WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistent für alle Fragen und Lebenslagen
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. „Tatort“ Freiburg: Einer flog über den Schauinsland

Kultur Freiburger „Tatort“

Einer flog über den Schauinsland

Redakteur Feuilleton
Der Gatte des Opfers und die Kommissare Der Gatte des Opfers und die Kommissare
Der Gatte des Opfers und die Kommissare
Quelle: SWR/Benoît Linder
In Freiburg wird auf einem Rastplatz die Leiche einer Gutachterin gefunden. Die Spur führt die „Tatort“-Kommissare im Schwarzwald in ein wahres Kuckucksnest von Psychiatrie. Sie folgen ihr so langsam, dass man schier wahnsinnig wird.

Wenn man sich sehr beeilt, kann man mit dem Rad in knapp einer halben Stunde vom Freiburger Zentrum aus oben sein. Auf dem Schauinsland, knapp 1300 Meter hoch, dem Hausberg der Breisgau-Metropole. Dann ist man beim alljährlichen Bergrennen Schauinslandkönig respektive Schauinslandkönigin. Hannah Fandel hält den Rekord bei den Frauen (35:40 Minuten), David Breinlinger den bei den Männern (28:41 Minuten).

Das dürfen wir hier so langsam ausbreiten, weil Langsamkeit sozusagen in der Natur jener Sache liegt, um die es geht. Und die Sache ist der Freiburger „Tatort“. Das war schon immer der Bewegungsökonom unter den Sonntagabendkrimis. Der trieb vom Schnittfeuerwerk irgendwelcher amerikanischer Serien konditionierte Zuschauer immer schon in den Wahnsinn. Im Schwarzwald gehen die Uhren halt anders (den Scherz muss man leider machen).

Lesen Sie auch

Allerdings, wenn wir jetzt kurz beim Bergzeitrennen-Vergleich bleiben dürfen, fragt man sich, während man „Letzter Ausflug Schauinsland“ so vor sich hin guckt, den neuen Fall für die Kommissare Tobler (Eva Löbau) und Berg (Hans-Jochen Wagner), wann die Geschichte rückwärts den Hügel wieder runterrollt, den sie eigentlich hoch soll, weil einfach nicht genug erzählerische Energie für irgendwelchen Vortrieb vorhanden ist.

Nun hat man ja, um noch ein bisschen Platz aufs allgemeine Vorsichhinphilosophieren zu verschwenden, wenn man gemächlich von einer Kehre zur nächsten dem Gipfel zu strampelt, auch mehr Zeit, sich die Schönheiten der Geschichten-Landschaft anzuschauen. An denen herrscht kein Mangel. Was allerdings nur beurteilen kann, wer unterwegs auf der Wohnzimmercouch nicht von Müdigkeit überwältigt gewissermaßen vom Rad gefallen ist.

Aber vielleicht erzählen wir mal rasch, was der Fall ist. Auf einem Rastplatz steht verlassen ein ziemlich alter Audi. Eine Frau liegt im Kofferraum. Sie sieht aus, als schliefe sie, was leider nicht der Fall ist, weil ihr jemand bis zum Tod den Hals zugeschnürt hat. Lisa Schieblon hieß sie. Und sie war psychiatrische Gutachterin.

Alle haben einen Dachschaden

Sie beurteilte, ob einer aus dem Kuckucksnest fliegen darf, in dem sich dieser letzte „Tatort“ vor der fußballeuropameisterschaft- und olympiabedingten längsten Sonntagabendkrimisommerpause der Geschichte zu großen Teilen aufhält. Hansi Pagel zum Beispiel. Der sitzt in der Psychiatrie, weil er seine Frau vergewaltigt, seine Familie gepiesackt und ein massives Aggressionsproblem hat. Mit dem war Lisa Schieblon zuletzt unterwegs.

Jetzt müssen wir einen kleinen Einschub machen, der möglicherweise ein wenig untersubtil klingt. Aber es ist schon so, dass so ziemlich alle in dieser Geschichte – von Kommissarin Tobler vielleicht mal abgesehen – einen massiven Dachschaden haben. Kommissar Berg sogar einen tatsächlichen, besonders untersubtil offensichtlichen. Weil bei ihm im Haus, dass er von seinen Eltern, die ihm außer der Immobilie auch einen geradezu archaischen Komplex mit auf den Lebensweg gaben, geerbt hat, das Wasser zwischen den Ziegeln durchbricht, wenn sich überm Schauinsland die Wolken abregnen.

Die lange und langsame und windungsreiche Fahrt dieses Drehbuchs von Stefanie Veith führt mitten durch ziemlich gestörte Milieus – das klassisch therapiebedürftige Psychiatriepersonal, Hansi Plagers klassisch gestörte Familie, die Psyche des klassisch gestörten Kommissars. Vorbei auch an den Fantasien von Pagels Zimmergenossen Milan, der vielleicht von allen noch am stärksten der Realität abhanden gekommen ist – weswegen, das ist ein Wahnsinn, von dem man vielleicht noch mehr gebraucht hätte, man hin und wieder einen gigantischen Waran durchs Klinikgelände latschen sieht.

Das ist schon alles sehr hübsch gemacht. Stefan Krohmer, der Regisseur, verwandelt für alle, die sich noch ein Herz für cineastische Details bewahrt haben, mit Andreas Schäfauer, dem Kameramann, Verrücktheiten in ziemlich subtil irre, aber geradezu überreale Bilder. Sven Rossenbach und Florian van Volxem, die wie immer sehr dezenten, aber höchst wahnsinnigen Klangproduzenten (Filmmusiker mag man sie gar nicht nennen), haben dazu mit Leo Michael Henrichs einen ziemlich aufregenden Klangasphalt zum Schauinsland hoch gelegt.

Trainieren für den 21. Juli

Anzeige

Ein Argument für die Einführung eines Tempolimits für Sonntagabendkrimis ist „Letzter Ausflug Schauinsland“ am Ende dann aber doch nicht geworden. Man sitzt schon öfter da und wünscht sich einen massiven Elektroantrieb für diese Geschichte. Die steckt so derart voller Subgeschichten, dass man sich nicht wundern sollte, dass keine so richtig oben ankommt auf dem Schauinsland.

Der nächste Schauinslandkönig wird übrigens am 21. Juli gekürt. Noch kann man sich anmelden.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema