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Geschichte Juan Perón

Obwohl seine Industriepolitik geradezu destruktiv war, wirkte sein Mythos fort

Vor 50 Jahren starb Argentiniens populistischer Präsident Juan Perón. Gerade einmal acht Monate hatte seine dritte Amtszeit nach 18 Jahren Exil gedauert. Sein Wirken war politisch kurzsichtig und ökonomisch desaströs. Trotzdem liebten ihn die Massen.
Juan Perón am Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer (Undatierte Aufnahme) Juan Perón am Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer (Undatierte Aufnahme)
Juan Perón am Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer (Undatierte Aufnahme)
Quelle: picture alliance / dpa

Das genaue Sterbedatum von Juan Domingo Perón kennt wohl nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten aus seinem engsten Umfeld. Offiziell gilt der 1. Juli 1974 als Todestag – in jenem Jahr ein Montag. Im argentinischen Winter ist es dann kühl und vor allem nass. Diese Nässe zieht vom Rio de la Plata herüber in die Ritzen der meisten Häuser in der Hauptstadt Buenos Aires, die auf echte Kälte schlecht vorbereitet sind.

Die Stimmung hier war Anfang Juli 1974 äußerst schlecht: Inflation hoch, Wirtschaftswachstum gering. Das Vertrauen in die Politik lag am Boden. Dabei hatte Perón doch erst Ende September 1973 mit überwältigender Mehrheit von 60 Prozent die Präsidentschaftswahlen klar gewonnen. Nach neun Jahren im Amt 1946 bis 1955 gestürzt und ins Exil gejagt, war ihm damit ein politisches Comeback gelungen, wie es wohl kaum jemand für möglich gehalten hatte. Irgendwann hatten die argentinischen Streitkräfte, die sich bis dahin als „Beschützer“ („Guardianes“) der argentinischen Demokratie fühlten, resigniert: Sollte Perón doch selber zeigen, ob er es wirklich besser konnte – so wie er es seit 1955 immer wieder medienwirksam von außen behauptet hatte.

Peróns Rückkehr hatte viel mit dem Zustand Argentiniens Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre zu tun. Vor allem die Gewaltbereitschaft verschiedener Organisationen hatte nicht zuletzt unter dem Einfluss der kubanischen Revolution und der Entwicklungen in Chile enorm zugenommen. Dazu zählten die peronistische Jugendbewegung „Juventud Peronista“, die „Montoneros“ (ein linksrevolutionärer Flügel der Peronisten, aus dem später eine der bekanntesten Stadtguerilla-Gruppen Lateinamerikas werden sollte) und der bewaffnete Arm der Revolutionären Arbeiterpartei Argentiniens, der „Ejército Revolucionario del Pueblo“.

Aus dem damals fernen Madrid hatte Perón jahrelang geschickt mit diesen Gruppen gespielt – und natürlich gedacht, dass nicht sie ihn, sondern am Ende er sie in der Hand habe. Eine echte politische Herausforderung, wie die Entwicklung zeigen würde.

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In den Monaten seit seinem Wahlsieg am 23. September 1973 und seiner offiziellen Amtsübernahme am 12. Oktober hatte Perón versucht, sich wieder als das zu etablieren, was er seiner Erachtens immer war: Der Gründer und Führer der peronistischen Bewegung, also der „Gerechtigkeitspartei“ (Partido Justicialista). Dazu gehörte das Prinzip der „verticalidad“: der Führung von oben nach unten.

Dies allerdings war den jungen Leuten egal: Sie gehorchten dem 78-jährigen General nicht. Diese Konkurrenz war längst in eine offen sichtbare Auseinandersetzung gemündet: Kurz vor seinem Tod hatte er sie bei einer politischen Veranstaltung lautstark von der „Plaza de Mayo“ vertrieben, dem Platz vor dem Regierungspalast. Der Kampf um die Deutungshoheit im Peronismus war damit unübersehbar.

Um sich nicht festzulegen, war Perón bei den Wahlen im September 1973 mit seiner dritten Frau als Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten angetreten. Maria Estela Martínez de Perón wurde in Anspielung auf Peróns zweite Frau Eva, besser bekannt als „Evita“, medienwirksam „Isabelita“ genannt. Die frühere Nachtclubtänzerin hatte den General im Exil kennengelernt und 1961 geheiratet. Anders als Evita war sie unpolitisch und geriet immer mehr unter den Einfluss von Peróns rechter Hand José Lopez Rega, seinem „Mann fürs Grobe“. Der wiederum hatte die „Triple A“ mit aufgebaut, die Antikommunistische Allianz Argentiniens („Alianza Anticomunista Argentina“) – den paramilitärischen Arm des Peronismus.

Juan Perón und seine Frau Eva „Evita“ auf einem Propaganda-Gemälde von 1949
Juan Perón und seine Frau Eva „Evita“ auf einem Propaganda-Gemälde von 1949
Quelle: Photo12/Universal Images Group via Getty Images

Längst wusste man Mitte 1974, dass es dem General gesundheitlich überhaupt nicht gut ging. Sein Tod kam dennoch überraschend. Schon am Tag danach wurde Isabelita hastig vereidigt, damit die politische Nachfolge geregelt war. In den knapp zwei Jahren ihrer Regierung rutschte Argentinien immer mehr ab ins politische und wirtschaftliche Chaos; das Ansehen des Peronismus erreichte einen neuen Tiefpunkt. Die sehnlich erhoffte und immer wieder versprochene Lösung aller Probleme Argentiniens war dieser Populismus jedenfalls nicht. Ein Militärputsch am 24. März 1976 beendete Isabelitas Amtszeit.

Wie und wo aber hatte alles begonnen? Juan Domingo Perón war am 8. Oktober 1895 in Lobos geboren worden, einem kleinen Flecken in der Provinz Buenos Aires, der wirtschaftlichen Herzkammer des Landes. Sein Vater war Viehzüchter, ein Onkel gehörte zu den bekanntesten Ärzte Argentiniens. 1911 trat Perón in die Offiziersschule des Heeres ein; dafür wurden Retuschen an seiner Geburtsurkunde vorgenommen: Sein Vater hatte den Jungen erst einige Jahre nach seiner Geburt anerkannt, und die Herkunft der Mutter verschwieg man, denn sie war eine Indigena vom Stamme der Pehuenches.

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Im Militär kannte Peróns Lebenslauf nur einen Weg: nach oben. 1930 wurde er Mitglied des Generalstabes des Heeres und beteiligte sich im September desselben Jahres an einem Militärputsch gegen die Regierung von Präsident Hipólito Irigoyen, der die jahrzehntelange verfassungsmäßige Ordnung unterbrach. In der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre war Perón als Militärattaché tätig, unter anderem in Berlin. Echte Bewunderung entwickelte er für das faschistische Italien unter Benito Mussolini. Deshalb schloss er sich nach seiner Rückkehr in Argentinien auch einer profaschistischen Militärloge an, der „Grupo de Oficiales Unidos“.

Italien als Vorbild

In völliger Verkennung der weltpolitischen Lage organisierte diese Gruppe Mitte 1943 einen Putsch gegen die zivile, prowestliche Regierung und steuerte Argentinien anschließend an die Seite der Achsenmächte. Innerhalb der neuen Regierung verlief Peróns Aufstieg kometenhaft: Vom Arbeitsministerium aus verbreiterte er systematisch seine Machtbasis. Dazu setzte er sozialpolitische Wohltaten durch, vor allem für jenen Teil der Bevölkerung, der in den Fabriken der die Hauptstadt umgebenden Vorstädte arbeitete und keine Bindung hatte an die eher europäisch geprägten Strukturen des argentinischen städtischen Proletariats. Diese „Descamisados“, also „hemdlos“ genannten Arbeiter wurden zur politischen Basis des Peronismus und begründeten den Mythos von Perón als wichtigstem Kämpfer für Arme und Entrechtete. 1944 stieg er zum Vizepräsidenten auf.

Als man in den Streitkräften begriff, wie einflussreich Perón geworden war, wollte man ihn entmachten. Aber da war es zu spät: Getragen von der Sympathie und Unterstützung der „Descamisados“ bereitete sich Perón auf die Übernahme der Macht vor. Seine damalige Lebensgefährtin Maria Eva Duarte, eine bekannte Schauspielerin, unterstütze ihn nach Kräften. Ende 1945 heirateten die beiden, und „Evita“ Peróns Aufstieg an der Seite des Generals schien danach unaufhaltsam: Als emotionales Band brachte sie Perón und die argentinische Arbeiterbewegung zusammen.

Nach den Präsidentschaftswahlen im Februar 1946 begann Perón rasch mit dem Umbau Argentiniens in einen dem faschistischen Italien nachempfundenen Korporativstaat. Seine politische Basis wurde die „Gerechtigkeitspartei“; in die Wirtschaft mischte er sich über die peronistischen Gewerkschaften ein, und die Landwirtschaft belegte er mit hohen Exportzöllen.

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Argentinien hatte, wie schon 1914 bis 1918, auch vom Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich profitiert. Angeblich musste man sogar die Goldbarren in den Fluren der Zentralbank stapeln. Dem Rohstoffgiganten im südlichen Amerika ging es gut, so dass alle Voraussetzungen für einen spektakulären Aufschwung nach dem Kriege gegeben waren. Der argentinische Peso galt 1945 als eine der stabilsten Währungen der Welt, vergleichbar dem US-Dollar und dem Pfund Sterling.

Was aber tat Perón? Er beglückte die „Desacamisados“ mit immer neuen sozialen Wohltaten. Mit den Kriegsgewinnen kaufte er den Engländern die maroden Eisenbahnen ab und feierte das als einen „Akt der nationalen Befreiung“. Millionen steckte er in den Aufbau einer argentinischen Nuklearindustrie im San Carlos de Bariloche (Patagonien).

Anfang der 1950er-Jahre waren die Kassen leer, der Wert des Peso war eingebrochen, und Inflation hatte sich eingenistet. Geldgeber aus dem Ausland machten einen Bogen um das Land; schließlich hatte die neue peronistische Verfassung von 1949 solches Kapital ausdrücklich verteufelt und Investitionen erschwert. Peróns „Dritter Weg“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus hatte das reiche Argentinien in eine Sackgasse geführt.

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Dennoch gewann er die Wahlen vom November 1951 mit einem rauschenden Sieg, errang 62 Prozent der Stimmen. Das war auch dem Einfluss der mittlerweile todkranken Evita geschuldet, die 1949 das Frauenwahlrecht durchgesetzt hatte. Ihr Tod Ende Juli 1952 markierte eine Zäsur. Nach einer unglaublich pompösen Beerdigung, wohl einmalig in ganz Lateinamerika, trat allgemeine Ernüchterung ein. Auch ließ sich Perón immer weniger im Kreise seiner Minister blicken und stattdessen öfter mit wechselnden, viel zu jungen Mädchen.

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Erstaunlicherweise suchte er zugleich den Kampf mit einem Gegner ganz besonderer Art, der katholischen Kirche. Dabei ging es nicht nur um die legale Gleichstellung nicht ehelicher Kinder, sondern vor allem um die Scheidung. Perón wollte sie unbedingt durchsetzen, die Kirche lehnte das ab. Dabei fand sie damals durchaus Rückhalt bei der Mehrheit der argentinischen Bevölkerung, die zu Rom hielt.

Mitte 1955 eskalierte der Kampf mit dem Klerus, als Perón katholische Publikationen verbieten und Priester inhaftieren ließ. Papst Pius XII. exkommunizierte den Präsidenten daraufhin: ein ungeheuerlicher Vorgang. Die argentinische Marine versuchte, Perón in einer blutigen Revolte zu stürzen, was aber scheiterte. Erst Anfang September hatte die „Revolucíon Libertadora“ („Befeiungsrevolution“) Erfolg, ein Bündnis aus Militär und Zivilisten.

Perón entkam ins Exil, von wo aus er das Geschehen in Argentinien permanent beeinflusste. So scheiterten alle Versuche, wirtschaftsfreundliche Ansätze durchzusetzen. Raúl Prebisch, ein international angesehener argentinischer Ökonom, rechnete schon Ende 1955 mit Perón ab. Doch obwohl seine Industriepolitik auf Pump beruhte und geradezu destruktiv war, die Verschuldung erschreckend hoch und ebenso die Inflation, die Argentinien vor Perón gar nicht gekannt hatte, wirkte sein Mythos weiter – und trug ihn im September 1973 erneut ins Präsidentenamt.

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