WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistent für alle Fragen und Lebenslagen
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Debatte
  3. Henryk M. Broder
  4. Käßmann & Co.: Pazifismus ist Lifestyle, für den andere bezahlen

Meinung Käßmann & Co.

Pazifismus ist Lifestyle, für den andere bezahlen

Reporter
Friedensengel der Nation: Die ehemalige EKD-Vorsitzende Margot Käßmann meint, es könne keinen gerechten Krieg geben. Und die Mehrzahl der Deutschen findet das auch Friedensengel der Nation: Die ehemalige EKD-Vorsitzende Margot Käßmann meint, es könne keinen gerechten Krieg geben. Und die Mehrzahl der Deutschen findet das auch
Friedensengel der Nation: Die ehemalige EKD-Vorsitzende Margot Käßmann meint, es könne keinen gerechten Krieg geben. Und die Mehrzahl der Deutschen findet das auch
Quelle: picture-alliance / dpa
Der Pazifismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Doch dahinter steht weniger die Liebe zum Frieden als vielmehr der Wunsch, sich die Hände nicht schmutzig machen zu müssen.

Vor ziemlich genau elf Jahren, am 14. Juli 2003, erschien im „Spiegel“ ein Interview mit dem Theaterguru Peter Zadek, in dem es unter anderem um „seine Abneigung gegen Amerika“ ging.

Zadek, der in England aufwuchs, wohin seine jüdischen Eltern vor den Nazis geflohen waren, sagte darin unter Berufung auf seinen „alten Freund“, den Dramatiker Harold Pinter, die Amerikaner „seien heute mit den Nazis zu vergleichen“, nur einen Zacken schlimmer. „Der Unterschied besteht darin, dass die Nazis vorhatten, Europa zu besiegen; die Amerikaner aber wollen die ganze Welt besiegen.“

Zadek gab zu, dass er noch nie in den USA war und dass sein Amerika-Bild von dem „schrecklichen Zeug ... aus Hollywood“ geprägt wurde, Filmen wie „About Schmidt“ und „American Beauty“. Auf die Frage: „Man tut Ihnen also kein Unrecht, wenn man Sie einen Anti-Amerikaner nennt?“, antwortete er mit entwaffnender Offenheit: „Nein. Ich finde es feige, dass viele Leute heute einen Unterschied machen zwischen dem amerikanischen Volk und der gegenwärtigen amerikanischen Regierung.“

Ebenso unverhohlen reagierte Zadek auf die Frage, ob er „die kriegerische Beteiligung der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg gegen Hitler für falsch“ halte: „Auch dieser Krieg hätte nicht stattfinden dürfen. Krieg produziert im Endeffekt nur Katastrophen.“

Wenn Käßmann spricht, geht ein Ruck durch die Republik

Dank seiner Reputation als „Theatergenie“ mit einem Hang zum Exzentrischen genoss Zadek eine beinah grenzenlose Narrenfreiheit. Aber er war keine moralische Instanz, kein Tribun, der die Massen aufwühlte und in seinen Bann zog.

Ganz anders dagegen Margot Käßmann, die ehemalige Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Wann immer sie sich zu Wort meldet, geht ein Ruck durch die Republik, und wenn es nur um eine Plattitüde geht wie die Feststellung: „Nichts ist gut in Afghanistan.“

Zwei Tage nach dem 70. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie, die den Anfang vom Ende der nationalsozialistischen Herrschaft über Europa einleitete, gab die „Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017“ der „Bild am Sonntag“ ein Interview, in dem sie unter anderem sagte:

„Einen gerechten Krieg kann es nicht geben. Selbst beim Zweiten Weltkrieg war es so, dass am Ende bei allen die Vernunft aussetzte. Da wurden Städte voller Flüchtlinge bombardiert oder die ,Wilhelm Gustloff‘ mit Tausenden von Flüchtlingen an Bord versenkt. Da wird auch für die, die den Krieg für Gutes wollen, der Krieg zur zerstörerischen Kraft.“

Ohne die Alliierten gäbe es keine Friedensbewegung

Doch diesmal ging kein Ruck durch Deutschland, hier und da wurde kurz eine Augenbraue hochgezogen, aber das war auch schon alles. Margot Käßmann hatte kein Tor zu einer Debatte aufgestoßen, sie war durch eine weit offene Tür gestürmt.

Anzeige

Dass es einen „gerechten Krieg“ nicht geben kann, scheint inzwischen so weit Konsens in der Bundesrepublik zu sein, dass ein solcher Befund auf keinerlei Widerspruch stößt. Um eine abgedroschene Phrase, die gerne von Extremismusforschern benutzt wird, zu variieren: Der Pazifismus ist inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Ein Pazifismus, der die Abwesenheit von Krieg im eigenen Haus zur Voraussetzung hat. Denn so wie die Antifa nur dort gedeihen kann, wo es keinen organisierten Faschismus gibt, kann der Pazifismus sich nur dort ungehindert entfalten, wo die Wehrpflicht und alles, was mit ihr zusammenhängt, abgeschafft wurde.

Wobei der deutsche Pazifismus sich vor allem gegen jene richtet, die ihn mit ihrem militärischen Einsatz erst ermöglicht haben. Ohne die Intervention der Alliierten gäbe es keine Friedensbewegung in Deutschland, keine Ostermärsche, keinen Jürgen Todenhöfer, keine Margot Käßmann.

Nur Menschen, die an den Osterhasen, den Weihnachtsmann und die Intelligenz der Kaulquappen glauben, neigen auch zu der Ansicht, die Waffen-SS sei eine gut getarnte Friedensinitiative gewesen, die nur auf den richtigen Moment gewartet habe, sich zu ihren wahren Zielen zu bekennen.

Des Wahnsinns fette Beute

Vor elf Jahren stand ein Exot wie Peter Zadek mit seiner Überzeugung, die Amerikaner seien schlimmer als die Nazis, zwar nicht allein auf weiter Flur da, aber die Zahl jener, die ihm zustimmten, war noch überschaubar. Heute artikuliert Margot Käßmann das, was die Mehrheit der Deutschen denkt: Es kann keinen gerechten Krieg geben, ein Krieg ist immer ungerecht, egal, wer ihn anfängt und wer ihn beendet.

Eine solche Haltung „Pazifismus“ zu nennen wäre Verrat an Menschen wie Carl von Ossietzky, die ihre Überzeugung mit dem Leben bezahlen mussten. Der Pazifismus des 21. Jahrhunderts dagegen ist ein Lifestyle, für dessen Kosten andere aufkommen. Es ist weniger die Liebe zum Frieden als vielmehr der Wunsch, sich die Hände nicht schmutzig machen zu müssen.

Der deutsche Pazifismus hat zudem eine starke retroaktive Komponente. Wenn Margot Käßmann sagt, es könne keinen gerechten Krieg geben, selbst beim Zweiten Weltkrieg sei es so gewesen, „dass am Ende bei allen die Vernunft aussetzte“, dann rechtfertigt sie damit zwar nicht die Politik der Nazis, aber sie delegitimiert den Einsatz der Alliierten gegen das Dritte Reich.

Anzeige

Die eine Seite, so die Botschaft zwischen den Zeilen, war nicht besser als die andere, irgendwie waren alle des Wahnsinns fette Beute. Die einen tobten sich an der Ostfront aus, die anderen über Hamburg und Dresden.

Der eine Opa wurde im KZ vergast, der andere ist besoffen vom Wachturm gefallen. Aber am Ende waren sie beide tot, Opfer derselben Umstände.

Der Revisionismus der gebildeten Stände

Das ist mehr als nur ein wohlfeiler moralischer Rigorismus, dessen Protagonisten von einem Hochsitz aus die Zeitläufte kommentieren. Es ist der Revisionismus der gebildeten Stände, die es gelernt haben, ihre Ressentiments subtil zu formulieren. Und ein Nullsummenspiel, bei dem die Verbrechen der einen Seite gegen die Sünden der anderen verrechnet werden.

Die deutsche Friedensbewegung, der zu den Ereignissen in Syrien und im Irak bestenfalls einfällt, auch diese seien vom Westen verschuldet, ist ein Ausläufer des deutschen Nationalismus, die späte Rache der Nazis an den Weltkrieg-2-Alliierten. Die Gestapo lebt auf Guantánamo weiter, Abu Ghreib ist das neue Auschwitz. Und die NSA macht dort weiter, wo das Reichssicherheitshauptamt aufgehört hat.

So werden alte Rechnungen beglichen. Keine Frage, die deutsche Friedensbewegung hat aus der Geschichte „gelernt“. Vor allem eines: dass man keinen Krieg anfangen sollte, den die anderen gewinnen könnten.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema