Tiefe Forsten, ausgedehnte Seen, schäumende Flüsse – das ist die Welt von Lederstrumpf. Der als Roman- und Filmheld bekannt gewordene Waldläufer zieht mit seinem Ziehvater Chingachgook und dessen Sohn Unkas durch die Neue Welt. Im Jahr 1823 erschien der erste der fünf Lederstrumpf-Romane: „The Pioneers“. Die Erzählungen des amerikanischen Schriftstellers James Fenimore Cooper (1789–1851) gehören zu den meistverbreiteten Büchern der Weltliteratur. Die Geschichten beflügeln auch die Fantasie in Rheinland-Pfalz, aus gutem Grund: War Lederstrumpf ein Pfälzer?
Die Argumente, ob der legendäre Jäger und Fallensteller vielleicht deutsche Wurzeln hat, sprudeln alle Jahre wieder wie das Wasser im Lederstrumpf-Brunnen in Edenkoben. Aus diesem Ort stammte Johann Adam Hartmann, der 1764 nach Amerika auswanderte und dessen Leben Cooper inspiriert haben könnte. In „The Pioneers“ schrieb Cooper unter anderem: „Major Hartmann war der Abkömmling eines Mannes, der in Gemeinschaft mit einer Anzahl seiner Landsleute und ihren Familien von den Ufern des Rheins nach denen des Mohawk ausgewandert war.“
Am Brunnen in Edenkoben steht Hartmann als Jäger mit Gewehr, Hund und erlegtem Auerhahn. Auch Chingachgook und der Zeichner Max Slevogt (1868–1932) sind zu sehen, der bekannte Lederstrumpf-Illustrationen schuf. „Zum Andenken an den grossen Sohn unserer Stadt Joh. Adam Hartmann bekannt aus J. F. Coopers Lederstrumpf“ steht auf einer Tafel in der Nähe. Als der damalige US-Präsident Ronald Reagan 1985 Rheinland-Pfalz besuchte, schenkte ihm Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) eine „Lederstrumpf“-Ausgabe mit Slevogt-Zeichnungen.
Hat Hartmanns Trapper-Leben also Cooper zu Lederstrumpf inspiriert? Bei dieser Frage wird immer wieder der Autor Carl Suesser genannt. Dieser habe in einem Essay 1934 die These aufgestellt, dass Cooper aufgrund der Nähe seines Wohnorts mit dem Hartmanns die Erzählungen des Kriegsveteranen gekannt haben müsste, heißt es. Und während einer Europareise 1831 besuchte Cooper die Pfalz, Hartmanns Heimat. Zufall?
Alle Versuche, Hartmann als Lederstrumpf-Vorbild zu sehen, könnten in Edenkoben nur gefallen, schrieb der Autor Erich Renner 2020. „Aber da gibt es im Nachlass der Cooper-Familie auch ein Dokument, das aussagt, Major Hartmann aus dem Roman ,Die Ansiedler’ sei einem gewissen Hendrick Frey nachgebildet: ein Freund der Familie.“ Fern von Edenkoben und Hartmann, so der Ethnopädagoge und Biographieforscher, gebe es auch andere Thesen.
Sei es, wie es sei – die Verbindungen zwischen Amerika und der Pfalz sind historisch eng. „Die Hoffnung auf gute landwirtschaftliche Tätigkeiten hat viele pfälzische Auswanderer in die Anbaugebiete im Süden Nordamerikas und nach Texas geführt“, sagt Alfred Hornung, Professor für Amerikanistik an der Universität Mainz. Neben Landwirten seien auch Hasardeure dem Mythos der ungeahnten finanziellen Möglichkeiten gefolgt.
„Für zwei Auswanderer aus Kallstadt hat sich dieser Traum mehr oder minder realisiert“, erinnert Hornung: Heinz und Trump. „Der kontinuierlich andauernde Millionen-Erfolg des von der Heinz-Familie begründeten Heinz-Tomato-Ketchup-Sortiments steht dem zweifelhaften Ruhm der Trump-Organisation gegenüber, die mit Friedrich Trumps Leitung eines Bordells in Seattle und einem Friseurgeschäft in New York begann, zum grandiosen Immobilienboom des Sohns führte und schließlich im politischen Skandal des Enkels gipfelte.“
Auch der Politologe David Sirakov von der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz meint: „Amerika und die Pfalz – das gehört einfach zusammen.“ Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hätten tausende Pfälzer auf der Flucht vor Kälte, Missernten, Hunger und Krieg den Weg nach Carolina und New York angetreten. „Es folgten Abertausende, die ihr Glück in Amerika suchten.“ Sirakov erinnert etwa an den Zeichner Thomas Nast (1840–1902), der zum Beispiel die Symbole für US-Demokraten (Esel) und US-Republikaner (Elefant) schuf.
„Die familiären Verbindungen von Pfälzern in die USA sind vielfältig und über Generationen gewachsen. Und damit sind uns die USA vielleicht auch ein Stück näher als so manch anderem“, meint Sirakov. So dienten nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen US-Soldaten in Deutschland und sehr viele davon in der Pfalz.
Zurück zu Lederstrumpf – stammt er nun gewissermaßen aus Edenkoben? „Lederstrumpf kann nur einen Pfälzer als Vorbild haben, weil diese Figur naturverbunden und sicheren Fußes durch Nordamerika streift – so, als wäre er mitten im tiefsten Pfälzerwald beim Pilze sammeln“, ist sich Mundart-Comedian Christian „Chako“ Habekost sicher. Außerdem würden Pfälzer gerne gegen Besatzer und Unterdrücker aufmucken.
„So war das im 18. Jahrhundert im Staat New York, als Hartmann am Befreiungskrieg gegen die Engländer teilnahm – und so war es ein paar Jahrzehnte später auf dem Hambacher Schloss, als die Pfälzer dem bayerischen König die demokratische Harke zeigten“, sagt Habekost mit Nachdruck. Und da Pfälzer in Deutschland „oft selbst wie Eingeborene wahrgenommen“ würden, hätten sie eine Sympathie für die Ureinwohner Amerikas. „Getreu dem Motto: Hautfarb egal – Hauptsach, en klore Kerl, ken Depp un nix. Weeschwie‘schmään?!“