An Pfingsten 1871 war Paris ein Trümmermeer. Aus den Ruinen des Tuilerienpalastes, des Finanzministeriums, des Palais d’Orsay und des Hôtel de Ville (Rathaus) stieg noch Rauch auf. Das permanente Krachen von Geschützen und Mitrailleusen war abgeebbt. Stattdessen signalisierte diszipliniertes Salvenfeuer hie und da eine neue Ordnung, die Ordnung der Erschießungspelotons. „Paris ist befreit, der Kampf ist beendet“, teilte Marschall Patrice de Mac-Mahon den Parisern mit, „die Ordnung ist wiederhergestellt.“ Die Herrschaft der Kommune, für Friedrich Engels der ersten „Diktatur des Proletariats“, war nach 72 Tagen zu Ende.
Als „Blutige Woche“ ist der Untergang der Pariser Kommune in die Erinnerungskultur Frankreichs und der sozialistischen Internationale eingegangen. Nachdem sich die Truppen der in Versailles tagenden Nationalversammlung an den Vorwerken vorbei bis an die städtischen Festungswerke herangearbeitet hatten, war es zum ungleichen Endkampf gekommen.
Auf der einen Seite fünf Korps aus erfahrenen Linientruppen, die von der deutschen Besatzungsmacht aus der Gefangenschaft entlassen und ausgerüstet worden waren, auf der anderen eine Nationalgarde, deren Einheiten sich oftmals schneller auflösten, als die Angreifer vorrücken konnten oder wollten. Man schätzt, dass höchstens 20.000 Kommunarden bereit waren, ernsthaft Widerstand zu leisten.
Die Pariser Kommune war ein Ergebnis des verlorenen Krieges gegen die deutschen Armeen 1870/71. Nach der Kapitulation der Dritten Republik, die nach dem Untergang des Kaiserreichs Napoleons III. in der Schlacht bei Sedan den Krieg fortgeführt hatte, ergriff in der – lange belagerten – Hauptstadt das Zentralkomitee der Nationalgarde die Macht und proklamierte eine proletarisch geprägte Republik. Sie sollte ein Gegenstück zum Regime der bürgerlichen und konservativen Eliten sein, die als Sieger aus den Wahlen zur neuen Nationalversammlung hervorgegangen waren.
Der neue Ministerpräsident Adolphe Thiers war entschlossen, dem sozialistischen Experiment in der Metropole den Garaus zu machen. Verbündete fand er dabei nicht nur in der Provinz, sondern auch in der Armee. Ihre Offiziere sahen die Chance, ihre katastrophale Leistung im Krieg gegen die Deutschen vergessen zu machen. Mit der Trikolore in der Hand zogen sie nun gegen die rote Fahne der Kommune. Es war eine große Koalition, die von der Aussicht zusammengehalten wurde, das Gespenst der sozialen Revolution, das Frankreich bereits 1830 und 1848 erschüttert hatte, auf Dauer zu bannen.
Am 21. Mai, einem Sonntag, hörte die Beschießung von Paris plötzlich auf. Von verschiedenen Seiten aus bahnten sich die Regierungstruppen den Weg in die Stadt. Das ging unerwartet einfach. Bereits einige Tage zuvor hatte der für die Verteidigung zuständige „Kriegsdelegierte“ Louis Nathaniel Rossel seinen Rücktritt mit den prägnanten Worten begründet: „Ich fühle mich außerstande, länger die Verantwortung für eine Befehlsgewalt zu tragen, bei der jeder mitredet und niemand gehorcht.“
Schlechte Disziplin, unklare Verantwortlichkeiten und nicht zuletzt Überlebensinstinkte vieler Kämpfer sorgten dafür, dass es weder ein stimmiges Verteidigungskonzept noch eine flächendeckende Kampfbereitschaft gab. Rossels Nachfolger Charles Delescluze rief dagegen das „Volk von Paris“ auf, in den revolutionären Krieg zu ziehen. Doch viele Kämpfer zogen es in weiser Voraussicht vor, sich dezent ihrer Uniformen zu entledigen und ihre Waffen unter Kanaldeckeln zu entsorgen.
Fieberhaft wurden Barrikaden errichtet, Historiker haben rund 900 gezählt. Manche glichen regelrechten Festungen, doch auch ihr Bau folgte keiner Strategie. Oft genug wirkten sie als Fallen für die Verteidiger, die hinter ihnen eingeschlossen wurden. Auflösungserscheinungen auch hier: „Der Wunsch, die eigene Haut zu retten, schloss die Sorge für die Angehörigen ein. Es wurde offensichtlich, mit wie viel Zwang die paramilitärische Basis der Kommune zusammengehalten wurde“, schreibt der Publizist Thankmar von Münchhausen in seinem Buch „72 Tage“.
Während Thiers vor der Nationalversammlung verkünden konnte, „die Sache der Zivilisation hat gesiegt, die Vergeltung wird vollständig sein“, und dafür weitere Truppen in die Stadt schickte, mussten die Kommunarden zu einer Mischung aus Fanatismus und Fatalismus Zuflucht suchen. Statt militärischer Vernunft ging es bald nur noch um symbolischen Aktionismus.
Der fand seine Opfer zum einen in den Gebäuden der alten Ordnung. Pulver, Petroleum, Stroh, Teer dienten als Brandbeschleuniger für Paläste, Verwaltungsgebäude und Museen. Der Louvre entkam den Flammen durch den Einsatz seiner Kuratoren, seine Bibliothek jedoch verbrannte. Aus Gerüchten und Berichten entstand die Schreckensgestalt der „Pétroleuses“, schreibt Münchhausen, „wüste Weiber, die durch die Straßen schlichen, um Petroleum in Kellerfenster zu gießen und anzuzünden“. Rund 50 öffentliche Gebäude und 200 Privathäuser wurden durch Feuer zerstört. Einzig die breiten Boulevards, die wie Feuerschneisen wirkten, verhinderten eine Brandkatastrophe größten Ausmaßes.
Zum anderen traf es Geiseln, vermeintliche Agenten der Konterrevolution wie Geistliche, Beamte, Polizisten und Soldaten. Einige Kommandeure, die mangels zentraler Führung längst auf sich allein gestellt waren, begannen nun, die fertigen Todeslisten „abzuarbeiten“. Dass Geiseln zu Hunderten erschossen wurden, erklärt sich nicht zuletzt damit, dass sich die Armee beim Vormarsch Zeit ließ, nicht weil der Widerstand sie stoppte, sondern die wilden Abrechnungen mit dem Gegner, denen Tausende zum Opfer fielen.
Zum Symbol für den Untergang der Kommune wurde der Kampf um den Friedhof Père Lachaise. Am Abend des 27. Mai stürmte Marineinfanterie die von wenigen Hundert Kommunarden gehaltene Stellung. Die Überlebenden wurden am frühen Morgen des 28. Mai, Pfingstsonntag, an der Friedhofsmauer erschossen, die seitdem „Mauer der Föderierten“ heißt: „Welch ein Anblick“, erinnerte sich der Friedhofswärter. „Sie lagen da, fast alle mit dem Gesicht am Boden. Alle ohne Schuhe. Ich ließ sie in das Massengrab legen, zu den anderen.“
Schon Tage zuvor hatten Ausnahmegerichte ihre Arbeit aufgenommen, um „die Sühne … durch Gesetze“ (Thiers) zu vollziehen. „Es war ein organisiertes Morden durch die französische Armee, bei dem mehr Menschen ums Leben kamen, als Kämpfer hinter den Barrikaden standen“, resümiert Münchhausen. „Für ein Ja oder Nein wird man festgenommen und erschossen“, schrieb ein Reporter. „Da auch Weiber sich am Kampfe beteiligen, so werden auch diese auf der Straße niedergeschossen“, berichtete ein preußischer Offizier. In unregelmäßigen Abständen zeugten die Salven der Erschießungspelotons von der Lust auf Rache und am Töten.
Die Zahl der Opfer schätzen Historiker auf 15.000 und 20.000 Menschen. Mehr als 30.000 wurde der Prozess gemacht, der mit Gefängnis- oder Todesstrafe endete, Tausende wurden nach Übersee deportiert. Die Leichen der „Blutigen Woche“ verschwanden in der Seine, in Steinbrüchen oder Kasematten: „Aus den feuchten, nur eben mit der Hacke umgewühlten Löchern kamen hier und dort Köpfe, Arme, Füße und Hände zum Vorschein. Die Umrisse von Leichen zeichneten sich unter der Oberfläche ab. Ein ekelerregender fader Geruch drang aus diesem Garten“, schrieb ein Beobachter.
Für die Staatsräson der Dritten Republik sollte sich die brutale Abrechnung lohnen, denn sie bewies eine erstaunliche Vitalität, die man ihr nach der militärischen Katastrophe von 1870/71 nicht zugetraut hatte. „Das bedeutet 20 Jahre Ruhe, die die alte Gesellschaft vor sich hat“, zog der Schriftsteller Edmond de Goncourt ein eisiges Fazit.
Dieser Artikel wurde erstmals im Mai 2021 veröffentlicht.