Mansplaining & Co.

Toxische Männlichkeit erkennen: Was sie ausmacht und woher sie kommt

Toxische Männlichkeit ist in unserem Alltag omnipräsent, und steckt schon in Kleinigkeiten. Wir klären auf, welches Verhalten genau toxisch ist und was dahinter steckt
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No name, anonymous person hiding face in shadow, human identity. Silhouette portrait of young man in casual T-shirt standing calm with hands down, indoor studio shot, isolated on pink backgroundKhosrow Rajab Kordi / EyeEm

Toxische Männlichkeit - das steckt hinter diesem Begriff

Wenn es um toxische Männlichkeit im Speziellen oder auch einfach nur generell um Männlichkeit geht und deren Definition wird es schnell emotional – um nicht zu sagen hitzig. Denn viele Männer fühlen sich aufgrund der aktuellen Debatten um Gleichstellung, feministische Werte, Sexismus und dem Hinterfragen von Rollenklischees und Traditionen angegriffen. Das ist zum Teil nachvollziehbar: Das, was jahrzehntelang als typisch männlich definiert, gefeiert und gefördert wurde, wird nun zunehmend kritisch reflektiert. Und so spricht man inzwischen von toxischem Verhalten, wenn ein Mann sehr traditionell-männlich auftritt.

Was ist eigentlich toxisch?

Toxisch bedeutet giftig. Man könnte in dem Kontext auch “ungesund” oder “unfair” sagen, denn toxische Männlichkeit schadet und verletzt, macht das Gegenüber klein und unsicher, baut Barrieren auf und unterdrückt. Aber auch der Mann, der toxische Männlichkeit lebt, verhält sich gegenüber sich selbst ungesund. Viele denken bei toxisch-männlichem Verhalten sofort an Aggression, doch der Pädagoge und Autor Sebastian Tippe beschreibt in seinem Buch “Toxische Männlichkeit. Erkennen, reflektieren, verändern”, dass es schon mit vermeintlich harmlosen Aktionen beginnt, zum Beispiel damit, dass viele Männer in ihren Familien wie ganz selbstverständlich keinerlei Care-Arbeit übernehmen, also nicht waschen, Kinder betreuen oder einkaufen, was in der Folge bedeutet, dass die Partnerin das alles erledigen muss. Toxische Männlichkeit ist also nicht nur jenes Verhalten, das mit Gewalt und Aggression zu tun hat, sondern beginnt mit ungesunden und unfairen Rollenverteilungen.

Anzeichen toxischer Männlichkeit

Menschliches Verhalten hat viele Facetten und so ist auch toxische Männlichkeit sehr komplex. Dennoch gibt es einige eindeutige Verhaltensweisen von Männern, die man als toxische Männlichkeit bezeichnet. Man kann sie unterteilen in Aktionen und Verhaltensweisen, die den Mann selbst treffen und ihm schaden und solche, die andere betreffen. Einige davon sind sehr offensichtlich toxisch, andere subtiler:

Toxische Männlichkeit, die den Mann selbst trifft:
  • Keine Gefühle zeigen: Emotionen jeglicher Art werden versteckt oder unterdrückt. Vor allem Liebe und damit verbundene Gefühle wie Sehnsucht werden bei toxischer Männlichkeit z.B. als als “Gefühlsduselei” stigmatisiert
  • Keine Schwäche zeigen: Ängste, Scham, Zweifel dürfen bei toxischer Männlichkeit nicht angenommen oder gezeigt werden
  • Erfolgsdruck: “Ein Mann muss es zu etwas bringen” – so lautet der passende Gedankengang dazu, der viele Männer enorm unter Druck setzt und stresst
  • Konkurrenzdenken: schon Kinder vergleichen sich und das ist auch okay. Doch wenn auch im Erwachsenenalter das ständige Vergleichen nicht aufhört und ein Mann sich durch Missgunst und Dominanzwille ständig angestachelt fühlt, besser als andere zu sein, ist das toxisch
  • Erzwungene Selbstständigkeit: nicht um Hilfe fragen
Toxische Männlichkeit, die andere trifft:
  • Klassische Rollenbilder nicht hinterfragen: Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft und wurden mit allerlei Rollenklischees sozialisiert. Das einfach zu übernehmen und nicht zu reflektieren, gilt bereits als toxisch.
  • Körperliche Gewalt: das offensichtlichste Merkmal toxischer Männlichkeit, die sich oft gegen Frauen richtet, aber nicht nur; Wie normal es für Männer gilt, zuzuschlagen oder mit Gewalt zu drohen, merkt man schon an Stammtisch-Jargon wie “Fäuste sprechen lassen”.
  • Psychische Gewalt: kann damit beginnen, dass ein Mann sein Überlegenheitsgefühl auslebt und andere Menschen respektlos behandelt indem man er sie z.B. unterbricht, auslacht, ihnen Hilfe verweigert, ihre Bedürfnisse klein redet; in krasserer Form Mobbing, Stalking, bewusste und andauernde Kritik an der anderen Person mit dem Ziel, sie physisch zu verletzten.
  • Manipulation: Eine weitere Form von psychischer Gewalt. Kein typisch männliches Thema, aber dennoch bei Männern häufiger zu finden als bei Frauen. Im modernen Jargon spricht man von Gaslighting, was mit der wörtlichen Übersetzung nichts zu tun, sondern sich auf das Theaterstück Gas Light aus dem 20. Jahrhundert bezieht, das von psychischer Gewalt handelt. Toxische Männer manipulieren ihr Gegenüber derart, dass das gegenüber an seiner eigenen Wahrnehmung zweifelt und dadurch extrem manipulierbar werden. 
  • Ungebetene Bewertungen: Arrogante und besserwisserischen Erklärungen eines Mannes, der sich fast schon selbstverständlich anmaßt, mehr über ein Thema zu wissen als sein – meist weibliches – Gegenüber; wird mit dem Begriff “mansplaining” zusammengefasst
  • Ungebetene Ratschläge: auch hier die Anmaßung, Experte zu sein und Ratschläge geben zu können; dient in entsprechenden Fällen weniger der Hilfe, sondern mehr der eigenen Profilierung
  • Nreitbeiniges Sitzen: das als Manspreading bezeichnete extrem breitbeinige Sitzen, mit dem Männer in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf Sofas mehr Platz einnehmen als sein müsste und so anderen Personen Platz wegnehmen
  • Fokus auf eigene sexuelle Bedürfnisse: in den meisten Beziehungen steht beim Sex steht der Orgasmus des Mannes im Vordergrund
  • Fremde Ideen als eigene Ideen verkaufen: Der Begriff Hepeating bedeutet, dass Männer z.B. im Job die Idee einer Frau klaut und als seine eigene Idee verkauft und dafür Lob bekommt; besonders problematisch ist es, wenn die Idee der Frau schon bekannt ist und abgetan wurde und dann nur durch den erneuten männlichen Vorschlag Zustimmung findet.
  • Bewusstes Ignorieren der sprachlichen Möglichkeiten: Wer so spricht, als gäbe es nur Männer, macht Frauen und non-binäre Menschen durch das generische Maskulinum unsichtbar
  • Absprechen von Verantwortung: Wenn nur der Mann wichtige Entscheidungen fällen darf und die Verantwortung für finanzielle Angelegenheiten und für Behördenangelegenheiten für sich beansprucht sind das klare Entmündigungen und eindeutige Anzeichen für schweres toxische Männlichkeit
  • Aufbau von Abhängigkeitsverhältnissen: Ein Mann, der generell alle Verantwortung und Kontrolle bei sich sieht und so sein Umfeld in Abhängigkeit von ihm bringt, verhält sich schwer toxisch.
  • Ganz gezieltes Einpflanzen von Unwahrheiten in den Kopf – natürlich zu Gunsten des anderen. Das Gegenüber ist völlig irritiert, weißt nicht mehr, was richtig und was falsch ist und diese Unsicherheit nutzen toxische Männer aus. Sie inszenieren sich dann als Retter in der Not und halten die Fäden in der Hand.

Woher kommt toxische Männlichkeit?

Sie wird anerzogen. Oft subtil, oft aber auch bewusst, je nachdem wie Männlichkeit in einer Familie und derem Umfeld definiert wird. Selbst in Kinderbüchern werden toxisch-männliches Verhalten propagiert und Generation um Generation reproduziert: der Junge, der tapfer ist und nicht weint, wenn er hinfällt; der Papa, der arbeiten muss, damit sich Mama und die Kinder schöne Dinge kaufen können; der Held, der gewalttätig ist um andere zu beschützen und dafür gelobt wird usw. Es ist also kein Wunder, dass Männer mit hartnäckigen Rollenklischees zu kämpfen haben und viele Schwierigkeiten haben, manche ihrer gelernten Verhaltensweisen überhaupt als toxisch zu erkennen. “Da alle Männer in einer patriarchalen Gesellschaft sozialisiert werden, gibt es keine Männer, die keine toxischen Anteile besitzen”, sagt Buchautor Sebastian Tippe.

Was kann man gegen toxische Männlichkeit tun?

Reflektieren. Zu wissen, dass bei allen Personen (nicht nur Männern) Facetten von toxischer Männlichkeit verankert sind, hilft sich dem Thema gemeinsam zu nähern. Gerade für Männer, die aufgrund ihres Geschlechts so sozialisiert wurden, ist das Erkennen und der Abbau von toxischer Männlichkeit viel Arbeit. Es gibt viele interessante Studien und Bücher zu dem Thema, die aufklären.

Doch das Wichtigste zum Schluss: Wer in seinem Umfeld (egal ob privat oder beruflich) unter toxischer Männlichkeit leidet, muss das nicht akzeptieren. Auch wenn viele der Probleme in unserem patriarchalisches System ihren Ursprung finden, kann man von Männern so viel Selbstreflektion erwarten, das sie erkennen oder es zumindest eingestehen, wenn sie andere Menschen damit verletzten.

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