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  4. Uhren: Longines-Chef Walter von Känel zieht Bilanz

Uhren Zehn Minuten Zeit

Zahlt es sich aus, auch in China zu verkaufen?

Seit 30 Jahren ist Walter von Känel Präsident von Longines. Muss man die Marke neu erfinden? Was ist mit einer eigenen Smartwatch - und was bringt das Engagement in Asien wirklich?
Eine Smartwatch plant er nicht, an Quarz will er festhalten: Longines-Chef Walter von Känel 
Eine Smartwatch plant er nicht, an Quarz will er festhalten: Longines-Chef Walter von Känel 
Quelle: Beate Nowak

Er ist ständig unterwegs und entsprechend schwer zu treffen. Aber an einem Sonntagmorgen, an dem tatsächlich die Sonne scheint, empfängt Walter von Känel uns in einem Hotel am Berliner Gendarmenmarkt. Er hat Zeit mitgebracht, mehr als eine Stunde dauert das Interview. Und er scheut sich auch nicht, über Persönliches zu sprechen.

ICONIST: Herr von Känel, Sie sind schon so lange bei Longines, dass Gerüchten zufolge Ihr Büro-Gummibaum durch die Decke gewachsen ist.

Walter von Känel: In Wahrheit ist das ja gar nicht mein Gummibaum. Er gehört meiner Sekretärin. Sie ist schon längst im Ruhestand, aber sie schaut immer wieder vorbei, um nachzusehen, wie es der alten Pflanze geht.

ICONIST: Im Ernst: Sie arbeiten seit 1969 für die Marke, seit 30 Jahren führen Sie sie als Präsident. Kann man die Uhrenbranche von damals mit der heute überhaupt noch vergleichen?

Von Känel: Äußerlich haben sich vor allem die Eigentumsverhältnisse geändert. Als ich 1969 zu Longines kam, war das Unternehmen noch in der Hand der alten Besitzerfamilie. Heute ist die Marke – wie viele andere – in eine große Gruppe integriert. Viel wichtiger ist aber, was damit einherging: Früher hatten die Techniker das Sagen. Da hieß es: „Wir entwickeln etwas, und ihr müsst es dann verkaufen.“ So läuft es, glaube ich, heute noch in Japan. Hier haben wir das aber Schritt für Schritt gewendet. Heute sagen wir den Technikern, was wir verkaufen können. Weil es zum Markt passt, zur Marke und zum Kunden. Glücklicherweise haben das die meisten verstanden.

ICONIST: War das auch eine Lehre aus der Quarzkrise der 70er- und 80er-Jahre?

Von Känel: Nicht unbedingt. Unsere erste Quarzuhr erschien ja auch schon 1969, im selben Jahr wie die von Seiko. Allerdings nur in ganz kleiner Auflage. Wir haben dann sogar ein bisschen mit Digitalanzeigen herumgespielt. Es gab auch eine hybride Uhr für den Swissair-Boardshop – und wir mussten die Flugbegleiter in der Bedienung schulen. Als die asiatischen Digitaluhren dann nur noch fünf Dollar kosteten, haben wir beschlossen: Wir bleiben analog. Aber an den Quarzuhren haben wir immer festgehalten.

ICONIST: Lockt es Sie denn heute nicht, eine eigene Smartwatch zu bauen?

Von Känel: Nein, die Modelle wechseln da viel zu schnell, sind heute hip und morgen veraltet. So schnell arbeiten Apple und Samsung, aber keine Uhrenhersteller.

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ICONIST: Wie hoch ist denn heute insgesamt der Anteil von Quarzuhren bei Longines?

Von Känel: Der liegt bei etwa 20 Prozent. Und er wird mit dem Erfolg der „Very high Precision“-Modelle noch etwas ansteigen. Quarz ermöglicht uns niedrige Einstiegspreise und versetzt uns in die komfortable Situation, dass wir je zur Hälfte Damen- und Herrenuhren verkaufen. Frauen wechseln die Accessoires häufiger, wollen sich dann nicht erst mit dem Einstellen der Zeit bei einer mechanischen Uhr abmühen. In China allerdings ist das ganz anders: Da ist man ganz auf mechanische Uhren fixiert.

ICONIST: Sie haben in China vergangenes Jahr eine Allianz mit mit dem Onlinehändler Alibaba geschlossen. Zahlt die sich schon aus?

Von Känel: Bislang ist das für uns vor allem ein Marketinginstrument, mehr Analyse- als Verkaufstool. China ist ein iPhone-Land. Die Kunden können jetzt jederzeit unsere gesamte Kollektion ansehen. Und wir lernen wiederum eine Menge über die Kunden: beispielsweise, dass Online-Käufer einen ganz anderen Geschmack haben.

ICONIST: Wie äußert sich das?

Von Känel: Sie wollen auch die Heritage-Modelle, die in den chinesischen Geschäften kaum eine Rolle spielen. Außerdem verkaufen wir in China jetzt endlich auch Taucheruhren. Noch vor wenigen Jahren wollten die Chinesen nur Elegantes fürs Büro, Freizeit war kein Thema. Jetzt zeigt man sich sportlich. Und es gibt in China immer mehr gut verdienende, unverheiratete Frauen: Die kaufen sich Uhren mit größerem Durchmesser. Unsere wichtigste Informationsquelle sind aber immer noch die Geschäftsführer der Shops und die Juweliere. Deshalb haben wir ihnen gerade wieder versichert, dass es für den Alibaba-Kunden keine Rabatte und Sonderangebote gibt. Zugleich bekämpfen wir den Graumarkt in China genauso gnadenlos wie in Italien und der Türkei, wo er auch ein echtes Problem darstellt. Wenn sich ein Retailer nicht an die Regeln hält und den Graumarkt bedient, dann war’s das für ihn.

ICONIST: Unterscheiden sich die nationalen Geschmäcker immer noch so stark voneinander, kommt es nicht zu einer Globalisierung des Geschmacks?

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Von Känel: Nein, der US-Markt zum Beispiel funktioniert ganz anders, vor allem ist da Quarz viel wichtiger. In Europa wird auch viel von Chinesen gekauft, das verunklart das Bild etwas, aber: Die Italiener wollen immerzu Heritage-Uhren, in Deutschland fängt das erst an. Insgesamt aber verlangen auch die Männer große Uhren, und Diver sind überall ein Thema.

Drei Konzepte: „Heritage Military“ im Retro-Look (l., 1840 Euro), „Conquest V.H.P.“ mit präzisem Quarzwerk (M., 900 Euro) und Taucheruhr „Hydro Conquest“ (r., 1390 Euro)
Drei Konzepte: „Heritage Military“ im Retro-Look (l., 1840 Euro), „Conquest V.H.P.“ mit präzisem Quarzwerk (M., 900 Euro) und Taucheruhr „Hydro Conquest“ (r., 1390 Euro)
Quelle: Longines(3)

ICONIST: Sie haben auch eine beeindruckende Karriere beim Militär gemacht. Angeblich werden Sie bei Longines bis heute mit „Colonel“ angeredet.

Von Känel: Nein, die Mitarbeiter sagen „Chef“. Aber es ist schon richtig, die Zeit beim Militär war wichtig, schon weil ich dort die Gelegenheit hatte, auch ohne höhere Schulbildung Karriere zu machen. Ich bin da erzogen worden, zu Konsistenz und Konzentration: Was ist dein Job? Du kannst nicht alles, aber mach, was du kannst, so gut es geht! Übertragen auf Longines heißt das vielleicht auch: Bleib in deinem Preissegment!

ICONIST: Und spielen die Verbindungen aus der Armee auch eine Rolle im Zivilleben?

Von Känel: Ja, natürlich, da ähnelt das Schweizer System dem in Israel. Es geht um die Idee der Miliz, der Bürgerwehr zur Landesverteidigung. Das ist heute nicht mehr so stark ausgeprägt wie zu Zeiten des Kalten Krieges, aber natürlich kennt man viele vom Militär her, das verbindet. Ich war außerdem auch als Offizier immer ganz dicht bei meinen Leuten, genau wie heute im Unternehmen. Allerdings bin ich auch da noch streng, wenn mich jemand nicht anständig grüßt. Bis vor Kurzem war ich dazu in der Kommunalpolitik aktiv, da habe ich noch anderes dazugelernt. Toleranz, Zuhören, Kompromissbereitschaft.

ICONIST: Das heißt, dass Sie die Krise von 2016 vielleicht auch deshalb gut überstanden haben, weil Ihr Haus so kontinuierlich geführt wird wie ein Familienbetrieb?

Von Känel: Nein, darum geht es nicht. Eher darum, dass Papa Hayek die Gruppe in Herstellung und Vertrieb ganz klar aufgestellt hat: Wer macht was? Wer sponsert welchen Sport? Das funktioniert. Und deshalb lässt man uns große Freiheit, solange die Zahlen stimmen. 2016 war stark durch die Anti-Korruptions-Kampagnen in China bestimmt. Die High-End-Marken hatten darunter stark zu leiden. Wir aber haben klar davon profitiert, weil statt extrem hochpreisiger Stücke vermehrt unsere Uhren gekauft wurden.

ICONIST: Was ist mit den jungen Leuten, die sich immer weniger für Uhren interessieren?

Von Känel: Die wollen vor allem sportliche Modelle. Für junge Leute muss es bezahlbar bleiben, auf jeden Fall unter 1000 Euro, und absolut verlässlich sein, mit langer Batterielebensdauer. Wir haben alle Händler angewiesen, jedes Conquest V.H.P. „Very high Precision“-Modell, dessen Besitzer fragt, warum die verdammte Uhr nicht laufe, sofort auszutauschen. Auch wenn der Kunde einfach die Bedienungsanweisung nicht verstanden hat. Die Uhr als emotionaler Gegenstand muss für junge Leute auch mit geeigneten Testimonials verbunden sein. Das ist in China besonders wichtig, aber auch immer mehr in Japan und Korea.

ICONIST: Was ist noch zu tun?

Von Känel: Insgesamt müssen wir wahrscheinlich doch noch gründlicher auf die Bedürfnisse der einzelnen Märkte eingehen, speziell in den USA. Wobei die Händler manchmal ein kurzes Gedächtnis haben. Die Italiener wollten vor einer Weile unbedingt eine quadratische, goldene Damenuhr. Die haben wir gemacht. Und jetzt liegen immer noch ein paar Hundert davon bei mir.

ICONIST: Sie sind auch noch ein ambitionierter Sammler der verschiedensten Dinge: Bücher, Waffen, Malerei. Und Sie haben früh ein Longines-Museum in der Fabrik eingerichtet.

Von Känel: Ja, das war 1992. Glücklicherweise war nie etwas weggeworfen worden. Und es sind auch die alten Bücher erhalten, in denen früher jede produzierte Uhr vermerkt wurde. Heute kommen pro Tag 40 bis 60 Anfragen von Sammlern zu Seriennummern. Die Museumsbesucher können das auch vor Ort recherchieren. Meine private Sammlung möchte ich auch in ein Museum umwidmen, mit dem Schwerpunkt auf der Geschichte dieser Region. Ich habe meiner Frau und meinen Kindern schon gesagt, dass sie also mit einem geschmälerten Erbe rechnen müssen. Jedenfalls gibt es Überlegungen, auch die Longines-Sammlung dort einzubringen. Dann könnte sie auch sonntags besichtigt werden. Aber die Besucher würden die Fabrik nicht mehr sehen. Und ich würde die Besucher und ihre Geschichten sehr vermissen.

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