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Meinung Osteuropa

Wollt ihr Ukrainer wirklich in die EU?

Reporter
Anti-government protest in Ukraine Anti-government protest in Ukraine
Brüssel im Blick: Zwei Ukrainerinnen bei den Pro-EU-Demonstrationen
Quelle: dpa
Die Brüsseler Mandarine wissen nicht, was sie mit den Flüchtlingen aus Afrika anfangen sollen. Aber den 45 Millionen Ukrainern wollen sie unbedingt mit einem „Assoziierungsabkommen“ helfen.

Wann hat man zuletzt einen Boxer an der Spitze einer Demonstration in Deutschland gesehen? Wann sind zuletzt Menschenmassen auf deutschen Straßen unterwegs gewesen, um für Freiheit und gegen staatliche Bevormundung zu demonstrieren? Da war was vor einigen Jahren, nachdem das Kabinett den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet beschlossen hatte, das von vielen Internet-Aktivisten als ein Akt der Zensur empfunden wurde.

Eine „Petition gegen Netzsperren“ wurde innerhalb weniger Tage von über 80.000 Menschen unterzeichnet. Und da waren vor kurzem die Proteste gegen die Aktionen der amerikanischen National Security Agency in deutschen Netzen. Aber da ging es weniger um das Abhören an sich als um die „Verletzung der deutschen Souveränität“ durch fremde Mächte. Wenn es denn sein muss, dann möchte man lieber von den eigenen Behörden belauscht werden.

Die Bilder der letzten Tage aus der Ukraine erinnern an die Demonstrationen in der DDR am Vorabend des Mauerfalls, als Hunderttausende von Menschen ihrem Land den Rücken kehrten, symbolisch und tatsächlich.

Das „Paradies der Werktätigen“

Sie hatten die Nase voll von den Lügen und Märchen, mit denen sie im „Paradies der Werktätigen“ täglich zwangsernährt wurden und wollten nur eines: Hinaus „zur Sonne, zur Freiheit“, wie es in einem alten Lied der Arbeiterbewegung heißt, in ein Land, wo „hell aus dem dunklen Vergangenen leuchtet die Zukunft hervor“.

Der Jubel der DDR-Flüchtlinge im Garten der BRD-Botschaft in Prag, als sie von ihrer unmittelbar bevorstehenden Ausreise erfuhren, hallt immer noch nach. Es ist einer der schönsten Momente der deutschen Geschichte.

Und die Geschichte scheint sich zu wiederholen, an einem anderen Ort, mit anderen Akteuren. Die Ukraine war ein Vasallenstaat der Sowjetunion, auch wenn sie quasi souverän agierte und sogar, wie Weißrussland, mit einem Sitz in den Vereinten Nationen vertreten war. Und daran hat sich auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wenig geändert. Die Ukraine ist immer noch ein Vasallenstaat, diesmal des neuen Russlands, das von einem „lupenreinen Demokraten“ autoritär regiert wird.

Putin, das Politik-Genie

Auch wer Putin nicht mag, muss freilich zugeben, dass der russische Präsident ein Politik-Genie ist. Er hat es geschafft, sein marodes Reich wieder in den Rang einer Weltmacht zu erheben, ohne die nichts geht. Weder Frieden in Syrien, noch ein Abkommen mit dem Iran. Wenn Putins starker Arm es will, stehen alle Räder still, es fließt kein Gas nach Europa und die Proteste der Menschenrechtler gegen Polizeiterror und Justizwillkür zeigen so viel Wirkung wie die Fürbitte eines rheinischen Vikars zugunsten der Opfer einer Sturmflut in der Karibik.

Und an dieser Stelle tritt die Europäische Union in Aktion. Russland ist eine Weltmacht, und die EU möchte eine werden, um auf gleicher Augenhöhe mit den anderen Weltmächten verkehren zu können: USA, Russland, China und Indien. Zwar gibt es in der EU Regeln und Vorschriften für alles Mögliche und Unmögliche, und täglich werden es mehr, aber es gibt keine Richtlinien für den Umgang mit Diktaturen.

Jedes Land macht, was es will bzw. was ihm nützlich erscheint. Außenminister Westerwelle hat etwa seine eigene Strategie entwickelt. Kommt es irgendwo zu einem Aufstand, wie in Ägypten oder Libyen, appelliert er an die Konfliktparteien, auf Gewalt zu verzichten, wartet ab, wie die Dinge laufen und gratuliert dann den Gewinnern. Weil er aber in ein paar Tagen aus dem Amt scheiden muss, hat man ihn jetzt schon an der Seite des sympathischen Vitali Klitschko in Kiew gesehen, wild entschlossen im letzten Moment das zu tun, wozu er die letzten vier Jahre reichlich Gelegenheit hatte: einen Blick hinter die Kulissen der ukrainischen Demokratur zu werfen.

EU als eine embyronale Großmacht

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Aber auch dann noch betonte er, man sollte seinen Auftritt nicht als einseitige Parteinahme verstehen: „Wir sind als Europäer zu Europäern gekommen.“ Sozusagen auf ein Tässchen Tee mit dem Kardiologen: „Hier schlägt das Herz europäisch. Hier merkt man europäische Leidenschaft.“

Die EU als Ganzes agiert eher proaktiv. Sie hat im Rahmen der „Europäischen Nachbarschaftspolitik“ eine „Östliche Partnerschaft“ ins Leben gerufen, um einige frühere „Staaten“ der Sowjetunion an die EU „heranzuführen“, soll heißen, sie aus der russischen Umklammerung zu lösen. Für Putin bedeutet dieses politische Manöver im Zuge der „Osterweiterung“ eine Einmischung der EU in russische Angelegenheiten.

Die ukrainischen Bürgerrechtler müssen es aber als Zeichen einer humanitären Politik missverstanden haben. Ob sie nun „nach Europa“ oder „in die EU“ wollen, wie in den deutschen Medien meistens berichtet wird, darauf kommt es nicht an. Sie wollen das Ende der Diktatur in ihrem Land. Und fühlten sich durch Europa bzw. die EU ermuntert, den Kampf aufzunehmen.

Die EU, als embryonale Großmacht, will etwas anderes. Sie will wachsen und erwachsen werden. Humanitäre Motive wirken dabei bestenfalls am Rande mit. Der Einflussbereich der EU soll ausgebaut werden. Im Osten, Westen, Norden und Süden. Und so hat man, nach langem Fingerhakeln, den ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch davon überzeugt, es wäre das Beste für die Ukraine, ein „Assoziierungsabkommen“ mit der EU zu unterzeichnen.

Eine Braut, die sich nicht traut

Der zierte sich erst eine Weile, gab dann nach, um schließlich im letzten Moment Nein zu sagen, wie eine Braut, die kurz vor der Trauung die Hochzeit platzen lässt. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europa-Parlament, Elmar Brok (CDU), nannte als Grund für die Entscheidung des ukrainischen Präsidenten „russischen Druck“ – eine Feststellung, wie sie hellsichtiger nicht sein könnte.

Dessen ungeachtet will die EU weiter machen, die Verhandlungen mit der Ukraine sollen fortgesetzt bzw. wieder aufgenommen werden, hat der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz (SPD), durchblicken lassen. Die Brüsseler Mandarine wissen zwar nicht, was sie mit den Flüchtlingen aus Afrika anfangen sollen, die vor Lampedusa angespült werden, sie bestreiten überhaupt, dass es so etwas wie eine Armutswanderung gibt und überlassen das Problem den völlig überforderten Gemeinden, aber sie wollen 45 Millionen Ukrainern mit einem „Assoziierungsabkommen“ helfen, ein besseres Leben zu führen.

Den Ukrainern kann man es nicht übel nehmen, dass sie den Sirenengesängen vertrauen, wie zuletzt schon die Bulgaren und Rumänen, deren Lage sich durch den Beitritt zur EU eher verschlechtert als verbessert hat.

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Aber die EU ist kein Wohltätigkeitsverein, sie tritt nur wie ein Sugar Daddy gegenüber einer Unschuld vom Lande auf, charmiert, drückt schon mal ein Auge zu, wenn nicht alle Papiere stimmen, und stellt mehr in Aussicht, als sie liefern kann. Sie expandiert nicht, um Wohlstand in die Karpaten und das Donez-Becken zu bringen, sondern weil sie es im eigenen Interesse tun muss. „Europa ist wie ein Fahrrad. Hält man es an, fällt es um“, hat mal der Franzose Jacques Delors gesagt, als er Präsident der EG-Kommission war.

Ein gigantischer Umverteilungsapparat

Verglichen mit der Abhängigkeit von Russland mag die Anbindung an die EU tatsächlich das kleinere Übel sein. Brüssel, sagt H.M. Enzensberger, ist „ein sanftes Monster“, das den Europäern vorschreibt, welche Glühbirnen und Staubsauger sie benutzen sollen, wie viel Wasser ihre Toilettenspülungen verbrauchen dürfen und wie viel Kritik an Europa zulässig ist.

Das klingt relativ harmlos, wenn man aber das Kleingedruckte in den Verträgen gelesen und die Kommissare bei ihren selbstherrlichen Auftritten erlebt hat - wie sie alle, die Kritik an der EU üben, zu „Europafeinden“ und „Europahassern“ erklären -, dann weiß man, welches totalitäre Potenzial hinter den jovialen Brüsseler Charaktermasken steckt.

Die EU ist vor allem ein gigantischer Umverteilungsapparat, der in sieben Jahren fast eine Billion Euro (das ist eine Eins mit zwölf Nullen bzw. eine Million Millionen) einnimmt und ausschüttet. Bei so viel Geld, das umverteilt werden muss, werden natürliche Begehrlichkeiten wach. Eine Grundschullehrerin in der Ukraine verdient umgerechnet 120.- Euro im Monat.

Kein Wunder, dass sie sich von der EU mehr verspricht, als sie je bekommen wird, sollte die Ukraine eines Tages doch noch mit einem Kommissar für Gebrauchtwagenhandel in Brüssel vertreten sein.

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