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“Emily in Paris” ist voller Klischees. Darum können wir trotzdem nicht weggucken

Netflix' Hit-Serie – die Rom-Com von “Sex and the City”-Schöpfer Darren Star mit Lily Collins – hat das Internet im Sturm erobert. Aber während die Show ihre Fans gefunden hat, die alle Folgen auf einmal angesehen haben, ist sie auch auf Kritiker:innen gestoßen, die meinen, dass sie voller veralteter Klischees steckt. Aber warum macht “Emily in Paris” so süchtig?
Lily Collins in Emily in Paris
Lily Collins mischt in “Emily in Paris” als Marketing-Wunderkind Emily Cooper eine französische Werbeagentur auf.Courtesy of Netflix

Inmitten der Pandemie hätte die Netflix-Serie “Emily in Paris” zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können. Die Serie von Darren Star, dem Schöpfer von “Sex and the City”, mit Lily Collins in der Hauptrolle, die während der vergangenen, hauptsächlich digital abgehaltenen Paris Fashion Week über unsere Bildschirme lief, ist der perfekte Muntermacher für alle, die die Front Row vermissen.

Lily Collins in “Emily in Paris”Courtesy of Netflix

Einige haben die Show mit großer Freude auseinandergenommen und verrissen, doch die Ein-Sterne-Rezensionen verfehlen das Wesentliche. Natürlich ist diese Serie etwas lachhaft. Die Handlung dreht sich um eine aufstrebende Pharma-Marketingfachfrau aus Chicago, die nach Paris geschickt wird, um Kreativdirektorin diverser Luxusmarken zu werden, nur weil sie weiß, wie TikTok funktioniert. Dabei läuft sie in einer aus Vintage-Chanel bestehenden Garderobe herum, die sie rund 17 Jahresgehälter kosten würde.

Es ist nicht realistisch. Es ist eine alberne, lustige Fantasie, die in einer Zeit, in der uns die Außenwelt überwältigt, eine dringend benötigte Dosis Eskapismus liefert. Und den Einschaltquoten nach zu urteilen – die Show ist auf Netflix weltweit auf Platz Eins – können die Leute gar nicht genug bekommen.

Hier sind 5 Gründe, warum die vieldiskutierte Netflix-Serie “Emily in Paris” so süchtig macht

1. Die Hauptfigur ist nicht immer sympathisch, aber das ist OK

Es ist unmöglich, über die Serie zu sprechen, ohne zu debattieren, ob man Emily tatsächlich mag oder nicht. Es ist ziemlich deutlich, dass sie im besten Fall nervig, im schlimmsten Fall gemein ist. Zum Beispiel: Ihre nicht existierenden Versuche, Französisch zu sprechen. Ihr amerikanisches “Selbstvertrauen”, das es ihr erlaubt, in unpassenden Momenten mit Meinungen über ihre Vorgesetzten herauszuplatzen. Am schlimmsten ist vielleicht, dass sie, nachdem sie nur eine einzige französische Freundin kennengelernt hat, ihr Leben dem Versuch widmet, ihr den Freund auszuspannen.

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Mehrere Male während der Serie wird Emily auf ihr Verhalten aufmerksam gemacht. Das beste Beispiel dafür ist, als ein legendärer französischer Modedesigner sie in der ersten Staffel angewidert anschaut und sie “ringarde” – eine “Basic Bitch” – nennt. Aber kann man in Vintage-Chanel “basic” sein? Entscheiden Sie selbst. Und auch, ob sie Emily wirklich mögen. Eine schwierige Frage.

Darren Star, der Kopf hinter der Show, ist vor allem als Schöpfer von “Sex and the City” mit seiner ikonischen Hauptfigur Carrie Bradshaw bekannt. Was die Frage provoziert: Ist Carrie dann vielleicht doch nicht der netteste Mensch der Welt?

2. Es gibt ein großes Liebes-Dilemma

Nachdem sie ihren langweiligen Freund zu Hause innerhalb weniger Tage abserviert hat, hat die neu in der Stadt angetroffene Emily bald alle Hände voll damit zu tun, eine Heerschar französischer Verehrer zu zähmen. Wie bei anderen Darren-Star-Shows besteht die Wahl zwischen “sexy und von Sorgen geplagt” oder “langweilig und erfolgreich (also reich)”. Jahrzehnte später streiten wir immer noch darüber, ob Carrie bei Aiden oder Big hätte bleiben sollen.

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Emily muss sich dabei zwischen dem heißen jungen Koch Gabriel, gespielt von Lucas Bravo, oder dem leicht schleimigen Modehaus-CEO Mathieu Cadault, verkörpert von Charles Martins, entscheiden. (Alles schreit: “Gabriel”!) Bravo, ein ehemaliges Chanel-Model, das früher sogar selbst mal Souschef war, ist der Inbegriff des “sexy Franzosen” – genau in diesem Moment wird sein Name auf der ganzen Welt gegoogelt.

3. Wenn man über die weniger nuancierten Darstellungen hinweg sieht, lassen sich wahre Schätze finden

“Emily in Paris” erweckt mehr französische Klischees zum Leben als ein Mann im bretonisch gestreifen Ringelshirt, der mit einem Baguette unter dem Arm und einem Beret auf dem Kopf Fahrrad fährt. Jeder raucht, das Steak ist zu blutig und überall sind kleine Hunde. In der ersten Folge lernt Emily ihre erste Freundin in Paris kennen, Mindy Chen, brillant verkörpert von Ashley Park. Sie treffen sich auf einer Parkbank, während Emily wortwörtlich ein Baguette und einen Käselaib isst.

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Aber “Emily in Paris” dafür zu kritisieren, ein ungetreue Abbildung von Paris zu sein, ist ungefähr so, wie “Ugly Betty” dafür zu beschuldigen, New York nicht realistisch darzustellen. Ebenso typisiert werden die USA. Wir sehen, wie Emilys amerikanischer Freund seinen ersten Pass bekommt, während sie sich die ganze Zeit über forsch und unkultiviert benimmt. Tatsächlich ist alles in der Serie ein bisschen abgedroschen, aber offensichtlich aus der Feder von jemandem, der die Stadt verehrt.

Außerdem gibt es hier und da wirklich lustige Momente. Vermutlich wird die zweite und dritte Staffel von “Emily in Paris”, ähnlich wie “SATC”, ein wenig ausgereifter und nuancierter, sobald die Serie erst einmal Fuß gefasst hat.

4. Mode und Mode-Referenzen

In Folge 10, “Cancel Couture”, organisiert Emily eine Fashion-Week-Show für den legendären (fiktiven) Designer Pierre Cadault, der auf Kriegsfuß steht mit den neuen coolen Mode-Kids des amerikanischen Designlabels Grey Space. Man muss nicht Poirot sein, um zu erraten, dass Grey Space eine Anspielung auf Virgil Ablohs Off-White ist, aber wer ist bloß Pierre Cadault?

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Die Figur (gespielt von Jean-Christophe Bouvet) steht stellvertretend für eine ganze Generation an ikonischen Pariser Mode-Göttern. Bouvet ist eine Referenz an Azzedine Alaïa, aber man entdeckt zweifellos auch ein bisschen Karl Lagerfeld in ihm wieder. Der Kampf zwischen Grey Space und Pierre Cadault spiegelt die realen Machtkämpfe in den historischen Pariser Modehäusern wider, die von einer neuen Welle an Streetwear beeinflussten Designern (wie Abloh bei Louis Vuitton und Matthew Williams bei Givenchy) erobert werden.

Die Folge endet in einer Hommage-à-trois, wobei die Kollektion von Pierre Cadault ganz offensichtlich ein Tribut an Viktor & Rolfs virale Frühjahr/Sommer 2019-Couture-Show sein soll. Tatsächlich lohnt es sich fast schon, die Show nur wegen der fantastischen Mode-Referenzen anzuschauen.

5. Triumph trotz aller Widrigkeiten

Es wird ein großer Hehl um Emilys Unfähigkeit gemacht, Französisch zu sprechen, um ihrem völligen Mangel an Erfahrung mit Luxusmarken und ihre vermeintlich amerikanische Unkultiviertheit und Frechheit. Das Pariser Team ist bei ihrer Ankunft absolut schrecklich zu ihr. Aber Emily wischt diese Herausforderungen mit ihrer unerschütterlichen Entschlossenheit einfach beiseite, getreu dem Motto: “Fake it till you make it”, wobei sie gelegentlich einige große Fehler begeht.

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Aber haben die Macher:innen der Show irgendetwas falsch gemacht? Die Französin Camille Charrière, Mode-Influencerin und gelegentliche VOGUE-Autorin, weist auf etwas hin, das nur eine echte Pariserin bemerken würde: In einer Folgt joggt Emily an einem Fitnessstudio vorbei, vor dem sich eine Gruppe an Kundinnen draußen versammelt hat. Der Gag ist, dass sie alle rauchen – doch das ist nicht der Fehler. Wie Charrière bemerkt, würde man eine Pariserin auf der Straße niemals in Gym-Wear antreffen. Niemals.

“Emily in Paris” Staffel 1 und 2 sind auf Netflix verfügbar.

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