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“The Fat Zine”: Ein Magazin von und für dicke Menschen und alle, die sie lieben

Wir haben mit Gina Tonic, Mitbegründerin des Magazins “The Fat Zine”, über Internet-Trolle und Fatshaming gesprochen – und wie gut es wirklich um das Thema Inklusivität in der Modebranche bestellt ist. 
The Fat Zine Magazin für dicke Menschen Interview Gina Tonic
Ashleigh Tribble

“The Fat Zine”! Das Magazin von und für dicke Menschen und alle, die sie lieben

Wie viele gute Geschichten fängt auch diese mit einer zufälligen Begegnung an: Vor mehr als vier Jahren trafen die Journalistin Gina Tonic und die Fotografin Chloe Sheppard durch einen gemeinsamen Job aufeinander und merkten schnell, dass sie sich über dieselben Dinge ärgern. “Wir müssen uns beide offensichtlich damit auseinandersetzen, eine dicke Frau in der Kreativbranche und im Leben allgemein zu sein”, sagt Tonic, die in Manchester lebt. 

Zwar schwebte der Journalistin schon länger der Gedanke im Kopf herum, ein Magazin für dicke Menschen zu machen, doch fehlte ihr die Zeit dazu. Durch die Pandemie hatte sie davon letzten Sommer reichlich. “Ich erinnere mich noch, dass Chloe nach einem neuen kreativen Projekt gesucht hatte”, erzählt Tonic. “Also meinte ich zu ihr ‘Lass und das jetzt einfach machen.'”

Und so wurde “The Fat Zine” geboren, eine Plattform “von und für dicke Menschen und alle, die sie lieben” (engl.: "by fat people for fat people and those that care"). Voll gepackt mit Essays, Interviews, Gedichten, Kurzgeschichten, Fotos und Kunst, die dicke Körper und ihre Realitäten in den Mittelpunkt stellen. Erst vor Kurzem erschien die zweite Ausgabe, in der sich alles um eines der schönsten Themen überhaupt dreht: die Liebe. 

Ausgabe Zwei von “The Fat Zine”

Courtesy of The Fat Zine

Im Interview erklärt uns Gina Tonic, warum est in einer Welt, die von Selbstzweifeln anderer profitiert, ein radikaler Akt ist, sich selbst zu lieben.

Gina Tonic von “The Fat Zine” im Interview

VOGUE: Ein neues kreatives Projekt in einer Pandemie zu realisieren, ist nicht gerade einfach. Was treibt Sie an?

Gina Tonic: Es ist eine persönliche Leidenschaft. Das ist unser Leben, unser Lifestyle. Es beeinflusst, wie wir in jedem Aspekt unseres Lebens behandelt werden. Mit “The Fat Zine” bieten wir eine Plattform für unsere dicken Mitmenschen, um an einem sicheren Ort über ihre Erfahrungen zu sprechen. Wir arbeiten generell nur mit dicken Menschen zusammen und mit solchen, die dicke Menschen lieben, da wir nicht zu exklusiv sein wollen. Es fühlt sich sehr dankbar an, eine Plattform bereitzustellen, die wir beide vermisst haben. Seit den 90ern gab es keine solche Print-Publikation mehr, das macht es umso schöner, sie 30 Jahre später zurückzubringen. 

Aus der ersten Ausgabe von “The Fat Zine”

Simia Rassouli

Waren die Reaktionen darauf immer positiv? 

Auf unserem Instagram-Account und auf Social Media generell waren alle Reaktionen durchweg positiv und feiernd, doch sobald die Inhalte von einem breiteren Publikum geteilt werden, gibt es viele Trolle, die meinen: “Das ist nicht gesund”. Wir antworten dann immer mit der Frage: “Warum wird jemand als weniger wert angesehen? Warum werden Moral und Menschlichkeit aufgrund der Gesundheit infrage gestellt?” Bei einem so kontroversen Projekt bleibt es wohl nicht aus, Trolle anzuziehen. Das Beste ist, sie zu löschen und zu blockieren, um den Safe Space zu wahren. 

Viele Leute schreiben Ihnen, dass sie sich “The Fat Zine” gewünscht hätten, als sie aufgewachsen sind. Geht es Ihnen ähnlich? Vielleicht können Sie uns ein bisschen mehr über die persönliche Reise mit ihrem Körper erzählen. 

Hoffentlich wird “The Fat Zine” in die Hände der Menschen gelangen, die jetzt erwachsen werden. Es ist definitiv etwas, das ich damals gerne gelesen hätte – genauso wie ich gerne mehr über Fat Liberation und Body Positivity gewusst hätte. Wenn ich als Kind mit mehr Medien groß geworden wäre, die dicke Körper in ein positives Licht rücken, hätte das vielleicht meiner psychischen Gesundheit geholfen. Damals in den 90ern war es so wichtig, dünn zu sein und jede:r vergötterte Celebritys wie Lindsay Lohan. Es war vermutlich eine sehr schädliche Zeit, um als dickeres Kind aufzuwachsen. Wenn ich heute abnehme, werde ich so in die Diätkultur und meine eigenen mentalen Kämpfe hineingezogen, dass es schnell toxisch wird. Es ist mental so viel gesünder für mich, eine dicke Person zu sein. Wenn man versucht, das einigen Leuten zu erklären, verstehen sie es einfach nicht. 

Aus Ausgabe Eins von “The Fat Zine”

Elyonna Mone

Neben “The Fat Zine” haben Sie auch “The Fat Reading Club” ins Leben gerufen. Würden Sie sagen, dass Ihr Hauptziel darin besteht, einen sicheren Ort für Ihre Community zu schaffen? 

Ich sage immer wieder, dass es um Community geht, aber auch darum, mit ihr zu teilen. Ressourcen zugänglich zu machen, ist ein großer Teil dessen, was wir vorhaben. Zwar wurde “The Fat Reading Club” vorerst pausiert, aber es war hauptsächlich Chloes Idee, unsere Lieblingsarbeiten von und über dicke Menschen einzuscannen und als Community und Gruppe darüber zu sprechen, denn einige der Ideen darin sind vielleicht revolutionär. 

Aus Ausgabe 1 von “The Fat Zine”

Jamie Gonzalez

Wenn wir gerade von revolutionär sprechen: Es wird viel behauptet, dass die Modeindustrie einen großen Fortschritt in Sachen Inklusivität macht. Würden Sie dem zustimmen?

Die Leute tun so, als ob die Welt sich so sehr verändert hat, aber es ist nicht genug und ich denke, dass es noch für eine lange Zeit nicht genug sein wird. Wenn man kleine Erfolge feiert, endet es oft damit, dass Marken sich auf das Minimum reduzieren im Sinne von “Wir haben doch unseren Job gemacht, wir haben ein Häkchen drunter gesetzt”. Doch was ist mit inklusiven Modelinien? Oder Kleidung, die weiter reicht als bis zum kleineren Ende von “Plus Size”? 

Talitha Khachik

Welchen Diskurs wünschen Sie sich für die Zukunft in Bezug auf dicke Körper?

Ich habe das Gefühl, dass es schlimmer oder zumindest schwieriger geworden ist, besonders in Großbritannien. Vergangenen Sommer gab es diese große Kampagne der Regierung gegen Fettleibigkeit, in der es hieß, dass alle dicken Menschen an den schrecklichen COVID-Zahlen Schuld seien. Ich denke, wir brauchen öfter einen Reality Check, welche Fortschritte tatsächlich erzielt werden im Vergleich zu jenen in unseren eigenen Bubbles. Fat Liberation als Bewegung war nie dazu gedacht, neben dem Kapitalismus zu existieren und ist auch fernab der Mode unglaublich wichtig. Wie wir im medizinischen Bereich und am Arbeitsplatz diskriminiert und im Allgemeinen respektiert werden, muss in der Bewegung stärker in den Mittelpunkt gestellt werden. Und die Betroffenen innerhalb der Bewegung müssen sich mehr darauf konzentrieren, diese Botschaft in die Massen zu bringen, anstatt sie innerhalb unserer Communitys zu halten. Die Welt wurde nicht für dicke Menschen gebaut und das muss sich ändern.

Hier erfahren Sie mehr über “The Fat Zine” und können sich die zweite Ausgabe bestellen. 

Isold Halldorudottir