Dass Markus Söder mehr Popstar und weniger Politiker sein will, ist schon lange klar. Wie David Bowie, Madonna, Lady Gaga oder Beyoncé erfindet sich Söder alle paar Monate neu. Er war schon alles. Heißblütiger Landesvorsitzender der Jungen Union Bayern, bayerischer Europa-, Umwelt- und Gesundheits-, Finanz- und Heimatminister, und seit 2018 ist er bayerischer Ministerpräsident. Er war Jesus-Christ-Superstar, als er anordnete, in den staatlichen Gebäuden Bayerns Kreuze aufzuhängen. Er war knallharter „Asyltourismus“-Gegner, grüner Sponti als Bäume-Umarmer. Hass-und-Hetze-Opfer („Södolf“ nannte ihn einer von der AfD und musste dafür 12.000 Euro zahlen), und dann wieder knallharter Bierzeltpöbler (Söder schimpfte Bundesumweltministerin Steffi Lemke eine „grüne Margot Honecker“ und musste nichts dafür zahlen).
Er stürzte erst Horst Seehofer als CSU-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten und disste dann den Unions-Kanzlerkandidaten Laschet so lange und hart, dass am Ende Olaf Scholz Kanzler wurde. In der Pandemie inszenierte sich die Ich-AG Söder frei nach dem Markus-Evangelium („Legion ist mein Name, denn wir sind viele“) gleich im Plural als Team Vorsicht und machte ganz Bayern dicht, um sich letztendlich Team Freiheit zu nennen.
Söder ist ein Gestaltwandler in seiner ganz eigenen Matrix, in der er erst die blaue, dann die rote Pille und schließlich nochmal alle Pillen zusammen nimmt. Pünktlich zur Fußball-Europameisterschaft der Männer hing er sich eine Blumenkette in Deutschlandfahnen um den Hals und setzte die Deutschland-Sonnenbrille auf. Söders offizielles X-Profilbild zeigt ihn jetzt als Fanmeilen-Markus in einer Ästhetik zwischen Bratwurststand, Faxe-Dose und Dixie-Klo. Merkel empfing er noch als junge Gottheit im barocken Gold von Herrenchiemsee, jetzt ist er einer von uns und sieht nach dreizehn Weizen aus, obwohl er nur zwei Cola-Light trinkt.
Seit einiger Zeit ist Söder auch Foodblogger. Unter dem Hashtag #SöderIsst zeigt Söder wie viel und was er isst. Gerne Steak, Gyros, Lammkoteletts, Gummibärchen, Haxe und Döner. Sein „absolutes Lieblingsessen“ sind, klar, Nürnberger Rostbratwürste. „Ich schaffe 12 Nürnberger Bratwürste“, ließ Söder das bayerische Volk und den Rest der Welt auf Tik-Tok wissen.
Auftritt bei „Inas Nacht“
Aber jetzt singt er auch noch. Zur besten Uhrzeit war er gerade bei „Inas Nacht“ zu Gast, der Talk- und Sauf-Sendung mit der ziemlich prolligen Ina Müller. Die ist ein Jahr älter als Söder, aber wirkt angetrunken auf jeden Fall 13 Jahre jünger als er. Und genau da, im alkoholischen Dunst der Hamburger Kneipe „Schellfischposten“, die für Ina Müllers Sendung zum Studio wird, saß Söder vor seiner Cola Light und sang schließlich „Sie hieß Mary-Ann“ von Freddy Quinn.
Tatsächlich war das gar nicht furchtbar, sondern ziemlich unterhaltsam. Viele von Söders Videos auf TikTok oder Instagram haben ja schon diese Stromberg-Fremdscham, von einem, der sich eben zu jeder Zeit ins beste Licht rücken will. Aber Söder als Entertainer in einer Hamburger Kneipe war gelungen. Söder ist kein großer Sänger. Aber er traut sich. Und seine Brummbärenstimme tut zumindest nicht weh.
Natürlich kommt er nicht an die Obamas ran. Barack Obama slowjamte vor mehr als 12 Jahren als US-Präsident in der Late-Night-Show von Jimmy Fallon mit der Band The Roots die Nachrichten, seine Frau Michelle sang höchst lässig beim Car Pool Karaoke mit James Corden.
Aber Söder zeigt, dass er frei nach Oliver Kahn, eben Eier hat. Denn rot wird Söder nicht, als ihn Ina Müller fragt, ob er „gut im Bett“ sei oder ein „Tattoo am Sack“ habe. Wirklich beantwortet er nur die Frage nach dem Tattoo. „Nein.“ Die Bett-Qualitäten lässt er offen. „Ich bin wahnsinnig früh im Bett“, sagt Söder.
„Nice guys finish last“, sangen die Punkrocker von Green Day. Was Söder als nächstes singen wird? Unklar. Mitarbeiter der Staatskanzlei tippen aber auf „We are the Champions“ oder „König von Deutschland“.