der Sopranistin Elena Vassilieva und dem Fritz Busch Quartett
Quelle: Oliver Killig

Gohrisch 2024 war diesmal vokallastig, auch weil der mit einer Uraufführung („Black Sun“, nach Mandelstam-Poemen) sowie anderen Singwerken beteiligte Alexander Raskatov seine Muse und Gattin Elena Vassilieva mit arg verblühtem Sopran dabeihatte. Aber selbst hier galt: Ausdrucksstark war sie schon. Leider nicht kommen konnte hingegen aus dem reisetechnisch abgehängten Moskau die bald neunzigjährige Schostakowitsch-Witwe Irina Antonowna, eine treue Festival-Besucherin. Über sie wurde ein ausführlicher Dokumentarfilm vorgestellt, und die zum Glück weiter ungehindert sich mit Gohrisch austauschen könnende Archivarin Olga Digonskaya nahm für sie den diesjährigen Schostakowitsch-Preis entgegen.

„Alles hat Dmitri Dmitrijewitsch gemacht. Ich war nur sein Schatten“, zitierte Kuratoriumsmitglied und komponierender Schostakowitsch-Biograf Krzysztof Meyer die bescheidene, aber ziemlich effektiv nachwirkende Witwe. Im höchst festivalfamiliären Gohrisch weiß natürlich jeder, dass dem nicht so war. 2025, zum 50. Schostakowitsch-Todestag, wird dann hier nicht nur die Romanzen-Uraufführung nachgeholt, Tobias Niederschlag plant in Leipzig zusätzlich ein einmaliges und großes Komponistenfestival.

Aber in diesem EU-Meisterschaftsjahr wurde natürlich auch an den glühenden Fußballfan Dmitri Schostakowitsch („ein Gipfel der Freude“) erinnert. Der hatte sogar den Schiedsrichterschein. Und ließ in seinem Foxtrott- wie Charleston-seligen Ballett „Das goldene Zeitalter“ ein ganzes Kickerteam antreten.

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