Auch Bayern hat eine Marinetradition. Mangels eigener bayerischer Hochseehäfen war sie allerdings nie besonders stark – selbst wenn im Ersten Weltkrieg drei moderne Großkampfschiffe und fünf kleine Kreuzer bayerische Namen trugen.
An dieser Tradition lag es allerdings nicht, dass im Sommer 1920 mehrere Hundert Mitglieder der gerade aufgelösten Marinebrigade Ehrhardt ausgerechnet nach Bayern gingen. Die Truppe, ursprünglich ein im Auftrag der Reichsregierung gegründetes Freikorps, hatte Mitte März 1920 geputscht und das Regierungsviertel in Berlin besetzt. Nach sechs Tagen waren die Aufrührer abgezogen, hatten allerdings noch bei Schießereien ein Dutzend Zivilisten getötet und weitere schwer verletzt.
Um die Truppe ruhig zu halten, wurde ihre Auflösung bis Ende Mai 1920 verzögert. Ein Teil der Offiziere und Mannschaften ging in die neu gegründete Reichsmarine über, nicht jedoch Hermann Ehrhardt selbst und seine radikalsten Anhänger. Der nun ehemalige Freikorpskommandant zog sich nach Bayern zurück.
Dort war im Verlauf des Kapp-Putsches in Berlin die bisherige Koalitionsregierung aus SPD, der katholisch-konservativen Bayerischen Volkspartei (BVP) und den Liberalen zerbrochen. Stattdessen amtierte nun der bisherige Regierungspräsident von Oberbayern, Gustav von Kahr, an der Spitze einer Koalition aus BVP, Nationalliberalen und Bayerischem Bauernbund.
Der eigentliche starke Mann der bayerischen Politik im Frühjahr 1920 aber war Ernst Pöhner. Der studierte Jurist hatte 1919 eine unspektakuläre Karriere als Richter und als Direktor des Gefängnisses Stadelheim gemacht. Doch dann wurde Pöhner im Mai 1919 zum Polizeipräsidenten Münchens ernannt. In dieser Funktion stieg er rasch zum wichtigsten Förderer aller reaktionären und rechtsextremen Kräfte in Oberbayern auf.
Der neue Polizeipräsident richtete umgehend eine Politische Abteilung in seinem Präsidium ein – und stellte Wilhelm Frick an die Spitze, einen bekanntermaßen antisemitischen Kriminalkommissar. Pöhner und Frick waren sich einig: Bekämpfen sollte die Politische Abteilung alle Kräfte links der Nationalliberalen, aber gerade nicht die Rechtsextremisten.
Daher war Pöhner auch bereit, die radikalsten Mitglieder der aufgelösten Marinebrigade Ehrhardt in München aufzunehmen. Etwa 250 bis 300 Mann kamen, mit ihrem ehemaligen Kommandeur an der Spitze.
Die Mannschaftsdienstgrade und Unteroffiziere unter ihnen bildeten die „Bayerische Holzverwertungsgesellschaft“. In der freien Wirtschaft hatten sie kaum eine Anstellungschance. Denn auch in Bayern lehnten es viele Arbeiter ab, ehemalige Kapp-Putschisten als Kollegen zu akzeptieren.
Die Offiziere hingegen ließen sich entweder als Studenten immatrikulieren oder firmierten offiziell als Kaufleute. In Wirklichkeit wurden sie von Spenden aus reaktionären Kreisen und teilweise unter der Hand von der Reichswehr finanziert, die eine Personalreserve bereithalten wollte.
Darauf griff man im März 1921 zurück, als im Zuge eines Aufstands polnischer Nationalisten in Schlesien ein Kampfverband gebildet werden sollte. Etwa 170 Mann der ehemaligen Marinebrigade traten dem „Selbstschutz Oberschlesien“ bei und beteiligten sich im Mai 1921 am Sturm auf den St.-Anna-Berg zwischen Oppeln und Kattowitz.
Schon im Herbst 1920 hatten Ehrhardt, der zeitweise nach Ungarn geflüchtet war, und seine engsten Mitarbeiter begonnen, aus den Männern der Bayerischen Holzverwertungsgesellschaft eine Geheimorganisation zu bilden. Sie hatte zwei Aufgaben:
Erstens sollte sie überall im Reich Kontakt zu Reservisten halten, die im Fall eines neuen Krieges den Kern einer „schwarzen“, also verdeckten Reichswehr bilden sollten. In sieben „Oberbezirken“ wurden 15 „Bezirke“ gebildet, zwei weitere befanden sich im Aufbau. Insgesamt verfügte dieses Netzwerk über etwa 5000 einsatzfähige und bewaffnete Kämpfer.
Die zweite Aufgabe war, diese Organisation mit nachrichtendienstlichen, auch gewaltsamen Mitteln zu schützen, also Verräter zu töten. Hinzu kam angesichts der rechtsextremistischen Ausrichtung der Organisation das Ziel, politische Gegner zu bekämpfen, also prominente Demokraten.
Ein solcher Angriff führte auch zur ersten Zerschlagung der Organisation, die seit dem Frühjahr 1921 in manchen Kreisen als Organisation Consul oder O.C. bekannt war – nach Hermann Ehrhardts Falschnamen „Consul Eichmann“.
Den Befehl hatte Manfred von Killinger erteilt, Mitglied der Brigade Ehrhardt, Teilnehmer am Kapp-Putsch und inzwischen so etwas wie Operationschef der O.C. Er ließ zwei jüngere Mitglieder dem Reichsfinanzminister Matthias Erzberger im Schwarzwald auflauern und ihn erschießen.
Was dabei das Kalkül war, konnte auch die Historikerin Gabriele Krüger nicht ermitteln, die 1971 das immer noch maßgebliche Buch über die Brigade Ehrhardt veröffentlichte: „Der Erzberger-Mord hob die O.C. ins Licht der Öffentlichkeit.“ Das konnte dem Geheimbund eigentlich nicht gefallen – immerhin wurde Killinger festgenommen und angeklagt (allerdings nicht verurteilt).
Als militärische Struktur wurde die O.C. nun zerschlagen, als kleine Terrorgruppe aber existierte sie weiter. Am 4. Juni 1922 griffen zwei Mitglieder Philipp Scheidemann mit Blausäurespritzen an. Der SPD-Politiker überlebte knapp.
Anders als Walther Rathenau am 24. Juni 1922. Als Demokrat und Jude war er den rechtsextremen Tätern der O.C. doppelt verhasst. Sie erschossen ihn in seinem offenen Wagen in Berlin-Grunewald.
Nun allerdings griff der Staat endlich durch. Reichskanzler Joseph Wirth stellte klar: „Dieser Feind steht rechts!“ Die O.C. wurde zerschlagen, die meisten rechtsradikalen Organisationen verboten – außer in Bayern. Hier existierte auch die NSDAP weiter und wurde zum Auffangbecken.
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