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Meinung „Schmonzes“

Ein Musikantenstadl zur Pogromnacht

Holocaust-Gedenken mal anders: Mit eigens bedruckten Putztüchern warb der Berliner Senat für ein gemeinschaftliches Stolperstein-Putzen Holocaust-Gedenken mal anders: Mit eigens bedruckten Putztüchern warb der Berliner Senat für ein gemeinschaftliches Stolperstein-Putzen
Holocaust-Gedenken mal anders: Mit eigens bedruckten Putztüchern warb der Berliner Senat für ein gemeinschaftliches Stolperstein-Putzen
Quelle: Leeor Engländer
Einst galten Holocaust-Gedenktage den Opfern. Heute versucht man, mit Gedenk-Events auch junge Menschen zu erreichen. Doch in Berlin misslingt würdevolles Erinnern mit massentauglichen Aktionen.

Das Erinnern an den Holocaust ist keine einfache Sache. Da konkurrierte jüngst der Wunsch nach individuellem Gedenken einerseits mit dem Verlangen nach massentauglichen, öffentlichkeitswirksamen Aktionen in großer Gemeinschaft andererseits. Geschmack und Taktgefühl kommen dabei schnell abhanden.

In der jüdischen Gemeinde zu Berlin beispielsweise ließ der Vorsitzende Gideon Joffe zum 75. Jahrestag der Pogromnacht ein Gedenk-Musical inszenieren. Der Abend begann, als säße man im Revuetheater, mit einer Durchsage vom Band und der Bitte, die Mobiltelefone auszuschalten.

Später wurden die anwesenden Holocaust-Überlebenden unfreiwillig zum Publikum von Hitler und Goebbels, deren antijüdische Hetzparolen von alten Radioaufnahmen abgespielt wurden. Die Krönung bot eine Live-Darbietung des Gassenhauers „Bei mir bist du schön“, was einige der Gäste dazu veranlasste, mitzuklatschen, als säßen sie im Musikantenstadl.

„Stolperstein-Kieztouren“ als Gedenk-Event

Dass der Regierende Bürgermeister von Berlin es schon zuvor fertigbrachte, anwesende Würdenträger namentlich zu begrüßen, dabei aber die wenigen noch lebenden Opfer der Shoah, die extra gekommen waren, nur allgemein erwähnte, geriet zur Randnotiz.

Schließlich hatte der Senat sich schon am Morgen ausgiebig um die ermordeten Juden gekümmert. Eine Stolperstein-Putzaktion sollte helfen, das schlechte Gewissen zu polieren.

Alle Berliner wurden aufgerufen, die goldenen Pflastersteine zu reinigen, die in der Stadt an ermordete und verfolgte jüdische Bürger erinnern. Eigentlich eine schöne Idee.

Doch bei der Bewerbung der „Mitmach-Aktion“ wollten die Manager der landeseigenen Holocaust-Gedenk-Event-Agentur offenbar speziell junge Menschen ansprechen: „Stolperstein-Kieztouren“ nannte man das dann und verteilte auch gleich das passende Give-away: Ein „persönliches Stolperstein-Putztuch“.

„Dabei sein“ und „aktiv erinnern“ stand auf dem Flyer des Mikrofasertuches. „Da hätte man auch Zahnbürsten verteilen können“, schrieb mir ein Leser. „Die neueste Art der Säuberung“, nennt es meine Mutter.

Nein, niemand muss heutzutage noch in Sack und Asche gehen, um an die NS-Verbrechen zu erinnern. Doch es geht auch würdevoll – wie bei den zweihundert Rabbinern, die bei Nacht mit Kerzen vom Brandenburger Tor zum Holocaustmahnmal marschierten – ganz individuell einerseits und zugleich in großer Gemeinschaft.

Leeor Engländer schreibt alle 14 Tage in der Kolumne "Schmonzes" über seine jiddische Familie. Folgen Sie ihm auf Facebook und Twitter.

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