An diesem Samstagabend war die Stadt auf den Beinen; in den Bars, Clubs, mit Koks oder ohne, immerhin auf Trab. Bei uns lief der große Schlagerabschied von Jürgen Drews in der ARD. Wir lagen auf dem Sofa und beleidigten Moderator Florian Silbereisen. Sein Gesichtsausdruck, seine extrem schlecht imitierte Freundlichkeit, dieses Pathos, das passte uns alles nicht.
Natürlich schalteten wir nicht um. Wie Jugendliche in schlecht gelüfteten Jugendzimmern hockten wir nebeneinander und warfen uns Wortfetzen hin und her. Es war egal, was im Fernsehen lief, wer sprach. Hauptsache, wir waren beieinander. Basti und ich hingen ab. Es gab keine Filter, keine selbstauferlegte Höflichkeit, keine sinnvolle Aktivität, kein Ziel. So etwas habe ich zuvor lange nicht gemacht, wann wurde ich aus diesem Paradies verstoßen?
Als ich jünger war und ohne die erwachsene Vorstellung ausgestattet, dass dieser oder jener Termin wichtig sei, habe ich ständig so mit meinen Freunden abgehangen. Meist hatten wir dabei einen Controller in der Hand, auf dem Flachbildfernseher flimmerte ein Fußball-Playstation-Spiel. Diejenigen, die nicht dran waren, piesackten den Verlierer, spielten sich zum Live-Kommentator auf oder schauten gelangweilt durch die Gegend. Sie saßen dabei auf dem Boden.
Heute, wenn ich einen Freund treffe, muss ich gleich etwas Richtiges mit ihm unternehmen, so fühlt es sich jedenfalls an. Wir gehen ins Theater, wenn wir uns sehen, ins Museum oder zumindest in ein Café, um gepflegt miteinander zu reden. Unsere Zeit ist nun vermeintlich so knapp geworden, dass sich „einfach nur abhängen“ wie leichtsinnige Zeitverschwendung anfühlt. Der Optimierungsdruck der Moderne hat uns so geformt, dass wir uns nicht mal mehr Stumpfsinn mit Freunden erlauben.
Dabei ist miteinander abzuhängen nichts weiter als das offene und freundschaftliche Eingeständnis: Ich bin lieber mit dir zusammen als allein – selbst wenn wir nichts Besonderes machen. Aber man hört natürlich schon wieder die Populär-Psychologen konstatieren, dass man ja auch mal Einsamkeit aushalten müsse. Ihnen kann man zurückrufen: nervt nicht!
Denn die Post-Pandemie-Gesellschaft ist eh schon viel zu einsam geworden, erst recht in Großstädten. Jeder geht allein ins Fitnessstudio und schaut dabei aufs Handy, geht allein in Ausstellungen, schaut allein Netflix – und verdrängt so nach und nach das gemeinsame Nichtstun, das viel mehr Intimität schaffen kann als so mancher deep talk.
Neulich war ich in Antalya, in der Türkei, im September, die Mittagssonne drückte. Ich musste Geld abheben in einer internationalen Bank. Der einzige Mitarbeiter in der Filiale schaute YouTube-Videos auf dem Handy, als ich hereinkam. Sein Kumpel saß daneben und trank Schwarztee. Er arbeitete hier gar nicht, hatte keinen Auftrag, bekam kein Geld, er wollte einfach bei seinem Freund sein. Manchmal half er bei Übersetzungen, manchmal holte er neuen Tee oder führte private Telefonate. Wie aufrichtig und uneitel! Die meisten Erwachsenen würden sich einreden, dass sie etwas Besseres zu tun haben, als ihrem Freund beim Arbeiten zuzuschauen. Ich hätte mich gerne dazu gesetzt und dabei an meinen Freund gedacht, den ich früher beim Pizza-Ausliefern begleitet habe. Ich saß auf dem Beifahrersitz, spielte die Musik, wir quatschten oder schauten auf die Straße. Fenster auf, Arm raus und die Kippe qualmt zwischen den Fingern. Habe ich heute wirklich so wenig Zeit?
Zum Abhängen verabredet man sich nicht, es passiert einfach – das macht die Magie und die Leichtigkeit dieser Disziplin aus. Wenn man sich als Erwachsener Anfang dreißig mit einem Freund treffen will, hört man aber viel zu oft: „Wie sieht es denn übernächste Woche Donnerstag bei dir aus?“. Sorry, aber da ist der Ofen bei mir schon aus. Wie unattraktiv, wenn Begegnungen mit Freunden so geplant werden müssen. Ich will unangekündigt an seiner Haustür klingeln, mich aufs Sofa schmeißen, ihm dabei zuschauen, wie er eigentlich keine Zeit für mich hat und E-Mails abarbeiten muss. Zwischendurch werfen wir uns Wortfetzen hin und her, er beschwert sich über die Kollegin, ich schaue aus dem Fenster. Nur so können wir das Band der Einsamkeit durchschneiden, nur so kommen wir uns wirklich nah.