Ja, sagt Jan Alexander Casper
Louis Klamroth („Hart aber fair“) sagte dem Deutschlandfunk, er wolle die 1. Klasse im ICE abschaffen. So halb zumindest; bei Zugüberfüllung will er dem Billig-Publikum Gastrecht im besseren Zugteil gewähren. Man sollte die 1. Klasse lieber ganz einstampfen, dann gäbe es grundsätzlich weniger Gedränge. In einen Endwagen des ICE 3 der 1. Klasse passen 50, in einen Wagen der 2. Klasse 68 Sitze. ICE-Fans haben alle ICE-Grundrisse ins Netz gestellt.
Wer mag, kann für sich persönlich durchrechnen, wie viele Tausende Zusatzsitze in deutschen Schnellzügen es geben könnte, wären überall Sitze wie in der 2. Klasse. Die 1. Klasse unterscheidet sich ohnehin nur marginal von der 2. Klasse.
Beide wiederum sind Welten entfernt von der inoffiziellen 3. Klasse, auch „Flixtrain“ genannt. Das bisschen mehr Platz lohnt eine 1. Klasse nicht. Distinktionssüchtige ICE-Gäste können auch einen überteuerten Rimowa-Koffer kaufen. Und echt luxuriös durchs Land fährt es sich eh nur in einer schönen Limousine.
Der Autor erhielt beim Bahnstreik ein Mietwagen-Upgrade auf einen BMW 520i mit „M“-Sportpaket.
Nein, sagt Rainer Haubrich
Louis Klamroth ist ein Sozialromantiker – jedenfalls was die Deutsche Bahn betrifft. Einer seiner Gründe für die Abschaffung der 1. Klasse klingt wie eine Wortmeldung beim Evangelischen Kirchentag: „Im Moment ist das Bordbistro das Verbindungsteil zwischen der 1. und der 2. Klasse. Da treffen sich die beiden Welten ein bisschen. Schöner wäre es doch, wenn wir uns die ganze Zeit treffen.“
Nein, das wäre nicht schöner. Dann säße nämlich die Geschäftsreisende, die ihre Ruhe braucht, inmitten des Kegelclubs „Alle Neune“ – und würde das nächste Mal wieder das Flugzeug nehmen. In fast allen Bereichen des Lebens kann man zwischen mehreren Kategorien wählen: bei Restaurants, bei Hotels, bei Mietwagen, bei Zusatzversicherungen, bei Ehepartnern.
Selbst bei Dönern hat man mittlerweile die Wahl zwischen der Holzklasse für 4,90 Euro und der Luxusklasse für 29 Euro. Und ausgerechnet bei langen Zugfahrten soll die klassenlose Gesellschaft verwirklicht werden? Wir brauchen nicht weniger Auswahl, sondern mehr. Vier Klassen wären das Mindeste.
Der Autor hat kein Auto. Aber er gönnt sich komfortable Bahnreisen.