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Gesundheit Panikattacken und Anfälle

„Sie stellt sich mir in den Weg und weicht keinen Millimeter zur Seite“

Junge Frau, von hinten fotografiert, umarmt Dalmatiner, der den Kopf auf ihre Schulter legt Junge Frau, von hinten fotografiert, umarmt Dalmatiner, der den Kopf auf ihre Schulter legt
Gefährte fürs Leben: Ungefähr 3000 Assistenzhunde sind deutschlandweit im Einsatz
Quelle: Getty Images
Assistenzhunde können eine Unterzuckerung oder Viruserkrankungen ebenso wie bevorstehende Krampfanfälle erkennen – und dem Menschen dann zu Hilfe kommen. Sie merken offenbar sogar, wenn nach einem psychischen Trauma plötzliche Flashbacks drohen. Wie gelingt ihnen das?
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Sie ist schwarz, knapp ein Jahr alt, liebt Wasser, das Herumtollen und auch ihren Job. Den nimmt Dori ziemlich ernst. Die Labradorhündin ist ein besonderes Tier. Weit mehr als eine Begleiterin, ein guter Kumpel. Dori ist für ihren „Best Buddy“, Marie Bauer, zu einer therapeutischen Assistentin geworden, hilft ihr, den schwierigen Alltag zu bewältigen. Denn die Hündin schenkt Marie, was diese braucht: das Gefühl der Sicherheit.

Seit einem Arbeitsunfall mit Hirnprellung vor nicht ganz zwei Jahren sitzt Marie Bauer im Rollstuhl. Bauer, die in Süddeutschland lebt, möchte anonym bleiben, ihr Name ist eigentlich ein anderer. Die 20-Jährige hat durch den Unfall Lähmungserscheinungen in den Beinen, doch sie leidet auch unter Schmerzen und seit Langem schon unter Albträumen und einem Tourette-Syndrom.

Bei der neuropsychiatrischen Erkrankung verspüren Betroffene das unwiderstehliche Verlangen, Grimassen zu schneiden oder Geräusche von sich zu geben. Marie Bauers komplizierte Geschichte begann bereits früh, in Kindheit und Jugend durchlebte sie wiederholt traumatisierende Situationen, vor Jahren diagnostizierten Ärzte bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung. Sie geht bei ihr mit stressbedingten Krampfanfällen einher.

Assistenz für Menschen mit Autismus oder Depressionen

Nun allerdings sind Marie Bauer und Dori ein Team. „Es hilft mir, wenn ich merke, Dori ist an meiner Seite“, sagt Bauer selbst. „Ich weiß, sie will mir nie etwas Böses.“ Seit einem halben Jahr lebt die Labradorhündin bei ihr. Mit feinem Gespür erkennt sie frühzeitig Maries Emotionen und kommt ihr zu Hilfe, wenn sie Alpträume, Panikattacken oder Krämpfe überrumpeln wollen.

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Dori ist in der Ausbildung zum Assistenzhund – schätzungsweise 3000 dieser speziell trainierten Hunde sind in Deutschland im Einsatz. Gut bekannt sind Blindenführhunde, doch ebenso gibt es Signalhunde für Gehörlose oder Assistenzhunde für Menschen mit Autismus oder schweren Depressionen. Diabetiker-Warnhunde weisen Typ-1-Diabetiker oft schon viele Minuten vorher auf riskante Schwankungen des Blutzuckerspiegels hin, und offenbar können Hunde selbst traumatische Stresssituationen bei ihren Besitzern vorhersehen. Im Gegensatz zu Therapiehunden – die etwa als Besuchshunde in Altenheimen oder in der Psychotherapie eingesetzt werden – werden Assistenzhunde für ihren Menschen individuell trainiert, um ihn durch seinen Alltag zu begleiten.

Einzukaufen beispielsweise ist für Marie Bauer besonders schwierig. Dann sind viele Menschen um sie herum, viele Reize – für sie oft zu viele. Ein Besuch im Drogeriemarkt kann in einem Krampfanfall enden, mit der Gefahr, dass sie aus dem Rollstuhl kippt. Psychologen und Krampfspezialisten vom Bielefelder Fachkrankenhaus Mara haben erst kürzlich die komplexe Entstehung dieser sogenannten dissoziativen Anfälle analysiert, die – anders als eine Epilepsie – keine klare neurologische Ursache haben, sondern vermutlich Ausdruck einer starken innerpsychischen Konfliktkonstellation sind.

Hilfe per „intelligenter Gehorsamsverweigerung“

Dank Dori wird Marie Bauer nun jedoch vorgewarnt. Die Labradorhündin hat gelernt, kleinste Veränderungen ihrer Körperspannung zu deuten und ihr zu zeigen, wenn ein Anfall droht. „Sie fährt dann beispielsweise wiederholte Male mit der Pfote an meinem Unterschenkel entlang“, erzählt Bauer. Es kann auch sein, dass sie mitten im Drogeriemarkt aufgeregt vor den Rollstuhl hüpft und bellt. „Oder sie stellt sich mir in den Weg und weicht keinen Millimeter zur Seite. Intelligente Gehorsamsverweigerung nennt sich das“, sagt Bauer. Sie kann sich dann eine ruhige Ecke suchen oder das Geschäft verlassen. Sind die beiden draußen unterwegs, sucht Dori in solchen Fällen einen sicheren Ort für Marie. Zu Hause legt sich Bauer dann einfach ins Bett.

Hunden wie Dori, die sich zum Assistenzhund eignen, sei ihre spezielle Sensibilität angeboren, sagt Sabine Huth. Die selbstständige Assistenzhundetrainerin aus Marktoberdorf im Allgäu hat ein Auge dafür, Dori kannte sie schon als Welpen. Neben dem Duo Dori/Marie arbeitet Huth derzeit mit neun weiteren Teams aus Mensch und Hund. Das Deutsche Assistenzhunde-Zentrum hat dafür klare Standards entwickelt, denn die Hunde müssen lernen, bei ihrer Arbeit beispielsweise Ablenkungen zu ignorieren, nicht zu schnüffeln oder sich im Restaurant ruhig zu verhalten.

Entscheidend sei, die Hunde in realen Problemsituationen zu trainieren, sagt Huth. In Bauers Fall bedeute dies, „dass Dori auch in Geschäfte hineindarf, in denen Hunde sonst nicht zugelassen sind.“ Fertig ausgebildete Assistenzhunde genießen oft Sonderrechte, doch sollten diese schon für das Training gelten, erklärt die Ausbilderin, die bisweilen auf Unverständnis stößt.

Veränderte Geruchsstoffe im Atem der Besitzer

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Dass Assistenzhunde Erstaunliches leisten, steht außer Frage: Ihr bemerkenswerter Sinn für feinste körperliche Signale kommt ihnen dabei zugute. So scheinen etwa Diabetikerhunde bei einer drohenden Unterzuckerung geringe, von den Betroffenen selbst gar nicht wahrgenommene Schwankungen der Atemfrequenz zu erkennen. Zudem detektieren sie vermutlich ein verändertes molekulares Profil von Geruchsstoffen im Atem ihrer Besitzer.

Der Geruchssinn von Hunden ist viele Tausend Male empfindlicher als jener des Menschen – und selbst Coronaviren entgehen ihrer Nase nicht. „Darauf trainierte Hunde können die Viren mit einer Zuverlässigkeit von über 70 Prozent im Atem eines Menschen erkennen“, beschreibt der Geruchsforscher Hanns Hatt von der Ruhr-Universität Bochum.

Wie kanadische Wissenschaftler in einer Studie nun festgestellt haben, könnten manche Hunde am Atem sogar erkennen, wenn sich bei einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ein „Flashback“ anbahnt. Damit sind Panikzustände gemeint, die durch einen mit dem Trauma verknüpften Schlüsselreiz unwillkürlich ausgelöst werden

Dies kann beispielsweise bei Frauen mit Missbrauchserfahrung der Anblick ihres früheren Peinigers sein, aber auch der Kontakt zu anderen Männern von gleicher Statur oder mit gleichem Rasierwasser. Durch fehlerhafte Abspeicherung von Trauma-Erinnerungen im Gehirn erleben die Betroffenen die Situation dann so, als würde sich das Trauma wiederholen – inklusive Schweißausbrüchen und Herzrasen.

Therapiehunde als Schutz vor traumatischen Flashbacks?

Auch die Geruchsstoffe in der Atemluft scheinen sich in einer Stresssituation zu verändern. Eben darauf konnten die kanadischen Forscher zwei besonders begabte Hunde trainieren: Anhand von medizinischen Masken, in die Personen mit Trauma-Erfahrungen bei Interviews geatmet hatten, erschnüffelten die Tiere in den meisten Fällen, ob die Probanden entspannt gewesen waren – oder aber bei Fragen zu ihrer Trauma-Geschichte in Aufregung gerieten.

„Die Studie zeigt erstmals, dass Hunde lernen können, genau jene mit PTBS-Symptomen verbundenen Geruchsstoffe zu entdecken“, kommentiert die Psychologin und Trauma-Expertin Larissa Wolkenstein von der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Diese Hunde könnten trainiert werden, einen nahenden Flashback früh zu unterbrechen, indem sie Kontakt mit ihrem Schützling aufnehmen und ihn warnen“, sagt Wolkenstein.

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Auch bei Marie Bauer stellen sich – neben den Krampfanfällen – immer wieder Panikzustände ein. Sie werden bei ihr etwa durch laute Geräusche wie die Sirene eines Krankenwagens oder Wörter wie „Krankenhaus“ ausgelöst. Denkbar wäre, dass Dori lernt, ihr dann eine Art Notfalltasche zu bringen, noch bevor die Panik einsetzt. „In einer solchen Tasche können verschiedene Dinge enthalten sein, die einem guttun, wie ein Igelball, scharfe oder saure Bonbons oder sehr starke Geruchsstoffe“, erläutert Wolkenstein. Denn mit solchen Reizen lasse sich oft ein Abgleiten in die traumatische Erinnerung vermeiden.

Zahl der täglichen Krampfanfälle ist gesunken

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Schon jetzt ist bemerkenswert, was Dori für Marie Bauer leistet. Vor Kurzem besuchten sie zusammen mit Sabine Huth einen großen Drogeriemarkt. Ein Krampfanfall kündigte sich bei Bauer an, doch waren sie zu weit vom Eingang entfernt, um noch rechtzeitig das Geschäft zu verlassen. Es blieb nur, in eine Ecke zu fahren und Bauer auf den Boden zu legen. Es war ihr erster Krampfanfall gemeinsam mit Dori in der Öffentlichkeit.

Die Hündin schmiegte sich an sie, um sie zu beruhigen, und leckte Bauer den Speichel vom Gesicht, damit sie sich nicht verschluckt und keine Hustenanfälle bekommt. „Sie hat das super gemacht“, lobt Sabine Huth die Labradorhündin, auf die sie sichtlich stolz ist.

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Früher hatte Marie Bauer drei bis vier Krampfanfälle pro Tag, mittlerweile ist es höchstens einer. Durch Doris aufmerksames Verhalten kann sich Bauer nicht nur vielen brenzligen Situationen besser entziehen: Die Hündin nimmt ihr auch ganz generell einen Teil des Stresses. Selbst eine lange bestehende spastische Verkrampfung in der linken Hand ist inzwischen verschwunden. Und zwar überfallen Bauer die Panikattacken weiterhin. Doch ließen sie sich womöglich durch Hilfsmittel wie besagte Notfalltasche verhüten, da Dori die Panik durchaus am Atem erkennt.

Anderthalb bis zwei Jahre dauert ein komplettes Assistenzhundetraining. Die Kosten werden in der Regel von den Krankenkassen nicht übernommen – allein für Doris noch verbleibende Ausbildung hätte Bauer 13.000 bis 14.000 Euro aufbringen müssen. Sie schätzt sich glücklich, dass sie inzwischen von einem regionalen Nothilfeverein für Menschen mit körperlicher und psychischer Hilfsbedürftigkeit finanziell unterstützt wird.

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Auch Larissa Wolkenstein hält die Arbeit der Assistenzhunde für wichtig, rät aber dazu, deren Hilfe möglichst mit einer Psychotherapie zu kombinieren. „Ansonsten entwickelt sich möglicherweise das Gefühl, dass man nur noch mit Hund aus dem Haus gehen kann. Das würde ein Vermeidungsverhalten unterstützen, was nicht das Ziel sein kann“, warnt Wolkenstein.

Die Psychotherapie, in der sich Marie Bauer befindet, wäre jedoch umgekehrt allein für sie zu wenig. Erst seitdem sie Dori hat, wagt sie sich wieder in die Öffentlichkeit. Sie weiß, dass sie sich jederzeit auf ihren Hund verlassen kann, sogar in der Nacht. Dori spürt intuitiv, wenn Bauer Alpträume hat, legt sich dann dicht an sie und leckt ihr das Gesicht, um sie zu wecken. Manchmal landet auch eine Pfote sanft in Bauers Gesicht.

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