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Kultur Neues Deutsches Kino

Eine Million Minuten Langeweile

Chefkorrespondent Feuilleton
„Ich bin dann mal weg“ – für Berliner Hipster „Ich bin dann mal weg“ – für Berliner Hipster
„Ich bin dann mal weg“ – für Berliner Hipster
Quelle: Warner Brothers
Er rettet als UN-Mitarbeiter das Klima, sie vernachlässigt ihre Karriere als Umweltingenieurin für die Kinder. Die Lösung? Eine Weltreise mit Mobile Office! Der neue Wohlfühl-Film mit Tom Schilling und Karoline Herfurth sieht aus wie eine Telekom-Werbung – und verrät viel über die biederen Sehnsüchte unserer Zeit.
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Muss Glück, wenn Deutsche es empfinden, zwangsläufig aussehen wie eine Telekom-Werbung? Dürfen Wahrheiten, wegen denen man sein Leben ändert, so seicht sein wie das Wasser am Strand von Phuket? Und wann kaufen die beiden endlich das doofe Wohnmobil?

Solche Fragen begleiten den Zuschauer so lange, wie der Titel des neuen Films mit Tom Schilling und Karoline Herfurth androht – „Eine Million Minuten“ lang, zumindest gefühlt, denn die Sache zieht sich. Die Reise geht von Berlin-Mitte aus über Thailand nach Island. Zwischendurch wird im Haikäfig getaucht. Haie lassen sich aber keine blicken. Sie verschmähen wohl Schmonzetten.

Mit einer solchen haben wir es zu tun. Man durfte gewarnt sein: durch den vor ein paar Jahren erschienenen gleichnamigen Bestseller von Wolf Küper, dessen Untertitel lautete: „Wie ich meiner Tochter einen Wunsch erfüllte und wir das Glück fanden“. Das klingt nach einem Märchen, und keinem besonders guten. In guten Märchen kommt irgendwann der böse Wolf oder die böse Hexe. Hier gibt es nur eine genervte Chefin und einen sauertöpfischen Papa. Frauen weinen leise aus Autofenstern. Kernige Isländer grinsen breit und braten Fisch. In der besten Szene kommt ein Feuerwehrauto. Da ist aber alles längst angebrannt.

Die Story geht so: Gestresster UN-Mitarbeiter, der sich fürs Klima aufreibt, aber wegen seiner Flugmeilen die mieseste CO₂-Bilanz von ganz Berlin-Mitte hat, streitet sich mit seiner Frau. Sie vernachlässigt ihre Karriere als Umweltingenieurin (sie selbst ist nah am Wasser gebaut), um sich um die gemeinsamen Kinder zu kümmern. Er tut, was er kann und zeigt nach Kräften Gefühle, sitzt aber meist nur um fünf Uhr morgens traurig in der S-Bahn, um es rechtzeitig zum Gipfel nach New York zu schaffen, wo er, ganz moderner Mann, aufmunternd seiner Chefin zunickt. Die ist no joke und ein tough cookie und gewährt seine Bitte, ihn eine Zeit im Mobile Office arbeiten zu lassen, mit wutschnaubendem Ingrimm.

Dazu hat sich der Vater nach einem Arztbesuch durchgerungen. Seine Tochter sei in der Entwicklung zurück. Das Einzige, was man da machen könne: gemeinsam Zeit verbringen. Und hat sich nicht die Tochter selbst gerade „eine Million Minuten“ Quality-Time mit der Family gewünscht? Der Mann hat einen Taschenrechner. Eine Million Minuten sind knapp zwei Jahre. Da wird dann flott am Globus gedreht, die Tochter darf mit dem Finger tippen. Nordkorea! Äh, lieber nicht.

Genehmer sind die folgenden Versuche, Thailand und Island. Da soll es also hingehen. Dort wird die Familie das Glück finden, in kurzen Hosen oder im dicken Pulli, Bier auf schwülen Märkten trinkend, Kinderfahrräder mit Leuchtketten umwickelnd, eine Veranda zimmernd und jede Menge Wäsche aufhängend.

Der Film verfährt nach einem ähnlichen Prinzip wie das Globusdrehen. Alles, was nicht in sein vorgestanztes Moralschema passt, wird stillschweigend übergangen. Die größten Konflikte entstehen, wenn mal das Internet ausfällt oder sich der kernige Isländer eine Spur zu tief mit der Frau über Architektenpläne beugt. Aber keine Angst, mehr als keusche Küsse werden hier nicht getauscht, und selbst das nur unter Eheleuten.

Keusche Küsse unter Eheleuten: Szene aus „Eine Million Minuten“
Keusche Küsse unter Eheleuten: Szene aus „Eine Million Minuten“
Quelle: Warner Brothers

Irgendwann taucht der geläuterte Ex-Workaholic erst nach den Haien und dann mit dem besagten Wohnmobil auf. Damit ist die kleine Biedermeierwelt inmitten des Raubtierkapitalismus gerettet. Die Frau findet ihre Erfüllung in der Renovierung maroder Hütten in der isländischen Pampa. Und der Mann im Wäscheaufhängen beziehungsweise – im Film ist davon freilich keine Rede – im Schreiben ebenjenes Buches, auf dem der Film basiert.

Und da blitzt hervor, was man, wenn man hart sein wollte, Verlogenheit nennen müsste. Denn von der Wirtschaftlichkeit des beherzten Aussteiger-Unterfangens ist nur am Rande die Rede. Irgendwie reicht’s schon, auch wenn man hauptberuflich eine einzige mickrige Scheune dämmt.

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Da kommt so ein Self-Help-Wohlfühl-Bestseller in Form eines „autobiografischen Romans“ gelegen, der allerlei Gleichgesinnten mit Luxusproblemen gute Laune macht und in dem nur zynische Naturen das zugrundeliegende Schneeballsystem erkennen: Ein einziger Aussteiger kann sich, indem er das Aussteigertum über den grünen Klee lobt, das fortgesetzte Herumgammeln an Stränden und unter aparten Einheimischen leisten. Den Tantiemen sei Dank. Am besten verkauft man noch die Filmrechte.

Alle anderen müssen das tun, was auch der Film insgeheim suggeriert: auf Zeit spielen. Irgendwo in Westdeutschland gibt’s doch bestimmt einen wohlsituierten Boomer-Papa, dessen patriarchale Karriereversessenheit demnächst ein schickes Einfamilienhaus abwirft. Die Selbstfindung der empfindsamen Millennial-Kinder in der Midlife-Crisis will schließlich bezahlt sein. Was ist ein Pauschalurlaub auf den Malediven gegen einen Trip in die innere Mitte? Die Dialoge hören sich so an: „Es geht nicht um ein fucking Au-pair – es geht um uns, als Familie.“

„Thailand – die besten Reisetipps“

Das Drehbuch ist also schlimm. Die Regie macht es nur unwesentlich besser. Karoline Herfurth, die die Frau spielt, hat dafür ihren Mann engagiert, den Produzenten Christopher Doll. In einem Interview lässt sie sich wie folgt zitieren: „Ich habe mir schon lange gewünscht, eine Geschichte durch seine Augen zu sehen und ihm in seiner Vision als Regisseur zu folgen.“ Auch eine Art Auswanderung.

Bloß können Doll und sein Kameramann Andreas Berger so oft nach Bangkok und Reykjavík fahren, wie sie wollen. Sie kommen doch nur mit Bildern heim, die sie auch in Wanne-Eickel hätten aufnehmen können. Allem Anschein nach hat sich die Reise allein für ein paar pittoreske Sonnenuntergänge gelohnt, die ab und zu eingeschnitten werden wie in einem von überambitionierten Hobbyfilmern auf YouTube hochgeladenen Urlaubs-Heimvideo à la „Thailand – die besten Reisetipps“.

Spätestens, wenn in einer Zeitraffer-Montage Tom Schilling als Vater mit Pola Friedrichs als Tochter Nina im Wasser planscht, einen „Ninathon“ genannten Hindernislauf trainiert oder in Badeshorts am Laptop sitzt, wundert man sich, dass nicht dazu das Logo von Signal Iduna, Vodafone oder der TUI eingeblendet wird. Man spürt, wie jede Einstellung einen emotionalen Ozean behaupten möchte, doch wie die Geschichte, die sie illustrieren, plätschern die Bilder dahin.

Die Schauspieler machen ihre Sache gut, besonders Schilling rettet das Wenige, das hier zu retten ist. Der Film bleibt seltsam unentschieden, ob er von der Aussteigerei erzählen soll oder von der angeblichen Entwicklungsstörung des Kindes – das Mädchen fällt eigentlich nur durch eine blühende Fantasie auf, die es auf die Frage des Psychologen, was denn feucht vom Himmel falle, antworten lässt: ein nasser Hund, was sich später quasi bewahrheitet, als die Familie auf einer thailändischen Hängebrücke einem Flughund begegnet. So ist es wohl gemeint: Die vermeintliche Krankheit des Kindes ist eigentlich ein Gottesgeschenk, das den Weg weist aus der teuflischen Falle der modernen Zivilisation, bestehend aus Geld, WLAN und Fußbodenheizung.

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Selbst wenn es im Einzelfall stimmen sollte und Familie Küper – Bestseller hin oder her – wirklich glücklich geworden ist: Als modernes Märchen ist das schrecklich abgedroschen, ein „Ich bin dann mal weg“-Jakobsweg-Klischee für Berlin-Mitte-Hipster. Selbst Henry David Thoreau, der „Walden“-Autor und Begründer aller hippiesken Weltflucht, war bloß ein Feierabend-Eremit, dessen mit allen Annehmlichkeiten der Zivilisation gesegnete Heimatstadt Concord, Massachusetts, kaum einen einstündigen Spaziergang von seiner Hütte im Wald entfernt lag. Wer diese Geschichte für die Gegenwart neu erzählen will, darf ihre inneren Widersprüche nicht verschweigen. Sonst schlägt sich am Ende das Publikum auf die Seite des resoluten Vaters, der den Quatsch auch nicht mehr hören kann.

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