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An den Schulen wird das Potenzial der Zuwanderer-Kinder verschwendet

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Zwei Mädchena aus Syrien bei einer Veranstaltung von „Integration durch Sprache“ im April 2017 Zwei Mädchena aus Syrien bei einer Veranstaltung von „Integration durch Sprache“ im April 2017
Zwei Mädchen aus Syrien bei einer Veranstaltung von "Integration durch Sprache"
Quelle: picture alliance / Jörg Carstensen/dpa
Seit einem Vierteljahrhundert reagiert die Politik mit allerlei Programmen und Initiativen auf die verheerenden deutschen Pisa-Ergebnisse. Doch die Situation verschlechtert sich weiter. Das liegt zumindest teilweise an den Defiziten von Kindern mit Migrationsgeschichte.
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Keine Frage, Zuwanderung kann eine Bereicherung sein. Nehmen wir das Bildungsniveau. In Großbritannien schneiden Zuwanderer der ersten Generation bei den Pisa-Tests in Mathematik schlechter ab als Kinder ohne Migrationshintergrund. In der zweiten Generation schon schneiden sie aber besser ab als Kinder, deren Eltern schon länger da sind.

Das verwundert eigentlich nicht. Als Großbritannien Mitte des 20. Jahrhunderts im Niedergang begriffen war, unkten Amerikaner, Kanadier, Australier und andere: Wer den Willen zum Aufbruch hatte, ist eben aufgebrochen. Zurück geblieben seien die Zurückgebliebenen.

Das war unfair, erfasste aber eine wichtige Wahrheit. Es sind oft die Tatkräftigen, die Ehrgeizigen, die Intelligenten, die Hungrigen, die dort weggehen, wo sie keine Zukunft sehen. Wenn die Kinder oder Kindeskinder erst die sprachlichen und kulturellen Probleme der Fremdheit überwunden haben, werden sie zu Leistungsträgern.

In Deutschland sieht man das etwa im Profi-Fußball. In der Schule leider nicht. Wenn wir bei der Mathematik bleiben, so ist der Pisa-Leistungsunterschied zwischen Kindern der ersten Generation und einheimischen Kindern viel größer als in Großbritannien. Er verringert sich zwar in der zweiten Generation erheblich, bleibt aber bestehen. Der Befund ist erklärungsbedürftig.

In einer Mail an WELT schreibt Pisa-Chef Andreas Schleicher auf Anfrage: „Schüler mit Migrationshintergrund stellen sich in Großbritannien in der Regel höhere Bildungsziele als in Deutschland oder Frankreich.“ Aha. Es liegt nahe, was Schleicher explizit vermeidet: den kulturellen Hintergrund der Zugewanderten wenigstens teilweise für den Mangel an Bildungsehrgeiz verantwortlich zu machen.

Im nationalen Pisa-Bericht 2022 heißt es: „Vor allem für Schüler*innen der ersten Generation und für Jugendliche aus der Türkei und den arabischen Ländern zeigen sich große Abstände zu den Jugendlichen ohne Zuwanderungshintergrund.“ Hinzu kommt, dass die Kinder mit starken Defiziten in den letzten Jahren besonders stark in der Schule vertreten waren.

Allgemein beträgt der Anteil der Lernenden mit Migrationshintergrund in Deutschland 39 Prozent, eine Zunahme von 10 Prozentpunkten gegenüber 2012. In Großbritannien sind es 20 Prozent. Nach Angaben der Kultusministerkonferenz (KMK) hat sich der Anteil der Jugendlichen der ersten Generation – die also selbst nicht in Deutschland geboren wurden – seit 2012 von 3,7 Prozent auf 9,2 Prozent mehr als verdoppelt.

„Dies ist vermutlich auch auf die Geflüchteten aus arabischen Ländern, die vor allem seit dem Jahr 2015 nach Deutschland gekommen sind, zurückzuführen“, heißt es im PISA-Bericht für Deutschland. Sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland gibt es überdies eine starke Korrelation zwischen der zuhause gesprochenen Sprache und den Schulleistungen, auch in Mathematik.

In Familien mit arabischem Migrationshintergrund wird bei uns nur in 33 Prozent der Fälle zuhause Deutsch gesprochen; bei türkischstämmigen Familien sind es 52,7 Prozent, bei Familien aus der früheren Sowjetunion 57 Prozent, bei polnischstämmigen Familien 60 Prozent. Wer aber unzureichend Deutsch spricht, wird keine Gymnasialempfehlung bekommen, selbst wenn er oder sie mathematisch begabt ist, und einen entsprechend schlechteren Mathematikunterricht bekommen.

Weder Lehrkräfte noch Behörden ausreichend qualifiziert

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Was tun? An der Zusammensetzung der Schülerschaft wird sich in den nächsten Jahrzehnten wenig ändern, allen Remigrations-Fantasien bestimmter Kreise zum Trotz. Das heißt, ein erheblicher Teil der Lernenden in unseren Schulen wird aus Familien stammen, die nicht nur sozioökonomisch benachteiligt und bildungsfern sind, sondern auch einen sprachlich-kulturellen Abstand zur Mehrheitsgesellschaft aufweisen.

Die Schule muss hier Aufgaben der kompensatorischen Erziehung wahrnehmen, für die weder die Lehrkräfte noch die Behörden ausreichend qualifiziert sind. Der Pisa-Bericht stellt fest: „Mit dem Ziel, Bildungsbarrieren abzubauen, soziale Ungleichheiten zu verringern und allen Kindern bestmögliche Bildungschancen zu ermöglichen, haben Bund und Länder seit der Veröffentlichung der Ergebnisse der ersten Pisa-Studie im Jahr 2000 viel unternommen.“

Jedoch: „Auch wenn diese Maßnahmen punktuell empirisch Wirkung zeigten, lassen sich die mit diesen Programmen erhofften Verbesserungen in den vorliegenden Befunden nicht abbilden. Vielmehr scheinen sich die Defizite der Jugendlichen aus bildungsfernen familiären Haushalten losgelöst von diesen Programmen zu kumulieren.“

Mit anderen Worten: Seit fast einem Vierteljahrhundert werden allerlei Programme mit großem Trara von der Politik verkündet, während sich die Situation für Lehrende und Lernende an den Schulen verschlechtert und das Potenzial der Zuwanderer-Kinder verschwendet wird. Ein vernichtendes Urteil.

Ghettoschulen verwalten das Problem nur

Als Georg Picht 1964 eine „deutsche Bildungskatastrophe“ konstatierte, folgte eine nationale Kraftanstrengung. Immerhin konnte die Quote der Studienanfänger innerhalb von 30 Jahren von 10 Prozent auf 24 Prozent gesteigert werden. Allerdings profitierten verschiedene Schichten in ungleichem Maße von dieser Bildungsrevolution.

Nur sieben Prozent der Arbeiterkinder begannen 2000 mit einem Universitätsstudium, im Vergleich zu 53 Prozent der Kinder von Beamten und 41 Prozent der Kinder von Freiberuflern. Chancengleichheit sieht anders aus. Kinder werden nämlich nicht als Schulversager geboren. Eltern mögen bildungsfern sein; dennoch wollen sie das Beste für ihre Kinder, auch wenn sie selbst dazu wenig beitragen können.

Zuwanderung kann eine Bereicherung sein, auch für die Schule. Wenn aber so weiter gemacht wird wie in den letzten 25 Jahren, bleibt sie eine Belastung. Bildungsehrgeizige Eltern schicken ihre Kinder auf Privatschulen oder melden sie in Bezirken an, in denen der Zuwanderer-Anteil überschaubar ist.

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Ghettoschulen verwalten das Problem, ohne auch nur die Hoffnung, es zu lösen. Akademische Debatten, als deren Folge das Ansprechen kulturell bedingter Bildungsdefizite tabuisiert wird, helfen genauso wenig wie Antiglobalismus und Rassismus. Lehrerschelten sind kontraproduktiv. Gute Ideen sind gefragt.

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