Zu den Seltsamkeiten des globalen Siegeszugs des Weihnachtsfests gehört seine untrennbare, sozusagen neuronale Verknüpfung mit nördlichem Winterwetter von Polarkreis-Dimensionen: Signalrote kältebeständige Funktionskleidung mit Zipfelmütze, Schlitten, Rentiere und natürlich Schnee, Schnee, Schnee, so weit das Auge reicht.
Stall oder Skihütte?
Weihnachten ist „Winter Wonderland“, was nicht erst in Zeiten des Klimawandels von der Realität des größten Teils der per Jungfrauengeburt erlösten Mensch- oder auch nur Christenheit weit entfernt ist. Auch der Stall in Bethlehem, so arm er gewesen ist, war keine Skihütte, und in der biblischen Weihnachtsgeschichte ist von Frost keine Rede. Der Schnee ist aus der volkstümlichen Ikonografie des Fests trotzdem nicht wegzudenken.
Bing Crosby dürfte mit „White Christmas“ daran nicht unmaßgeblichen Anteil haben. Sein zum ersten amerikanischen Kriegsweihnachten 1941 erstmals im Radio vorgetragener Song gilt als meistverkaufter Weihnachtshit aller Zeiten (ca. 50 Millionen) und ist auch dank unzähliger Coverversionen einer der bekanntesten. Dabei war schon bei dem vom jüdischen Komponisten Irving Berlin erschaffenen Sehnsuchtsruf nach „weißer Weihnacht“ der Witz, dass er eigentlich von einem verlorenen Kindheitsbild erzählt, von einer Utopie, was ihn heute wieder aktuell erscheinen lässt.
Mit dem fröhlich-sonnigen „Mele Kalikimaka“ sorgte Crosby dann selbst für die Antithese, die er Mitte der 50er-Jahre sogar an den Schluss seiner klassischen, mehrfach erweiterten Weihnachtskompilation „Merry Christmas“ stellte: ausgelassene Weihnachtsgrüße aus dem Land, wo sich im milden Wind die Palmen wiegen. Grüner wird es nicht: „Here we know that Christmas will be green and bright/ The sun to shine by day and all the stars at night“.
Der in Honolulu geborene Komponist R. Alex Anderson hatte den Song 1949 geschrieben und ihn Crosby, seinem Golfpartner, vorgespielt. Die klassische Decca-Aufnahme gemeinsam mit den Andrew Sisters entstand 1950 und ist das perfekte Gegengift für alle, denen „White Christmas“ zu abgenudelt, winterlich trist oder auch, wer weiß das heute schon, irgendwie zu rassistisch klingt. Eine tolle neue Fassung des Hawaii-Ohrwurms für Kinder gibt es übrigens von „Eddi Musik“ (Nils Kacirek und Franziska Biermann).
„Mele Kalikimaka“ ist kein ursprüngliches Hawaiianisch, sondern ein Lehnwort, schlicht „Merry Christmas“ in hawaiianischer Aussprache beziehungsweise Umschrift. Diese Sprache kennt etwa die Laute R und S nicht, Konsonanten können hier nie am Ende einer Silbe stehen, und Y wird zu E. Wenn man es ein paar Mal gesungen hat, ob unter Tannen oder Palmen, geht es selbst nach mehreren Bechern Glühwein ganz ohne Zungenbrechen.