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Kultur Norbert Elias

Warum der Prozess der Zivilisation sich umkehrt

Feuilletonredakteur
Wütender tretender junger Mann in dunkler Unterführung Wütender tretender junger Mann in dunkler Unterführung
Affektkontrolle fällt vielen schwer
Quelle: Getty Images/mgs
Zivilisation ist etwas, das immer wieder neu errungen werden muss. Wie das in Westeuropa gelang, hat ein berühmter Soziologe beschrieben. Doch unzivilisiertes Verhalten ist zur neuen Alltäglichkeit in Deutschland geworden. Die Gründe kann man sich bei Norbert Elias erschließen.
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Deutschland hat ein Problem mit schwindender Affektkontrolle. Nicht nur in Bad Oeynhausen, wo das 20-jährige Opfer einer Prügelattacke gerade seinen Verletzungen erlegen ist. In Freilassing hat ein Autofahrer einen Helfer überfahren, weil eine Sperre sein Wutmanagement überforderte. Ein stilleres Indiz ist die Zahl der Schulabbrecher, die seit 2018 steigt. Deutschland hat die vierthöchste Abbrecherquote in der EU. Auch bei abgebrochenen Ausbildungen wurde 2023 ein Höchstwert erreicht.

Frustrationstoleranz, Selbstbeherrschung, die Fähigkeit, Wut, Gier und andere Triebe zu dämpfen, zurückzuhalten und in Energie für planvolles Handeln umzuleiten, sind die Grundlagen einer Zivilisation. „Kulturen“ gibt’s auch ohne all das. Kehrt sich der Zivilisationsprozess in Deutschland gerade um?

Die Idee, dass Zivilisation durch ein komplexes Zusammenspiel von staatlichen Entwicklungen und neuen psychischen Normen entsteht, hat der Soziologe Norbert Elias in seinem Buch „Über den Prozess der Zivilisation“ von 1939 propagiert. Der Jude Elias war 1933 vor den Nazis aus Deutschland geflohen. Epoche machte sein Werk erst, als es 1969 dann mit einer neuen Einleitung wiederveröffentlicht wurde. Nach der NS-Herrschaft, dem 2. Weltkrieg und dem Massenmord an den europäischen Juden erhoffte man sich Aufklärung, wie so ein zivilisatorischer Zusammenbruch möglich war.

„Psychogenese“ moderner Affektkontrolle

Elias beschreibt kurz gesagt, wie das staatliche Gewaltmonopol in der frühen Neuzeit entstand und welche Rolle dabei die immer komplexere Arbeitsteilung in frühmodernen Gesellschaften spielte. Damit in engem Zusammenhang steht die „Psychogenese“ moderner Affektkontrolle. Mehr und mehr, so seine These, lernen Menschen spontane Impulse zurückzuhalten und die Wirkungen des eigenen Handelns zu überdenken. Dem Gewaltmonopol des Staates steht ein verinnerlichter Rückgang der Gewaltbereitschaft im Zusammenleben gegenüber.

Elias vollzieht diese Entwicklung anhand von Benimmbüchern der frühen Neuzeit nach. Nach und nach lernten Menschen, nicht nur bei Tisch nicht mehr zu schnäuzen, sondern auch, nicht mehr gleich den Dolch oder Säbel zu ziehen, wenn etwas sie aufregte. Jenseits der von Elias beschriebenen Prozesse dürfte auch die Privatisierung von Religion in der frühen Neuzeit zur Zunahme von Affektkontrolle beigetragen haben. Bei Geistlichen war Selbstbeherrschung immer schon eine Tugend. Als in der Reformation und durch katholische Reformbewegungen die persönliche Priesterschaft von Laien im Alltag verbreitet wurde, verbreitete sich mit ihr auch das Ideal der Affektkontrolle.

Doch all das war auf Westeuropa beschränkt. Zivilisatorische Affektkontrolle hat sich zwar auch in anderen Gesellschaften entwickelt. Das Klischee vom „undurchschaubaren“ Asiaten beruht beispielsweise darauf, dass die Beherrschung von Gefühlen in konfuzianischen Gesellschaften seit Jahrtausenden trainiert wird. Aber es gibt in der Welt auch Gegenden, in denen solche Zivilisationsprozesse nie stattfanden oder in denen sie durch den Verfall der den Prozess tragenden Gesellschaften längst wieder umgekehrt sind. Ein Teil der Probleme mit mangelnder Affektkontrolle im Deutschland des Jahres 2024 ist von dort importiert.

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