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Kultur Kino-Film „Golda“

„Ich bin Politikerin, keine Soldatin“

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
Legendär: Helen Mirren als Golda Meir Legendär: Helen Mirren als Golda Meir
Legendär: Helen Mirren als Golda Meir
Quelle: © Jasper Wolf
Helen Mirren spielt Israels Premierministerin Golda Meir wie sie ihr Land durch den Jom-Kippur-Krieg führt. Der Film des Regisseurs Guy Nattiv ist ein bestürzend aktuelles Lehrstück über politisches Handeln in Zeiten militärischer Auseinandersetzungen.
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Es ist ein kleines Notizbüchlein, das für die größere Sache steht. Es geht um das Prinzip Verantwortung, das auf den gebeugten Schultern von Golda Meir lastet. Als Premierministerin muss sie Israel durch die existenzielle Krise des Jom-Kippur-Kriegs führen.

Mit einem Bleistift notiert sie sich akribisch die Anzahl der Gefallenen in ihr Buch. Der Kinofilm „Golda“ zeigt seine in Israel bis heute umstrittene Heldin als Politikerin mit Moral und Geschick – mit einer brillanten Helen Mirren in der Hauptrolle.

Ist „Golda“, im deutschen Verleih mit dem Zusatz „Israels Eiserne Lady“, eine Filmbiografie? Oder ein Kriegsfilm? Weder noch oder beides zugleich, kann man sagen. Was Regisseur Guy Nattiv, im Jahr des Jom-Kippur-Krieges in Israel geboren und vor ein paar Jahren für seinen Kurzfilm „Skin“ mit einem Oscar ausgezeichnet, und sein Drehbuchautor Nicholas Martin geschaffen haben, ist ein verdichtetes Lehrstück über politisches Handeln in Zeiten des Krieges. Und weil der Film sich nicht der Suggestivkraft hyperbrutaler Bilderfolgen überlässt, gelingt das fulminant.

Die Kamera folgt Meir durch dunkle enge Räume: Flure, Beratungszimmer, Bunkergänge. Es ist ein Geflecht klaustrophischer Handlungszwänge, in dem sich die erfahrene Politikerin bewegt. 75 Jahre alt ist sie, als am 6. Oktober 1973 die ägyptische und die syrische Armee von zwei Fronten angreifen. In Israel feiern die Menschen Jom Kippur, das Versöhnungsfest ist der höchste jüdische Feiertag. Trotz einiger Hinweise auf einen Angriff entscheiden sich Meir, ihre Minister und Generäle gegen die große Mobilisierung.

Was dem Angriff vorausgeht, die Mischung aus Fehleinschätzungen, trügerischem Sicherheitsgefühl und Überheblichkeit nach dem Triumph im Sechstagekrieg, erinnert in fataler Weise an das Versagen der israelischen Politik 50 Jahre später. Der Angriff vom 7. Oktober 2023 hat die Illusion zerstört, dass der „Iron Dome“ einen absoluten Schutz vor dem Ansturm aus Gewalt, Judenhass und Verzweiflung bietet, der sich in nächster Nähe zusammenbraute. Muss man Sicherheit auch politisch, nicht nur militärisch denken?

Heimgesucht vom Unheilvollen

Das Politische geht dem Militärischen voraus, wie eine knieabwärts gefilmte Szene zeigt: Erst kommen die Absatzschuhe von Meir, dann die Militärstiefel der Generäle. „Ich bin Politikerin, keine Soldatin“, sagt sie. Also kein Heroismus, sondern nur das stählerne Gehäuse des Kalküls in der ungewissen Kontingenz.

Auf dem Dach – im Kontrast zur dunklen Enge der Gänge oder der Kommandozentrale – steckt Meir sich eine von vielen Zigaretten an, ein Vogelschwarm löst einen Anfall von Panik und beim Zuschauer Hitchcock-Assoziationen aus. Stetig wird sie vom Unheilvollen der Gewalt heimgesucht.

Das Kriegsgeschehen tritt im Film meist über die technische Apparatur vermittelt auf. Es sind Fernsehbilder, Gefechtskarten oder Funksprüche, keine aufgebauschten Schlachten, die auf der Leinwand zu sehen sind (was nach Aussage des Regisseurs auch dem geringen Budget geschuldet ist). Meir steht im Kommandoraum, der an den Keller erinnert, in dem sie sich – im Russischen Reich in Kiew geboren –, als Kind vor den Pogromen versteckt hat. „Nicht noch einmal“ schleudert sie der Gegenwart entgegen.

Zigarettenrauch statt Schlachtennebel

Mirren gelingt es, Meir im Spannungsfeld ihrer geschichtlichen Erfahrungen zu zeigen, die mit Zähigkeit und Witz nach dem trotz schlechter Lage bestmöglich Machbaren tastet. Und weil es darum idealerweise in der Politik immer geht, muss der Film seine Protagonistin nicht mystifizieren oder verklären. Und Mirren? Darf sich mit ihrer Meir nun getrost als legendär neben der todkranken Ingrid Bergman in „A Woman Called Golda“ (1982) oder Lynn Cohen in Steven Spielbergs „München“ (2006) einreihen.

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Meir bewegt sich in „Golda“ im Zigarettenrauch, nicht im Schlachtennebel. Um die drohende Niederlage und mögliche Auslöschung Israels abzuwenden, muss sie als Diplomatin erfolgreich sein, vor allem bei dem von Liev Schreiber gespielten US-Außenminister Henry Kissinger. Schwierig, weil Richardd Nixon wegen der Watergate-Affäre als „Lame Duck“ gilt und außerdem – wie Kissinger belehrt – Kriegspolitik immer auch Energiepolitik ist, wie sich in der auf den Jom-Kippur-Krieg folgenden Ölkrise zeigte.

Mit Geschick muss Meir auch vorgehen, um die ägyptische Anerkennung Israels zu erzwingen. Das beginnt, wie heute auch, bei der Wortwahl: Israel, nicht „zionistisches Gebilde“. Der Film erlaubt sich gar die künstlerische Freiheit, Meir bei einer letzten Zigarette vor dem Fernseher sterben zu lassen, in dem sie auf ihr politisches Erbe blickt. Es ist die Verkündung des Friedensvertrags mit dem ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat, der einige Jahre später bei einer Militärparade von Islamisten ermordet wird.

Was der Film als höchste politische Tugend preist, ist etwas Seltenes, fast Fragiles. Es ist das Gespür dafür, was ein echter Sieg ist. Und zwar ohne zu glauben, dies sei allein eine militärische Frage. Im Gegenteil: Meir, die 1921 in einen Kibbuz nach Palästina zog und der marxistisch-zionistischen Bewegung und der Arbeiterpartei angehörte, wusste um die politischen Notwendigkeiten, die mit dem Überleben in feindlicher Umgebung einhergehen. Vieles davon scheint bei ihren Nachfolgern verloren gegangen, von denen der Panzerkommandeur Ariel Sharon im Film als „Fotoheld“ bezeichnet wird.

In Großbritannien und Irland kam „Golda“ am Vorabend des 7. Oktober in die Kinos, in Deutschland läuft er diese Woche an. Eine Vorpremiere in Frankfurt am Main mit Zeitzeugen wurde erst abgesagt, dann nachgeholt. Dagegen wurde demonstriert, der Filme zeige Kriegspropaganda. Völlig falsch. „Golda“ zeigt – künstlerisch überzeugend –, wie sich politisches Handeln im geschichtlichen und gegenwärtigen Zusammenhang verstehen lässt. Und daran mangelt es aktuell eklatant, wie solche Vorwürfe beweisen.

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