Der altägyptische Gott Osiris war ein Alleskönner. „Wenn in einem Land der Weinstock nicht vorkam, so lehrte er ein Getränk aus Gerste bereiten, das an Wohlgeruch und Stärke dem Wein beinahe gleichkommt“, staunte der griechische Chronist Diodor. Das war im 1. Jahrhundert v. Chr., da konnten die Bewohner des Nillandes bereits auf eine 3500 Jahre währende Erfahrung in der Bierproduktion zurückschauen. Denn Bier war das Lebenselexier schlechthin. Selbst für die Toten. Wenn sie vor Osiris geführt wurden, sollte ihnen „Brot und Bier zuteilwerden“.
Das dürfte die Dimensionen der Produktionsstätte erklären, die jetzt amerikanischen Wissenschaftlern in Abydos etwa 160 Kilometer nördlich von Theben freigelegt haben. Es handelt sich um eine Brauerei, in der mehr als 22.000 Liter während nur eines Sudvorgangs erzeugt werden konnten. „Der Maßstab der Produktion in Abydos war größer als alles andere seiner Zeit“, schreibt das Team um Matthew Adams von der New York University.
Spektakulär ist in der Tat die Datierung, war die etwa 20 mal 2,5 Meter große Anlage doch vor etwa 5000 Jahren zur Zeit von Pharao Narmer in Betrieb. Der wird in der Regel mit dem Herrscher der 1. Dynastie identifiziert, die von Oberägypten aus die Grundlagen für die Einigung des Landes legte, die um etwa 2700 erfolgte. Des Team um Adams vermutet, dass die Brauerei vor allem für königliche Rituale an den Grabstätten in Betrieb gewesen ist.
Dass vergorenes Getreide zu den frühen Kulturschöpfungen im Vorderen Orient gehört, haben in letzter Zeit mehrere große Funde belegt. So wurden 2018 in der Höhle Rakefet bei Haifa Geräte und Werkzeuge geborgen, mit denen bereits im 12. Jahrtausend v. Chr. aus dem Samen wild wachsender Getreidearten ein alkoholhaltiges Getränk gebraut wurde.
Neue Experimente des Deutschen Archäologischen Instituts belegen, dass in Bottichen in der neolithischen Kultstätte von Göbekli Tepe in der Südtürkei gemälztes Getreide und Wasser gekocht wurden. Dass bedeutet, dass Menschen bereits im 10. und 9. Jahrtausend v. Chr., also vor ihrer endgültigen Sesshaftwerdung, daran gingen, aus gesammelten Körnern rauschhafte Getränke zuzubereiten, die in kultischen oder einfach zwischenmenschlichen Gelagen konsumiert wurden.
In Ägypten kamen bereits mehrere Brauereien ans Licht, die deutlich älter als der Neufund von Abydos sind. Jene von Hierakonpolis, 100 Kilometer südlich von Theben, wird von dem japanisch-britischen Ausgrabungsteam auf 3762 bis 3537 v. Chr. datiert, die andere, die von polnischen Archäologen bei Tell el-Farcha im östlichen Nildelta entdeckt wurde, zwischen 3600 und 3500.
Anders als in späteren Epochen, in denen nach Aussage der Quellen eine ganze Reihe von Biersorten im Ausschank waren, war das Grundprodukt in prädynastischer Zeit der Emmer. Diese auch Zweikorn genannte Weizenart zählt neben dem Einkorn zu den ältesten kultivierten Getreidearten. Das Brauverfahren bestand nicht einfach aus Vergären von Getreidebrei, sondern war komplizierter als lange vermutet, schreiben die Archäologinnen Elena Marinova und Lucy Kubiak-Martens in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“.
Danach wurde zunächst eine Portion aus gemahlenem Emmer in Wasser gekocht. Später kam eine zweite Ladung grob geschrotetes Getreide, vermutlich Emmermalz, hinzu. „Dieser Befund zeigt, dass man im prädynastischen Ägypten eine sorgfältig ausgearbeitete Brautechnologie kannte“, folgern die Autorinnen. Den Unterschied in der Konstruktion der Anlagen erklären sie mit der „experimentellen Anfangsphase“ der Technologie, die bald in ganz Ägypten gängige Praxis wurde.
So kamen bald Gerste und Nacktweizen als Grundstoffe hinzu, Obst, vor allem Dattelmus, diente als Hefequelle und Würzmittel. Für Erwachsene wie Kinder war Bier ein Alltagsgetränk. Mit ihm wurden Arbeiter entlohnt. Auf einem Papyrus aus dem 2. Jahrtausend werden als Rechnungseinheit für einen Tag acht Portionen aus Bier, Brot und Käse angegeben. Als die Königin Hatschepsut Mitte des Jahrtausends ihre Expedition ins Goldland Punt schickte, hatte sie auch Bier zum Tausch dabei. „Bier und Brot“, schreiben die Bierhistoriker Franz Meußdoerffer und Martin Zarnkow, „waren Symbole für Wohlstand, Glück und Zufriedenheit“.
Das galt übrigens nicht nur für Ägypten. Auch in Mesopotamien, dem anderen Zentrum des Fruchtbaren Halbmonds, gehörte Bier zu den Leitstoffen der Zivilisation. Im „Gilgamesch-Epos“ bringt die Hure Shamshat dem Wildmenschen Enkidu Kultur bei, indem sie ihn lehrt: „Trink doch, Enkidu, vom Bier, das dem Kulturland bestimmt (ist)“. Die großen Tempelwirtschaften des Landes entlohnten ihre Arbeiter mit festgelegten Maßen an Bier.
Doch die Konjunktur des Bieres lockte auch Bierpanscher und andere Kriminelle an. Ihnen drohte der König Hammurapi I. von Babylon im 18. Jahrhundert in seinem Gesetzeskodex an: Wenn eine Wirtin überhöhte Preise für ein Bier nimmt, „wird sie verurteilt und im Wasser ertränkt“.
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