Gesetzliche Renten­versicherung

13 Irrtümer über die gesetzliche Rente

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Gesetzliche Renten­versicherung - Das sollten Sie über Ihre Rente wissen

Wird die Rente reichen? Um das zu beur­teilen, brauchen Versicherte zunächst einmal Fakten statt Falsch­informationen. © Roman Klonek

Ist die Rente sicher oder kurz vor dem Kollaps? Rund um die gesetzliche Rente gibt es viele Miss­verständ­nisse. Hier werden Sie schlauer!

Seit 1889 gibt es die gesetzliche Renten­versicherung. In dieser langen Zeit hat sie sich immer wieder politischen Veränderungen angepasst und wirt­schaftlichen oder gesell­schaftlichen Entwick­lungen Rechnung getragen. Beispiele aus jüngerer Zeit: die Einführung von Mütter- und Grund­rente. Mit jeder Anpassung entstehen neue Miss­verständ­nisse. Hier stellen wir besonders weit verbreitete Irrtümer richtig.

Häufige Behauptungen – und die Fakten dazu

Die Rentenbeiträge sind immer weiter angestiegen.

Nein. Der Beitragssatz zur Rentenversicherung liegt derzeit bei 18,6 Prozent vom renten­versicherungs­pflichtigen Einkommen, nur unwesentlich höher als etwa 1983 bis 1984 (18,5 Prozent). Nied­riger war er zuletzt 1993 mit 17,5 Prozent. Danach lag er stets auf dem jetzigen Stand oder darüber – 1997 etwa betrug er 20,3 Prozent.

Ostdeutsche Beschäftige erhalten weniger Rente für ihre Beiträge.

Im Gegen­teil. Arbeitnehme­rinnen und Arbeitnehmer im Osten bekommen für die gleiche Einzahlung mehr Rente als Beschäftigte im Westen.

Beispiel. Marcel Franck aus Weimar verdient im Jahr 2023 insgesamt 45 358 Euro und zahlte zusammen mit seinem Arbeit­geber rund 8 437 Euro an Rentenbeiträgen. Nach derzeitigen Werten schreibt ihm die Rentenkasse dafür Renten­ansprüche im Wert von 38,13 Euro im Monat gut.

Der Düssel­dorfer Daniel Dobert verdient genauso viel, und die gleiche Summe an Rentenbeiträgen fließt an die Rentenkasse. Er bekommt dafür aber nur Anwart­schaften im Wert von aktuell 37,60 Euro gutgeschrieben.

Die Rentenkasse wertet die Ostgehälter anhand eines bestimmten Umrechnungs­faktors auf. Daher fallen Francks Anwart­schaften höher aus als die von Dobert. 2024 liegt der Umrechnungs­faktor bei 1,014. Mit diesem Faktor multipliziert die Rentenkasse Francks Verdienst, wodurch der von 45 358 Euro auf 45 993 Euro steigt.

Seit dem 1. Juli 2023 gibt es nur noch einen gemein­samen Renten­wert. Der Umrechnungs­faktor fällt ab 2025 weg.

Ob ich eine Ost- oder West­rente erhalte, hängt vom Wohn­ort ab.

Nein. Ob Versicherte eine Ost-, West- oder Misch­rente erhalten, hängt von ihren jeweiligen Beschäftigungs­orten ab. Hat ein Angestellter zunächst 20 Jahre in Dort­mund gearbeitet, dann 20 Jahre in Schwerin, und verbringt er seinen Ruhe­stand wieder im Ruhr­gebiet, berechnet sich seine Rente aus den Teil­werten für West und Ost. Das gilt auch für spätere Renten­erhöhungen. Auch die werden anteilig nach den Beschäftigungs­zeiten im Osten oder Westen berechnet.

Die gesetzliche Rente wird immer weiter abge­senkt.

Nein. Die individuellen Renten sinken nicht. Das ist durch die staatliche Renten­garantie gesetzlich ausgeschlossen. Allerdings kann das Renten­niveau sinken. Es zeigt das Verhältnis zwischen der Höhe einer Rente und dem durch­schnitt­lichen Einkommen einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers.

Ich bekomme später eh keine gesetzliche Rente. Das System ist am Ende.

Das ist sehr unwahr­scheinlich. Unser Renten­system mit rund 77 Millionen Versicherten, Rentne­rinnen und Rentnern steht nicht vor dem Kollaps. Das Umlage­verfahren (siehe nächster Punkt) schützt sogar recht gut vor unvor­hersehbaren Entwick­lungen auf den Kapitalmärkten. Die Folgen der Finanz­krise perlten praktisch an ihr ab. Auch sieht es so aus, als würde ihm die Corona-Pandemie keine nach­haltigen Probleme bereiten.

Das heißt aber nicht, dass es keine Heraus­forderungen gibt. Sollten die wirt­schaftlichen Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine in Deutsch­land mittel­fristig zu hoher Arbeits­losig­keit führen, würden Beiträge wegbrechen.

Auch die Alterung der Bevölkerung ist für das Umlage­verfahren ungünstig. Das gesetzliche Renten­system ist darauf angewiesen, dass es viele und hohe Beiträge Zahlende gibt, die die Renten der älteren Generation finanzieren.

Es gibt aber Stell­schrauben, um das System stabil zu halten. Je nach politischer Färbung wird die eine oder andere Möglich­keit favorisiert. Zum Beispiel:

- staatliche Zuschüsse erhöhen,

- Versicherten­kreis um Beamte und Selbst­ständige erweitern,

- Produktivität und Löhne steigern,

- Einwanderung in den Arbeits­markt fördern,

- Renten­eintritts­alter, Beitrags­satz oder Beitrags­bemessungs­grenze erhöhen,

- eine stärkere Umver­teilung zugunsten bestimmter Gruppen, zum Beispiel Nied­rigverdienen­den oder Eltern.

Die Rentenkasse legt meine Beiträge an. Daraus zahlt sie später meine Rente.

Nein. Bis auf eine kleine Reserve, die unerwartete Schwankungen ausgleichen soll, nutzt die gesetzliche Renten­versicherung die Beiträge der Versicherten, um sie direkt an Rentne­rinnen und Rentner auszuzahlen.

Den Versicherten schreibt sie für ihre Beiträge Entgelt­punkte auf ihrem Renten­konto gut. Daraus errechnen sich dann später die Renten der heutigen Beitrags­zahlerinnen und -zahler. Deren Renten werden wiederum vor allem aus den Beiträgen der nach­folgenden Generationen gezahlt werden. Man spricht deshalb vom Umlage­verfahren und einem Generationen­vertrag.

Laut Koalitions­vertrag soll die gesetzliche Renten­versicherung künftig aber auch ein wenig in die sogenannte Kapital­deckung einsteigen, bei der investiertes Geld Erträge generieren soll. 10 Milliarden Euro aus dem Bundes­haushalt sollen als Fonds verwaltet und global angelegt werden. Gemessen an den Einnahmen und Ausgaben – 363 Milliarden beziehungs­weise 360 Milliarden Euro im Jahr 2022 – ist das freilich nicht viel.

Die Grund­rente für Nied­rigverdienende muss ich beantragen.

Nein. Die Grundrente muss nicht extra beantragt werden. Sie ist keine eigen­ständige Rente, sondern ein Zuschlag, auf den seit dem 1. Januar 2021 viele Menschen einen Anspruch haben, die lange gearbeitet, aber wenig verdient haben. Die Deutsche Renten­versicherung ermittelt, ob ein Anspruch besteht und zahlt das Geld entsprechend aus. Beantragen müssen Versicherte aber die Alters­rente, die Altersrente für Schwerbehinderte und die Erwerbsminderungsrente.

Für die Grund­rente muss ich 35 Jahre sozial­versicherungs­pflichtig arbeiten.

Nein. Um die volle Grund­rente zu bekommen, müssen Versicherte mindestens 35 Jahre sogenannte Grund­renten­zeiten vorweisen können. Dazu zählen neben den Pflicht­beiträgen aus Berufs­tätig- oder Selbst­ständig­keit auch

- Kindererziehungszeiten,

- Zeiten der ehrenamtlichen Pflege,

- Zeiten der Leistungen bei Krankheit oder Rehabilitation,

- Berück­sichtigungs­zeiten wegen Kinder­erziehung und Pflege,

- Ersatz­zeiten (das sind zum Beispiel Zeiten der politischen Haft in der DDR).

Für alle, die mindestens 33, aber nicht 35 Jahre mit Grund­renten­zeiten vorweisen können, gibt es eine geringere Aufstockung. Sie steigt mit jedem Monat, bis mit 35 Jahren die volle Grund­rente erreicht ist. Mehr zum Thema finden Sie in unserem Special Grundrente.

Als Top-Verdiener müsste ich eigentlich eine viel höhere Rente kriegen.

Nein. Arbeitnehme­rinnen und Arbeitnehmer mit sehr hohem Gehalt zahlen nicht auf ihren kompletten Brutto­verdienst Rentenbeiträge, sondern nur bis zur sogenannten Beitrags­bemessungs­grenze. Die liegt derzeit bei 90 600 Euro im Jahr. Für den Verdienst ober­halb dieser Grenze zahlen sie keine Beiträge und bekommen daraus später auch keine gesetzliche Rente.

Beispiel. Karsten Wilski verdient als Manager eines großen Stutt­garter Unter­nehmens 200 000 Euro im Jahr 2024. Zusammen mit seinem Arbeit­geber über­weist er für das gesamte Jahr 16 852 Euro an Rentenbeiträgen. Seine gesetzlichen Renten­ansprüche steigen dadurch nach derzeitigen Werten um rund 75 Euro im Monat.

Volker Mayr arbeitet im selben Unternehmen als Designer und verdient 90 600 Euro. Auch er über­weist zusammen mit dem Arbeit­geber 16 293 Euro an Rentenbeiträgen. Seine Renten­sprüche steigen nach derzeitigen Werten ebenfalls um rund 75 Euro im Monat.

Nach 45 Jahren Arbeit müsste meine Rente höher ausfallen.

Nicht unbe­dingt. Im deutschen Renten­system kommt es nicht nur darauf an, wie lange Versicherte gearbeitet haben, sondern auch darauf, wie viel sie verdient haben. Das gilt immer noch, auch wenn der Grund­renten­zuschlag (siehe oben) bei vielen Nied­rigverdienenden die Rente anhebt.

Beispiel. Karla Schmidt ist Sach­bearbeiterin in Augs­burg und hat immer durch­schnitt­lich verdient. 2023 entspricht das 45 358 Euro im Jahr. Nach 45 Jahren sozial­versicherungs­pflichtiger Beschäftigung bekommt sie nach derzeitigen Werten rund 1 692 Euro im Monat von der Renten­versicherung.

Die Kieler Wirt­schafts­informatikerin Irina Scheel zahlt nur 30 Jahre lang in die Renten­versicherung ein. Ihr Jahres­gehalt ist stets doppelt so hoch wie das eines Durch­schnitts­verdieners, 2023 sind das 90 716 Euro. Ihre gesetzliche Rente beträgt nach derzeitigen Werten rund 2 256 Euro im Monat.

Obwohl Scheel auf 15 Beitrags­jahre weniger kommt als Schmidt, ist ihre monatliche Rente 564 Euro höher.

Zahle ich weniger als fünf Jahre ein, sind meine Beiträge futsch.

Nein. Menschen, die ihr reguläres Renten­alter erreicht haben, aber insgesamt nur auf eine Beitrags­zeit von unter fünf Jahren kommen, können sich ihre einge­zahlten Beiträge erstatten lassen.

Oft wird es aber güns­tiger sein, die fehlenden Zeiten vorher durch freiwil­lige Beiträge auszugleichen und sich so eine gesetzliche Rente zu sichern. Ob das im konkreten Einzel­fall zutrifft, kann ein Beratungs­gespräch bei der gesetzlichen Renten­versicherung klären.

Die abschlags­freie Frührente beginnt mit 63 Jahren.

Nein. Die Rente für besonders langjährig Versicherte – so der offizielle Name – soll Lang­zeit­versicherten mit mindestens 45 Versicherungs­jahren einen frühen Renten­start ohne Abschläge ermöglichen. Oft wird sie „Rente mit 63“ genannt, weil bei ihrer Einführung vor 1953 geborene Versicherte die Rente mit 63 Jahren erhalten konnten.

Die Alters­grenze der Rente für besonders lang­jährig Versicherte steigt ab Jahr­gang 1953 stufen­weise auf 65 Jahre an. Wer 1959 geboren wurde, kann sie 2023 erst mit 64 Jahren und 2 Monaten beziehen.

Versicherte, die auf jeden Fall mit 63 in Rente gehen möchten, müssen die Rente für langjährig Versicherte beantragen (ohne das Wört­chen „besonders“). Nachteil: Hier können kräftige Renten­abschläge anfallen. Vorteil: Es reichen bereits 35 Versicherungs­jahre für einen Anspruch.

Abschläge fallen weg, sobald ich das reguläre Renten­alter erreiche.

Nein. Renten­abschläge bei einem vorzeitigen Renten­beginn fallen dauer­haft an. Jeder Monat, den Versicherte vor ihrem regulären Renten­eintritts­alter in Alters­rente gehen, kostet sie 0,3 Prozent ihrer Rente. Zumindest immer dann, wenn sie nicht auf insgesamt mindestens 45 Versicherungs­jahre kommen (siehe vorherige Frage). Wer beispiels­weise drei Jahre früher geht, muss mit Abschlägen von 10,8 Prozent rechnen – für den Rest seines Lebens.

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Kommentarliste

Nutzer­kommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 19.01.2024 um 11:32 Uhr
    Brutto- oder Nettorente

    @henninglange: Vielen Dank für Ihre Anregung. Die Grafik haben wir aus unterschiedlichen Daten der Rentenversicherung zusammengesetzt. Daher sind teilweise unterschiedliche Rentengrößen genannt. Wir nehmen aber Ihre Anregung auf, diese in Zukunft besser zu beschreiben!

  • henninglange am 18.01.2024 um 19:35 Uhr
    Brutto- oder Nettorente

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    für 2024 wünsche ich den Mitarbeitern der Stiftung Warentest und Ihren Angehörigen noch alles Gute, Gesundheit und viel Glück.
    Im Heft 2/2024 von Finanztest haben Sie unter "Finanzen verstehen" eine, aus meiner Sicht, sehr verständliche Übersicht (Grafik) zur gesetzlichen Rentenversicherung abgedruckt. Eine Sache ist mir jedoch aufgefallen. Bei der Darstellung "DIE TOP-RENTNER" wird der Begriff Nettorente verwendet und für die Darstellung der "DURCHSCHNITTLICHE BRUTTOALTERSRENTE" wir der Begriff Brutto verwende. Warum eigentlich? Hier hätte ich mir eine Fußnote mit kurzer Erklärung (begrifflich/inhaltlich) gewünscht. Vielleicht auch eine Bitte für die Zukunft.

  • JJT2604 am 25.08.2022 um 10:09 Uhr
    Beratung einholen auch vor Ort möglich

    Eine Beratung zu Rentenfragen, z. B. ob sich eine Zahlung der Abfindung in die gesetzliche Rentenversicherung lohnt, ist auch vor Ort bei den kommunalen Versicherungsämtern kostenfrei und neutral möglich.
    Nicht nur die Rentenversicherung berät dazu.

  • silbrecht am 25.08.2022 um 08:10 Uhr
    Abfindung, Arbeitslosengeld, Rentenabschläge usw.

    Zumindest für diejenigen, die ganz gut verdienen, gibt es bezüglich Abfindung, Steuern, Sozialversicherung, Umgang mit der Agentur für Arbeit usw. viele gute Hinweise und Tipps auf der Internetseite des Privatiers. Hier haben wir von einigen Tipps - zumindest in Bezug auf finanzielle Themen - mehr profitiert als von einer anwaltlichen und gewerkschaftlichen Beratung, die wir beide ebenfalls in Anspruch genommen haben.
    Falls Links erlaubt sind:
    https://der-privatier.com/

  • stephanaust am 31.08.2020 um 13:19 Uhr
    Renten werden auch jetzt schon zu 100% besteuert!

    Ich weiß allerdings nicht wie sich das mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz verträgt.
    Man braucht nur ins Ausland umziehen und keinen Wohnsitz mehr in Deutschland haben und schon wird die Rente zu 100% besteuert!!!
    Obwohl man die gleichen Beiträge eingezahlt hat!
    Das scheint eine Art der Vergeltung zu sein :-(