Neue Wörter lenken unser Denken in eine neue Richtung. Sieben interessante Wortschöpfungen, die uns die Welt etwas anders sehen lassen.
1. Cercle Vertueux – Positiver Kreislauf (Frankreich)
Wir kennen den Teufelskreis, doch warum sollte es nicht das Gegenteil geben – einen Kreislauf positiver Dinge? Ein Beispiel: Eine Stadt verbessert ihre Infrastruktur, was den Bewohnern zu höherer Lebensqualität verhilft und zu höherer Produktivität. Die Unternehmen machen mehr Umsatz, die Steuereinnahmen der Stadt steigen und die kann wieder … in die Infrastruktur investieren.
Die Franzosen kennen das als einen „cercle vertueux“, direkt übersetzt „tugendhafter Kreislauf“. Ein Wortspiel mit dem „cercle vicieux“, dem Teufelskreis! Den Glückskreislauf gibt es übrigens auch im Englischen als „virtuous circle“, der noch mehr dem Teufelskreis im Englischen ähnelt: dem „vicious circle“. Der Teufel steckt eben im Detail.
2. Desenrascanço – Aus dem Land der Lebenskünstler (Portugal)
Man KANN lange vorausplanen und für viele Eventualitäten gewappnet sein. Doch was, wenn ein unvorhergesehenes Problem eintritt, deine Eltern bei dir übernachten wollen und deine Wasserleitung das mit einem Rohrbruch feiert? Da heißt es, spontan eine gute Lösung finden, einen „desenrascanço“.
Das portugiesische Verb „desenrascar-se“ bedeutet „sich behelfen“. Die Substantivierung „desenrascanço“ könnte man nun mit Behelfslösung übersetzen. Während eine Behelfslösung aber etwas aus der Not geborenes und weniger positiv besetzt ist, betont „desenrascanço“ das Positive am Behelf: ein anschauliches Beispiel für Improvisationskunst. Die Portugiesen sind außerordentlich stolz auf ihr Händchen für „desenrascanços“. Und das solltest du auch sein, während du mit Isolierband die Wasserleitung flickst – schließlich erschaffst du gerade einen waschechten „desenrascanço“!
3. Flexcation – Der elastische Urlaub (USA / Großbritannien)
Spätestens seit Corona ist die Heimarbeit aka Homeoffice zur Normalität geworden. Wer überhaupt nicht ortsgebunden ist, kann mit seiner Arbeit verreisen. „Vacation Office“ würden wir dafür als Begriff wahrscheinlich zusammenschustern, äquivalent zum Homeoffice. Aber zum Glück gibt es dafür schon einen anderen Begriff: „flexcation“. Obwohl, die Wortkreation impliziert noch mehr.
Im Blog des Cambridge Dictionary wird „flexcation“ so definiert: „Urlaub, in dem die Eltern zeitweise in Heimarbeit sind (aber eben im Hotel oder Wohnmobil) und die Kinder im Homeschooling. Das erlaubt der Familie, länger zu verreisen als normalerweise und zu einer anderen Zeit im Jahr, als es sonst möglich wäre.“ Italien-Urlaub im Herbst, auch über die Ferien der Kinder hinaus? Wer das macht, geht auf „flexcation“ – und darf sich über die kulante Schulleitung seiner Schützlinge freuen (Stichwort Schulpflicht).
Apropos Reise. Das ist der zweite Teil unserer Sprachreise. Falls du den ersten Teil verpasst hast, kannst du den schon mal im Hintergrund öffnen:
4. Tartle – Benenne deine Unsicherheit und sie wiegt weniger schwer (Schottland)
Wer kennt‘s: Eine dir völlig unbekannte Person grüßt dich herzlich und sagt deinen Namen. Nun ist es an dir, den Gruß zu erwidern. Perplex wie du bist, kramst du panisch in deinem Kopf nach einer Begrüßung, bei der du nicht durchblicken lässt, dass du dich an dein Gegenüber überhaupt nicht erinnern kannst. Die Person guckt dich erwartungsvoll an, peinliche Stille macht sich breit. Gäbe es doch bloß ein Wort, mit dem du die Situation auflockern könntest!
Die Schotten sind da besser aufgestellt, wie das Scottish National Dictionary mit dem Eintrag „tartle“ belegt: „zögern, unsicher sein, ob man eine Person oder eine Sache kennt“. Ein sympathisches Wort, mit dem du die peinliche Stille auflösen kannst: „Sorry for my tartle.“ Nur an der Bekanntheit hapert es noch. Auf die Frage, wer „tartle“ schon mal gehört hat, meinen die meisten Schotten im Online-Forum Quora, sie würden das Wort nicht kennen. Vielleicht kennen manche von ihnen es ja doch und es war nur ein „tartle“?
5. Mångata – Der Mondweg (Schweden)
Das Deutsche hat ja viele schöne romantische Wörter – wie Freudentaumel oder Hoffnungsschimmer. Also wie konnte es passieren, dass die romantischen Mondnächte nicht durch Wortschöpfungen Eingang in unseren Sprachgebrauch fanden?
Vielleicht können wir von den naturverbundenen Schweden lernen. Das Mondlicht auf dem Wasser hat es ihnen angetan und sie zu „mångata“ (Aussprache ungefähr „monngata“) inspiriert. „Måne“ heißt Mond und „gata“ bedeutet Straße. Das Online-Wörterbuch dict.cc übersetzt „mångata“ als „mondbeschienener Streifen auf der Wasseroberfläche, der an einen Weg erinnert“. Hach …
6. Tang ping – Hakuna Matata in Fernost (China)
Auf Chinas jungen Leuten lastet enormer Druck: Sie müssen oft allein ihre Eltern unterstützen und die wiederum erwarten deshalb, dass ihr Kind Karriere macht. „Der Druck ist gewachsen wegen der Ein-Kind-Politik. Gleichzeitig werden im Beruf mehr Überstunden erwartet“, so Kerry Allen, die für die BBC die chinesischen Medien beobachtet.
Das Hamsterrad der Selbstausbeutung wollen nicht alle jungen Chinesen akzeptieren. „Mich hinlegen ist meine weise Bewegung“, schreibt ein User im chinesischen Online-Forum „Baidu Tieba“. Sein Post wurde gelöscht, wie die BBC berichtet, doch er hatte einen Nerv getroffen: Sich flach hinlegen, „tang ping“ (躺平), wurde das Motto einer ganzen Gegenbewegung. Auf der Mikroblogging-Site „Sina Weibo“, die 340 Millionen registrierte Benutzer hat, wurde heftig darüber diskutiert.
Brauchen wir auch ein „tang ping“? Anscheinend schon, denn junge Erwachsene stellen viel zu hohe Anforderungen an sich selbst, wie diese Online-Befragung der Universität Potsdam und der Universität Hohenheim vor Augen führt.
7. Kuchisabishii – Essen, weil der Mund einsam ist (Japan)
Wir kennen den Heißhunger, ein Warnsignal des Körpers, das Fressattacken auslöst. Und wir kennen auch das Frustessen, wenn wir Trost bei Hamburger, Eis & Co. suchen. Doch es gibt kein Wort im Deutschen dafür, wenn man einfach so isst, ohne dass es gleich Heißhunger oder Frustessen sein muss.
Die Japaner nennen das „kuchisabishii“ – essen, weil der Mund einsam ist. Schreibt sich im Japanischen so: 口寂しい. Dabei steht 口, „kuchi“, für Mund. 寂しい, „sabishii“, bedeutet einsam.
Nun bist du gefragt: Wofür bräuchte es noch ein Wort im Deutschen? Schreibe es in die Kommentare!
Übrigens: Im Deutschen gibt es auch wunderschöne Wörter, die du wahrscheinlich gar nicht mehr kennst. Oder doch? Prüfe es in diesem Quiz:
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