Es scheint, als hätte es Jens Spahn damals schon geahnt. „Wir werden einander in ein paar Monaten wahrscheinlich viel verzeihen müssen“, erklärte der damalige Bundesgesundheitsminister von der CDU im Frühjahr 2020 zu Beginn der Pandemie. Seinerzeit bekam er für diesen ehrlichen Satz viel Anerkennung, Spahn wählte ihn sogar als Titel für sein Buch über die Corona-Krise.
Mehr als vier Jahre später wird deutlich, dass Spahn nichts Geringeres zu verzeihen ist als einer der größten Skandale von Steuergeld-Verschwendung in der Geschichte der Bundesrepublik. Das Bundesgesundheitsministerium kaufte 2020 für knapp sechs Milliarden Euro Corona-Masken ein, für die damals kein entsprechender Bedarf zu erkennen war und die später größtenteils vernichtet worden sind oder kurz vor der Verbrennung stehen.
Aktuell laufen etwa hundert Klagen von Masken-Lieferanten gegen das Ministerium vor Gericht. Falls das Haus von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) diese verliert, drohen dem Bund Zahlungen von mindestens 2,3 Milliarden Euro – und das angesichts der jetzt schon knappen Haushaltskasse.
Als Spahn vergangene Woche zu einer Aktuellen Stunde in den Bundestag eingeladen wurde, vermied er jede nennenswerte Selbstkritik. Er betonte, man habe sich damals in einer Notlage befunden, bei der es um Menschenleben ging. Das ist richtig. Und trotzdem verantwortet er als Minister massive Fehler, die trotz zweier Untersuchungen des Bundesrechnungshofes bis heute nicht nachvollziehbar sind.
Warum berechnete sein Haus einen Bedarf von 275 Millionen Masken für Kliniken und Arztpraxen ergänzend zu den Bundesländern - beschaffte aber 5,7 Milliarden Masken? Warum ging ein zentraler Auftrag ausgerechnet an ein eher wenig geeignetes Unternehmen aus Spahns Heimat Münsterland? Warum wurden auch dann noch weitere millionenschwere Verträge abgeschlossen, als das Ministerium bereits intern ein Ende aller Beschaffungen erklärt hatte? Wollte Spahn um jeden Preis als heldenhafter Maskeneinkäufer glänzen – koste es, was es wolle?
Auf zentrale Fragen gibt Spahn keine Antwort
Es ist beschämend, dass der CDU-Politiker diese zentralen Fragen nicht beantworten will. Die massive Überbeschaffung dürfte der bisher größte Fehler seines politischen Lebens sein, selbst der Maut-Skandal von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) kostete den Steuerzahler um ein Vielfaches weniger.
Stattdessen rutscht Spahn in Polemik ab, warf bei seiner Rede im Bundestag zwei Grünen-Abgeordneten, die sich für Aufarbeitung einsetzen, vor, „Verschwörungstheorien“ zu verbreiten. „Sie machen das Geschäft der Corona-Leugner und sind sich dessen nicht mal bewusst“, rief er. Ein absurder Vorwurf, der zeigt, dass Spahn offenbar nervöser ist, als er es zugeben will.
Doch auch sein Nachfolger Karl Lauterbach trägt bisher wenig zur Aufarbeitung bei. Lange hielt der SPD-Minister seine schützende Hand über das Thema, ließ Journalisten nur spärliche Informationen zukommen und hoffte, dass sich sein Haus und die Masken-Lieferanten mit Vergleichen geräuschlos hinter den Kulissen einigen würden.
Doch bevor Ende vergangenen Jahres die Verjährungsfrist ablief, reichten plötzlich viele Lieferanten Klage ein. Es zeichnete sich ab, dass der finanzielle Schaden für den Bund in die Milliarden gehen könnte – und Lauterbach wechselte seine Strategie. Er spricht nun offensiver über das Thema, offenbar auch, um sich in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich von seinem Amtsvorgänger Spahn abzugrenzen.
An einer tiefgehenden Fehleranalyse scheinen jedoch sein Haus und die SPD weiterhin nur wenig Interesse zu haben. Dies dürfte einerseits daran liegen, dass im Ministerium bis heute noch viele Beamte arbeiten, die damals maßgeblich an der Überbeschaffung beteiligt waren. Zudem hat die SPD als damaliger Koalitionspartner zentrale Entscheidungen mitgetragen. Auch will das Ministerium dem Vernehmen nach die laufenden Gerichtsverfahren nicht gefährden.
Der Bundesrechnungshof rügte in seinem aktuellen Bericht vom Mai die „fehlende kritische Auseinandersetzung des Ministeriums mit den eigenen Entscheidungen“. Auch sei vieles nicht dokumentiert oder nachträglich als Verschlusssache eingestuft worden. Dies diene „nicht zuletzt dem Zweck, die öffentliche und auch die parlamentarische Kontrolle der PSA-Beschaffung zu erschweren“, schreiben die Rechnungsprüfer.
Doch Fehler können nur verziehen werden, wenn sie als solche benannt und aufgearbeitet werden. Während sich die Ampel-Koalition leider weiterhin nicht auf eine Enquetekommission zur generellen Aufarbeitung der Corona-Krise einigen kann, zeigen sich einige in der Grünen-Fraktion offen für einen Untersuchungsausschuss zu den Corona-Masken.
Der Vorschlag ist sinnvoll und wäre – im Gegensatz zu einer langwierigen Enquetekommission – auch zeitlich noch eher in dieser Legislaturperiode umsetzbar. Doch dafür braucht es vor allem eins: den Mut der SPD.