Salone del Mobile 2023: Sie haben die Designwoche in Mailand verpasst? Kein Problem, hier finden Sie 13 Highlights mit Modebezug
Es war eine Woche, die sich anfühlte, als habe es in der Designwelt seit Jahrzehnten keine Anlässe mehr für Austausch, Zusammentreffen und – vor allem – Präsentation gegeben. Die Schlangen vor den Markenshowrooms und -räumlichkeiten waren lang, die Straßen im Designviertel Brera voll, die abendlichen Massen vor der legendären Bar Basso erreichten neue Höhepunkte. Und all das hat großen Spaß gemacht.
Tatsächlich war der Salone del Mobile 2023 der erste, der seit der Pandemie wieder regulär wie üblich im April stattfand, nachdem es letzes Jahr eine Art Light-Version im Juni gegeben hatte. Und das wurde genutzt: Der “Fuori Salone”, also alles, was an Markenpräsentationen zeitgleich zur Möbelmesse außerhalb des Messegeländes in der Stadt stattfindet, entführt Besucher:innen ohnehin immer wieder an die tollsten und oft wenig zugänglichen Palazzos, versteckten Gärten und Innenhöfe der italienischen Metropole, dieses Jahr wurde noch eine Schippe draufgelegt. Leuchtenhersteller Occhio mietete für die Woche gleich den ganzen Garten und Poolbereich der unvergleichlichen Villa Necchi, Louis Vuitton präsentierte seine von Marc Newson gestalteten Trunk-Neuheiten im wunderschönen Serbelloni Garden. Generell war die Dichte an Brands aus dem Mode- und Beautybereich, die die Designwoche für Präsentationen nutzen, so hoch wie nie. Ob für die Vorstellung eigener Produkte aus der Home- und Livingkategorie oder um Künstler:innen aus ganz anderen Disziplinen eine Plattform zu bieten. Wir haben uns umgeschaut und stellen hier (ohne Anspruch auf Vollständigkeit!) unsere Highlights des Fuori Salone mit modischer Verbindung vor.
10 Highlights der Mailänder Designwoche:
Das Dinner-Set-up im umgebauten Marni-Showroom am Dienstagabend hätte man auch für die Tafel einer halbwegs spießigen Upstate-Hochzeit halten können. Doch Marni wäre nicht Marni, wenn nicht die weißen Stuhlhussen aus Pappmaché und die Tischdecke mit eingelassenen Blumenvasen ebenfalls aus Papier gefertigt und mit kleinen Zeichnungen und bunten Farbtupfern versehen worden wären. Das Motto “Landhaus with a fun twist” trifft auch auf Marnis dort vorgestellte neue Porzellan-Kollektion mit dem belgischen Designlabel Serax zu - die farbigen Blumen und sonstigen Naturmotive wirken alle wie gerade erst auf das weiße Porzellan gezeichnet. Zusammen mit Londonart Wallpaper stellte das italienische Modehaus außerdem eine Serie von Tapeten vor, deren Designs an die typisch-bunten Muster vergangener Marni-Modeollektionen erinnern.
Üblicherweise werden im Rahmen der Mailänder Designwoche Produktneuheiten vorgestellt. Byredo-Gründer Ben Gorham rückte stattdessen seinen bereits 2009 erschienenen Duft „Bal D'Afrique“ in den Fokus und bat den 1993 geborenen Künstler Dozie Kanu, das Parfüm neu zu interpretieren. Kanu ließ sich für seine raumgreifende Installation von Nachtclubs in Dakar inspirieren. Ergänzend zeigte Adjoa Armah, Gründerin von Saman Archive, alte Familienfotos aus Ghana, die sie sammelt, um ein kollektives fotografisches Gedächtnis des westafrikanischen Landes zu erstellen.
Auch in diesem Jahr bespielte Louis Vuitton den Palazzo Serbelloni auf dem Corso Venezia und zeigte neue Entwürfe von Designgrößen wie den Campana Brothers, Raw Edges, Atelier Biagetti oder Marcel Wanders. Im Hof erinnerte eine begehbare Installation von Marc Fornes an eine überdimensionale, aus dem Boden wuchernde Koralle, die aus 1600 hauchdünnen Aluminiumtafeln zusammengebaut wurde.
Sabine Marcelis ist die Designerin der Stunde. In Mailand begeisterte sie insbesondere mit zwei großen Tischen: Für den Natursteinhersteller Solid Nature (deren immersive Installation “Beyond The Surface” im Spazio Cernaia für eine der längsten Schlangen in Brera sorgte) entwarf sie einen sieben Meter langen Esstisch mit changierender Glasplatte, der auf unterschiedlichen Natursteinblöcken fußte, darauf standen Servierplatten aus Travertin, die sie gemeinsam mit Laila Gohar entwickelte. Für La Prairie entwarf Marcelis außerdem einen langen Tisch mit Füßen im ikonischen Kobaltblau der Marke; für den Farbton ist die Künstlerin Niki de Saint Phalle verantwortlich.
Sie wollten schon immer mal eine VOGUE-Redaktion besuchen? Während der Designwoche haben unsere Kolleg:innen von VOGUE Italia das jetzt für alle möglich gemacht. Zusammen mit der Innenarchitektin Sara Ricciardi wurden dafür die (ohnehin schon sehr hübschen!) Räumlichkeiten allerdings etwas umgestaltet: Während sich in einer Art Requisite-Raum haufenweise aktuelle Ready-to-Wear-Pieces der tonangebenden Modedesigner:innen entdecken (und sogar nachshoppen) ließen, konnte man in einem anderen das persönliche Modearchiv der exzentrischen italienischen Modejournalistin, Lagerfeld-Muse und langjährigen VOGUE-Redakteurin Anna Piaggi bewundern, in einem anderen die Kreationen begutachten, die drei verschiedene Künstler:innen und Designer:innen aus älteren “Sleeping Stock”-Stoffen aus den Couture-Ateliers von Valentino gefertigt hatten.
Das nachhaltigste Produkt ist eines, das gar nicht erst hergestellt wird. Der niederländische Designer Maarten Baas schreckt nicht vor Radikalität zurück und hat in der Vergangenheit unter anderem für eine Möbelserie Designklassiker von Rietveld, Sotsass und Co. angezündet. Für das Denim-Label G-Star widmete er sich jetzt ganz offen dem Dilemma, dass wir, selbst mit nachhaltigen oder recycleten Materialien, zwar Ressourcen sparen, aber eben auch weiterhin den Konsum befeuern. “More or Less” ist fogerichtig der Name der Arbeiten, für die Baas aus recycleten alten G-Star-Denims ein neues Material entwickelte und daraus einerseits anwendungsbezogene Schrankmodule in Hosenform für (neue) Jeanshosen schuf, aber auch einen maßstabsgetreuen Privatjet – das ultimative Symbol für Status und Luxuskonsum.
Reduktion aufs Wesentliche: Charlotte Macaux Perelman, künstlerische Leiterin von Hermès Maison, inszenierte neue Möbel von Cecilie Manz und Jasper Morrison in einer Art Rohbau mit Betonboden und schmalen Stahlrohren. Um das Essen am Eröffnungsabend kümmerte sich Food-Künstlerin und Köchin Laila Gohar, die der heimliche Star der Designwoche war. Für Hermès zauberte sie Tomaten- und Mozarella-Türme und ein meterlanges Tiramisu.
“Apachetas” taufte der argentinische Designer Cristián Mohaded seine Installation für Loro Piana Interiors, die er im Headquarter des Modehauses errichtete – als Anlehnung an die kleinen Steintürme, die Wandernde in den Anden als Dank an die Pachamama, die Mutter Erde, errichten. Für Loro Piana Interiors entwarf er organische Sofas und Couchtische, die, passend zur Tradition des Hauses, in Alpaka- oder Vikunjawolle erhältlich sind. Letztere gilt übrigens als die teuerste (legale) Wolle der Welt und wird von Loro Piana in Catamarca bezogen, der Region, aus der auch Cristián Mohaded stammt…
Der 83-jährige Designer gestaltete für das italienische Modehaus bereits das Set dessen Frühjahr/Sommer-Show 2023 - wir erinnern uns an die äußerst begehrenswerten (und sehr Instagram-tauglichen) bunten Kunststoffstühle, auf denen das Publikum dort Platz nehmen durfte. Diese gute Kombi scheint sich rumgesprochen zu haben - jedenfalls zog es Haufen an Fans in den ausgebuchten Bottega-Store in der Via Montenapoleone, den Pesce komplett in eine Art Grotte aus Kunstharz und Stoff verwandelt hatte. Drinnen ließ sich eine Edition an kunstvollen Handtaschen entdecken ließ, die Bottega basierend auf Pesces Erinnerung an die Abendsonne hinter zwei Bergen in seiner Heimat gestaltet hat.
Im letzten Jahr stellte der französischer Designer den “Miss Dior” vor, eine filigrane Interpretation des Medallion Chairs, einem von Christian Dior persönlich geliebten Symbol des Louis-XVI-Stils. Während in einer zirkulierenden Rauminstallation haufenweise Miss Diors durch den Palazzo Citterio kreisten, wurde überdies Starcks Sesselversion “Monsieur Dior” neu vorgestellt, auf dem hoffentlich auch auch Misses Platz nehmen dürfen.
3 Highlights im Rahmenprogramm:
“Prada Frames” ist nicht etwas die neue (Sonnen-)Brillenlinie des italienischen Modehauses, sondern der Name einer von Prada veranstaltenen Reihe an Symposien. Nach einem Event in Hong-Kong im vergangenen März zog es Prada an drei Tagen während der Designwoche zurück nach Mailand ins äußerst ansehnliche Teatro Filodrammatici. Hier diskutierten unter dem Überthema ”Materials in Flux" verschiedene Expert:innen aus den Bereichen Architektur, Design und Forschung über die komplexe Beziehung von Materialien, Abfällen und Ökosystemen – unter andererm Architekturtheoretikerin Beatriz Colomina oder Kurator Hans Ulrich Obrist. Hörenswert!
Nur einige Gehminuten von der Mailänder Triennale entfernt hat der Leuchtenhersteller Bocci eine Stadtwohnung mit einer Küche von Henry Built, Vintagesofas von deSede und Classicon-Möbeln eingerichtet, die nicht nur wegen des kleinen Vorgartens im Trubel der Designwoche zum inspirativen Rückzugsort wurde. In jedem der Zimmer hängen die für Bocci so typischen raumgreifenden Lichtinstallationen von der Decke – erleben kann man das Lichtermeer im Bocci-Apartment voraussichtlich auch fernab der Designwoche.
Americana in Milan: Anlässlich der Designwoche verwandelte Ralph Lauren die Fassade seines Flagship Stores in der Via della Spiga in einen überlebensgroßen Patchwork-Quilt mit “Stoffmustern” im typischen Stil der Ralph-Lauren-Home-Linie: Blau-weiße Streifen, ausgeblichene Rottöne, Blumenmuster in Altrosa und Creme und dunklere Indigotöne. Vorbeilaufende blieben nicht nur in Scharen für ein Foto stehen, sondern konnten sich auch mit Eis und Limonade an den davorstehenden Ständen der Gelateria Umberto 1934 Milano erfrischen.
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