Vermutlich war dem Eunuchen Wang Zhen sein Einfluss auf den Kaiser zu Kopf gestiegen. Auf jeden Fall nutzte er im Jahr 1449 seine Stellung als führender Beamter am Hof des chinesischen Kaisers Zhengtong (1427–1464), um auf einen mongolischen Raubzug mit der Mobilisierung einer riesigen Armee – in Quellen ist von 500.000 Mann die Rede – zu antworten. Das Ergebnis war die schwerste Niederlage, die China unter der Ming-Dynastie hinnehmen musste. Am 1. September 1449 geriet sogar der Kaiser in Gefangenschaft.
Die frühen Kaiser der Ming, die 1368 der Yuan-Dynastie nachgefolgt waren und damit die Herrschaft der Mongolen über China abschütteln konnten, hatten viel Kraft aufgewendet, um die Macht der Beamtenschaft zu beschneiden. Als aber mit Zhengtong 1435 ein Achtjähriger auf den Thron in der Verbotenen Stadt in Peking gelangte, sah sein Erzieher die Chance, das Rad zurückzudrehen. Das war Wang Zhen.
Während hinter dem Rücken des Kaisers die Beamten erstarkten, verschoben sich auch auf der anderen Seite der Großen Mauer die Machtverhältnisse. In der Steppe gelang es dem Clan der Oiraten, die Nachkommen des großen Dschinghis Khan an die Seite zu drängen und selbst nach der Würde des Großkhans zu streben. Um ihre Ansprüche zu legitimieren und ihre Gefolgschaften an sich zu binden, führten die Oiraten wiederholt Kriege gegen China. Das Ziel war es, die Tribute zu erhöhen, die das Kaiserreich in Form von „Geschenken“ in die Steppe lieferte.
Dabei tat sich vor allem ein gewisser Esen Tayishi hervor, der in den Quellen seit den 1430er-Jahren als nahezu einziger Empfänger von Seide, Gold-Brokat oder Schätzen erscheint. 1449 nahm Esen eine Kränkung zum Anlass, um mit seinem Heer in Nordchina einzufallen. Nachdem er die Große Mauer überwunden hatte, vernichtete er eine größere chinesische Truppe.
Wahrscheinlich sah Wang Zhen die Chance, mit einem erfolgreichen Gegenschlag die Stellung des inzwischen 22 Jahre alten Kaisers zu stärken (und damit auch seine eigene). Bei strömendem Regen machte sich das Heer zur Verfolgung auf, wobei es von seiner Größe eher behindert als gestärkt wurde. Am Rand der Steppe kamen Wang Zhen und die Generäle zu dem Schluss, dass ein Weitermarsch zu gefährlich sei. Sie proklamierten ihren Sieg und machten sich auf den Rückweg, auf einer Route, die Wang Zhens Ländereien tunlichst umgehen sollte.
Auf der Gegenseite behielt Esen mit seinen vielleicht 20.000 berittenen und hoch mobilen Kriegern das Gesetz des Handelns in der Hand. Mehrfach konnte er der kaiserlichen Nachhut empfindliche Verluste beibringen. Ende August bezogen Zhengtongs Truppen beim Wachtposten Tumu an der Festung Tumubao ein Lager. Den Rat, den Kaiser in einer nahen Festungsstadt in Sicherheit zu bringen, schlug Wang Zhen aus, vertraute stattdessen auf die Größe des Heeres und verzichtete darauf, es beizeiten in Schlachtlinie aufzustellen. Als die Mongolen am 1. September heranstürmten, wurden die Chinesen von ihrer eigenen ungeordneten Masse erdrückt.
Kaiser Zhengtong wurde gefangengenommen. Aber das exorbitante Lösegeld, das Esen forderte, blieb aus. Auch der Vorstoß gegen Peking scheiterte am Widerstand der Garnison. Nun aber zeigte sich, welche Macht die Beamten zurückgewonnen hatten. Sie setzten einfach „einen Ersatzregenten auf den Thron und machten bis zur Rückkehr des eigentlichen Kaisers vier Jahre weiter wie gehabt“, schreibt der China-Experte Peter C. Perdue. Übrigens nicht zum eigenen Vorteil, sondern durchaus zum Wohl des Reiches. Wang Zhen und seine Generäle wurden ermordet oder hingerichtet. Zhengtong, der nach seiner Rückkehr unter Hausarrest gestellt worden war, konnte 1457 nach einer Palastrevolte als Tianshun erneut den Thron besteigen.
Esen wurde mit seinem Triumph nicht glücklich. Zwar nahm er 1453 den Titel des Großkhans an. Aber viele mongolische Stämme verweigerten ihm die Gefolgschaft, weil er nicht aus der Familie Dschinghis Khans stammte. Am Ende wurde ihm sein Lebenswandel zum Verhängnis: Er galt als übler Säufer; 1455 wurde er ermordet.
Dieser Artikel erschien erstmals im September 2021.