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Geschichte Osmanisches Reich

Der Sultan wurde wie ein Haustier in einen Käfig gesperrt

Timur Lenk gilt als einer der brutalsten Eroberer aller Zeiten. Im Juli 1402 vernichtete er bei Ankara das Heer des Sultans Bayezid I. Eine Katastrophe – die den weiteren Aufstieg des Osmanischen Reiches erstaunlicherweise nicht stoppte.
Freier Autor Geschichte
Der osmanische Sultan Bayezid I. als Gefangener Timur Lenks – der polnische Maler Stanislaw Chlebowski, der lange in Istanbul gelebt hatte, schuf das Gemälde 1878 in Paris Der osmanische Sultan Bayezid I. als Gefangener Timur Lenks – der polnische Maler Stanislaw Chlebowski, der lange in Istanbul gelebt hatte, schuf das Gemälde 1878 in Paris
Der osmanische Sultan Bayezid I. als Gefangener Timur Lenks – von Stanislaw Chlebowski (1878)
Quelle: Wikipedia/Public Domain

Es ist eine Szene voller Macht und Hybris. An der Spitze seiner Entourage kommt der Eroberer Timur Lenk in den Kerker des Osmanen Bayezid I. Der Gefangene schlägt die Augen nieder, verweigert aber den Kotau vor dem Emir, der voller Verachtung auf seine menschliche Beute herabschaut. Das Schicksal des geschlagenen Sultans hat Christopher Marlowe zu einer Tragödie und Georg Friedrich Händel und Antonio Vivaldi zu Opern inspiriert. Der polnische Maler Stanisław Chlebowski hat das Thema 1878 in Paris in einem orientalisierenden Gemälde bearbeitet. An seiner vorherigen Wirkungsstätte wäre es vermutlich nicht gut aufgenommen worden: Chlebowski war zwölf Jahre lang als Hofmaler der Osmanen in Istanbul.

Dass Bayezid I. zum gedemütigten Schaustück Timurs wurde, hat mit einem nicht genau zu bestimmenden Tag im Juli 1402 zu tun. Damals trafen beider Heere bei Angora, dem heutigen Ankara, aufeinander. Nach 20-stündigem Gemetzel hatte der Osmane die Schlacht und sein Reich verloren. Timurs Truppen zogen weiter bis nach Smyrna (Izmir), wo sie die Schädel ihrer Opfer in die erstürmte Stadtmauer einfügten. Doch dann besann sich ihr Führer eines Besseren und zog wieder ab. Drei Jahre später starb Timur auf einem Feldzug in Kasachstan. Bayezids Sohn und Enkel aber errichteten ein Weltreich, das vom Maghreb bis an den Persischen Golf und von der Donau bis in den Sudan reichte.

Quelle: Infografik WELT

Beide Männer hatten im Leben vieles gemein. Sie führten während ihrer Herrschaft nahezu ununterbrochen Krieg. Timur schuf geradezu aus dem Nichts ein riesiges Reich. Bayezid etablierte das Osmanenreich endgültig als Großmacht auf dem Balkan und in Syrien. Und beide kannten kein Mitleid mit ihren Gegnern, waren berüchtigt für ihre Brutalität. Beide legitimierten dies als Vorkämpfer des Islam. Und beider Wurzeln waren von einer erstaunlichen Schlichtheit.

Timur Lenk (persisch: der Lahme; 1336–1405), auch Tamerlan genannt, entstammte einem turkisierten Mongolenstamm. Als Bandenchef in der Gegend des heutigen Usbekistans machte er sich einen Namen, bevor er in den 1360er-Jahren daranging, seine Kriegszüge auf eigene Rechnung zu unternehmen. Sein Vorbild wurde dabei der Mongole Dschingis Khan. Der hatte sich 150 Jahre zuvor aus einfachen Verhältnissen zum Herrn über ein Weltreich hochgearbeitet, das unter seinen Nachfolgern von Russland bis China reichte. Timurs Epigonentum ging so weit, dass er eine Mongolin heiratete und sich als „Schwiegersohn“ des Khans ausgab.

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Dabei versuchte Timur, diesen mit der Höhe seiner Schädelpyramiden noch zu übertreffen, mit denen er Siege dokumentierte. Allein bei der Plünderung von Damaskus 1401 sollen Zehntausende hingemetzelt worden sein. Handwerker und andere Spezialisten wurden dagegen ins Kernland seines Reiches deportiert, wo sie beim Ausbau der Hauptstadt Samarkand eingesetzt wurden. Wo Timur auftauchte, schrieb der arabische Historiker Said Wosifi, „strömte das Blut aus den Menschen wie aus Krügen, und der Himmel nahm die Farbe von Tulpen an“. Das nahm ihn die eine Hälfte des Tages in Anspruch; in der zweiten Tageshälfte, so Said Wosifi, widmete er sich der Kunst.

Timur before Battle, Folio from a Dispersed Copy of the Zafarnama (Book of Victories) of Sharaf al-din 'Ali Yazdi, A.H. 839/A.D. 1436. (Heritage Art/Heritage Images)
Timur Lenk (1336–1405) vor einer Schlacht
Quelle: picture alliance / Heritage Art/

Der Karrierestart des eine Generation jüngeren Bayezid (1360–1403) war etwas leichter. Sein Urgroßvater Osman I. hatte über ein kleines Fürstentum in Westanatolien geherrscht – eine Urkunde von 1324 gilt als ältestes amtliches Schriftstück der Osmanen. Nachdem der Dynastiegründer die Oberhoheit der Seldschuken abgeschüttelt hatte, konnten seine beiden Nachfolger das Reich erweitern. Als Bayezids Vater in der Schlacht auf dem Amselfeld gegen die Serben 1389 gefallen war, übernahm er die Herrschaft – und entledigte sich potenzieller Konkurrenten, indem er alle seine Brüder umbrachte.

Seinen Beinamen „der Blitz“ erhielt Bayezid wegen der Schnelligkeit seiner Feldzüge. Mit ihnen dehnte er das Reich weiter aus. Vor allem aber schlug er die Aufstände nieder, mit denen türkische Fürsten Anatoliens den Thronwechsel zu nutzen versuchten, um ihre Unabhängigkeit wiederzugewinnen. Auch gelang es ihm, die Kreuzfahrer zurückzuschlagen, mit denen Europa die expandierende Großmacht auf dem Balkan zu stoppen versuchte.

1396 machte Bayezid bei Nikopolis an der Donau mit den ungarischen und französischen Rittern kurzen Prozess. Damals geriet ein bayerischer Knappe namens Johannes Schiltberger in türkische Gefangenschaft. Bei Ankara fiel er Timur in die Hände. 1427 konnte er fliehen und verfasste, nach München zurückgekehrt, ein Buch, das ihm den Titel eines „deutschen Marco Polo“ eintrug.

Sultan Bayezid I, c. 1580. Found in the Collection of Islamic Arts Museum Malaysia . (© Fine Art Images/Heritage Images)
Sultan Bayezid I. (1360–1403)
Quelle: picture alliance / © Fine Art I

Über den Zusammenstoß zwischen Timur und Bayezid konnte er aus eigener Anschauung berichten. Danach wandte sich einer der unterlegenen Fürsten Anatoliens an Timur, von Schiltberger „Tämerlin“ genannt. Ob dieser wirklich einen Anstoß zur Invasion brauchte, muss offen bleiben. Timurs Kriegsmaschinerie, die überwiegend aus Türken und Mongolen bestand, verlangte nach einträglicher Beute, um intakt zu bleiben. Im Jahr 1400 eroberte sie die Stadt Sivas in Zentralanatolien. Der Befehlshaber der Garnison soll darum gebeten haben, dass man ihr Blut verschonen möge, schreibt Schiltberger: „Das versprach ihm Tämerlin, und deshalb wurden alle lebendig begraben.“

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Daraufhin sammelte Bayezid bei Bursa in Westanatolien sein Heer. Nach einer Quelle sollen es 140.000 Soldaten gewesen sein, gegen die Timur 85.000 aufbieten konnte, doch dürften die Zahlen deutlich übertrieben sein. Nach anderen Überlieferungen war das Heer Timurs dem Bayezids zahlenmäßig sogar überlegen, zumal es durch Kontingente von dessen türkischen Gegnern verstärkt wurde. 1402 begann das Duell.

Zwei Monate lang sollen sich die Gegner im anatolischen Sommer belauert haben. Das machte für Timur mehr Sinn als für den Osmanen. Denn „der Lahme“ setzte noch immer auf die Reiterei als Hauptwaffe und war daher deutlich mobiler als Bayezid, dessen Janitscharen-Garde – unter den Kindern seiner christlichen Untertanen rekrutierte Kriegssklaven – vor allem als Infanterie diente. Die Märsche in der Hitze erschöpften daher die Osmanen stärker als Timurs Leute, die zudem Zeit fanden, mit schnellen Vorstößen Brunnen und Wasserstellen unbrauchbar zu machen. Das setzte den osmanischen Soldaten weiter zu.

Schließlich kam es im Juli 1402 nördlich von Angora zur Schlacht. „Tämerlin hatte auch 32 Kampfelefanten bei sich, die nun auf seinen Befehl in den Kampf geführt wurden“, berichtet Schiltberger. Entscheidend aber sei gewesen, dass die „weißen Tataren“ zu Timur übergelaufen seien. Das war wohl die Rache für Bayezids Unterwerfungszüge.

Nachdem auf Bayezids Seite auch die 5000 „in schwarzes Eisen“ gekleideten Ritter des serbischen Fürsten Stephan die Flucht ergriffen hatten, gewannen die Truppen Timurs die Oberhand. Verzweifelt versuchte sein Gegner, seinem Heer den Rückzug zu decken. Aber er wurde gestellt. „Steig ab, Herr Bayezid, und komm! Timur ruft dich zu sich“, soll ihm hämisch befohlen worden sein.

1AS-3-E1402-1-B (428797) Timur triumphiert über Bajesid / Merian Timur (Tamerlan); asiat. Eroberer aus mongol. Geschlecht; 1336-1405. - Tamerlan mit dem gefangenen Sultan Bajazeth (Nach der Schlacht bei Angora, 20.Juli 1402). - Kupferstich v.Matthäus Merian d.Ä. (1593 -1650). Spät. Kolorierung. Aus: Johann Ludw. Gottfried, Historische Chronica, Frankfurt a.M. (M. Merian) 1630, S.640. E: Triumph of Timur over Bajesid / Merian Timur (Tamerlan); Asian conqueror of Mongolian descent; 1336-1405. - Tamerlan holding sultan Bajazeth captive (after the battle near Angora, 20 July 1402). - Copper engr., by Matthew Merian the Elder (1593-1650). Later colourised. From: J.Gottfried, Historische Chronica, Frankfurt a.M. (M. Merian) 1630, S.640. F: Timour (Tamerlan) Timour (Tamerlan) ; conquérant asiatique de descendance noble mongole ; 1336-1405. - Tamerlan avec son prisonnier, le sultan Bajazet (après la bataille d'Angora (Ankara), 20 juillet 1402). - Gravure sur cuivre de Matthias Mérian l'Ancien (1593-1650). Coloration ultérieure. In : Johann Ludw. Gottfried, Historische Chronica, Francfort sur le Main (M. Mérian) 1630, p. 640.
Bayezid I. in Timurs Käfig – von Matthäus Merian d. Ä. (1593–1650)
Quelle: picture alliance / akg-images

Entgegen seiner Art, mit Gefangenen kurzen Prozess zu machen, beschloss der Sieger, den Besiegten als lebendes Ausstellungsstück zu behandeln. Dass er ihn in einem Käfig ausstellte, ist wahrscheinlich eine Legende. Der Maler Stanisław Chlebowski billigte ihm eine komfortable Zelle zu. Bayezids Lieblingsfrau Despina, eine serbische Prinzessin, soll Timur als Sklavin gedient haben. Vermutlich durch Selbstmord machte Bayezid dem entwürdigenden Schauspiel bald ein Ende.

Zum Glück für die Osmanen zog sich Timur wieder in sein zentralasiatisches Kernland zurück, sodass Bayezids Nachfolger unbedrängt ihre Kämpfe um die Nachfolge austragen konnten. Timur widmete sich dem Ausbau seiner Residenz Samarkand. Obwohl inzwischen fast blind, hatte er noch eine Rechnung mit China zu begleichen, dem er zeitweise Tribut hatte leisten müssen. Mitten im Winter brach er zu einem Feldzug auf, starb aber auf dem Weg in einer Oase in Kasachstan, wohl erschöpft nach einem alkoholreichen Gelage.

Ein Leben wie im Rausch ist wohl die treffliche Beschreibung für Timurs Werk. Bald erinnerte an sein Reich nichts mehr außer den Prachtbauten in Samarkand. Ganz anders dagegen die Osmanen: Bayezids Sohn Mehmed I. konnte 1413 den Bruderkrieg beenden. Sein Urenkel Mehmed II. eroberte 1453 Konstantinopel und machte sich damit zum Erben von Byzanz. Dessen Enkel Selim I. wiederum gewann die Levante bis Ägypten und erweiterte das Osmanische Reich endgültig zum Weltreich.

Vorbild für „Gunpowder Empires“

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Dass es zum dauerhaftesten Imperium der islamischen Welt wurde, hat viele Gründe. Der wichtigste war die Fähigkeit der Osmanen, die Eliten der Untertanen, ob Muslime oder Christen, an sich zu binden, indem sie ihnen Entfaltungsmöglichkeiten boten. Ein weiterer war das Heer. Durch die Vergabe von nicht erblichen Kriegerlehen konnten die Sultane eine nach Hunderttausenden zählende Armee unterhalten, die nicht mehr von der unzuverlässigen Loyalität von Stammesaufgeboten abhängig war. Hinzu kam die Janitscharen-Garde, die sehr früh mit Feuerwaffen ausgerüstet wurde, sowie eine leistungsfähige Artillerie. Damit wurde das Osmanenreich zum Vorbild der großen „Gunpowder Empires“ (Schießpulverreiche) Asiens.

Ein weiteres wurde ab 1526 das Reich der Großmoguln in Indien. Sein Gründer nahm sich die Osmanen zum Vorbild. Er hieß Babur – und war ein Urenkel von Timur Lenk.

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Dieser Artikel wurde erstmals im Juli 2022 veröffentlicht.

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