Vorstands­wechsel bei der Stiftung Warentest „Unabhängig­keit ist unsere Stärke“

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Vorstands­wechsel bei der Stiftung Warentest - „Unabhängig­keit ist unsere Stärke“

Chef­wechsel. Hubertus Primus führte die Stiftung Warentest in die finanzielle Unabhängig­keit. Er arbeitete 33 Jahre für sie, unter anderem als Chef­redak­teur von test und Finanztest. Julia Bönisch brachte seit 2020 die digitale Trans­formation kräftig zum Laufen. Als Vorständin hat sie noch viel mehr vor. © Pablo Castagnola

Vorstand Hubertus Primus geht zum Jahres­ende in Rente, Julia Bönisch über­nimmt als neue Vorständin der Stiftung Warentest. Im Interview erzählen sie, was war und was nun kommt.

Herr Primus, worauf blicken Sie mit ausdrück­lichem Stolz zurück, wenn Sie die Stiftung verlassen?

Wir erhalten jetzt keinerlei staatliche Zuwendungen mehr, der Stiftung kann also wirk­lich niemand rein­reden – Unternehmen ohnehin nicht, der Staat aber auch nicht. Stolz bin ich, dass wir Wissenschaftler und Journalisten in Teams vereint haben, die hervorragend zusammen­arbeiten.

Erwähnen will ich das Logolizenzsystem – auf unsere Logos mit Qualitäts­urteil können sich Verbraucher komplett verlassen. Anbieter zahlen, wenn sie mit uns werben, wir kontrollieren diese Werbung genau.

Die Stiftung bekommt oft Gegen­wind von Anbietern. Woran erinnern Sie sich hier besonders?

An den Streit mit der Deutschen Bahn im Jahr 2002, als sie ein neues Tarif­system einführte und wir schwere Nachteile aufzeigten. Das kostete Bahn­vorstände den Job, der Konzern hat die Reform aufgrund unserer Kritik teil­weise zurück­gedreht. Natürlich erinnere ich mich auch an Ritter Sport – einen Prozess, den wir verloren, obwohl wir in der Sache auf dem richtigen Weg waren, aber das unglück­lich ausgedrückt haben. Wir hatten geschluss­folgert, dass es sich beim verwendeten Aroma­stoff Piperonal um künst­liches Aroma handeln musste. Allein schon wegen der hohen Kosten für natürliches Piperonal. Wir haben aber geschrieben, wir hätten es nachgewiesen. Das war sehr lehr­reich für uns.

Und an die Untersuchung der deutschen WM-Stadien, in denen wir viele Sicher­heits­mängel fanden. Damit haben wir alle Deutschen gegen uns aufgebracht, weil es um die Heilige Kuh Fußball ging. Aber im Olympia­stadion zum Beispiel wurden nach­träglich unauffäl­lig unsere fest­gestellten Mängel beseitigt. Und Uschi Glas: Ihre Hautnah Face Creme war die schlechteste Creme, die wir bis heute getestet haben. Sie enthielt unglaublich viele Konservierungs­stoffe. Wenn die Welt mal untergeht, wird immer noch eine konservierte Dose der Haut­nah Face Creme übrig bleiben.

Welche Veränderung hätte die Stiftung früher angehen sollen?

Die Digitalisierung. Wir hätten schon früher daran arbeiten müssen, uns stärker weiterzuentwickeln, tech­nisch deutlich aufzurüsten und auch organisatorische Änderungen einzuleiten.

Frau Bönisch, wo steht die Stiftung bei der Trans­formation?

Wir haben viel geschafft, sind aber noch lange nicht fertig. Die tech­nischen Fort­schritte wirken sich natürlich auch auf unsere Arbeit aus – etwa die künst­liche Intelligenz. Sie kann uns zum Beispiel bei der Auswertung großer Daten­mengen helfen. Gleich­zeitig verändern sich die Konsum- und Lesege­wohn­heiten der Verbraucher: Immer mehr passiert online – darauf müssen wir uns einstellen und unsere Inhalte dort aufbereiten und anbieten. Unsere Lese­rinnen und Leser sitzen nicht mehr nur mit den Magazinen gemütlich auf dem Sofa. Viele stehen mit dem Handy im Kauf­haus oder Supermarkt und wollen dann wissen, welches Produkt wir empfehlen. Dafür ist es essenziell, dass unsere Tabellen auch auf kleinen Handy­bild­schirmen gut aussehen und die Inhalte leicht zu erfassen sind. Daran müssen wir noch arbeiten.

Werden Test­bereiche komplett ins Digitale wandern?

Nein, das würde unseren Printlese­rinnen und -lesern gar nicht gerecht. Niemand muss sich sorgen, dass er was verpasst. Online können wir unsere Test­ergeb­nisse häufiger aktualisieren, auf test.de bestü­cken wir die sogenannten Produktfinder regel­mäßig und in kürzeren Abständen. Diese Veröffent­lichungen werden für Print gebündelt und zusammengefasst, erscheinen dort nur nicht so oft.

Frau Bönisch, was macht die Stiftung für Sie besonders?

Mich beein­druckt jeden Tag der Aufwand, den die Kolleginnen und Kollegen betreiben. Das beginnt beim Einkauf der Produkte. Wir kaufen anonym im Handel, bezahlen häufig bar, damit niemand rauskriegt, dass die Stiftung Warentest am Werk ist und uns keine gezinkten Produkte unterschieben kann. Wir haben enorm aufwendige Test­verfahren. Eines meiner Lieblings­beispiele ist der Wasch­mittel­test. Wir verteilen Hunderte T-Shirts an Haushalte, um „echten“ Dreck und Schweiß zum Waschen zu haben. Alle unsere Veröffent­lichungen werden rauf und runter geprüft, damit alles korrekt ist. Und alle sind mit größtem Engagement dabei, das ist einzig­artig.

Herr Primus, Kritiker der Stiftung greifen immer wieder einmal ihre Markt­macht an. Wer kontrolliert denn die Stiftung Warentest?

Wenn Anbieter uns kritisieren, ist das gut, sonst hätten wir was falsch gemacht. Schließ­lich arbeiten wir für die Verbrauche­rinnen und Verbraucher, nicht für die Wirt­schaft. Wir sorgen dafür, dass manche Produkte immer besser werden. Denn wer bei uns zu guten Urteilen kommt, kann sich auf dem Markt besser durch­setzen, schlechte Produkte werden eher ausgesondert. Die besten Wasch­maschinen kommen beispiels­weise aus Deutsch­land. Das liegt auch an der Stiftung Warentest.

Kontrolliert werden wir von einem Verwaltungs­rat, den die Stifterin beruft, das ist das Verbraucher­schutz­ministerium als Vertreter der Bundes­regierung. Wir veröffent­lichen an Bilanzen viel mehr, als wir müssten, das ist jeder­zeit trans­parent und nach­voll­zieh­bar.

Frau Bönisch, was soll man einmal über Ihre Amts­zeit als Chefin der Stiftung Warentest lesen können?

Es wäre toll, wenn wir alle Menschen in Deutsch­land mit unseren Test­ergeb­nissen erreichen würden, so dass sich Unternehmen noch mehr anstrengen müssen, um gute Produkte und Dienst­leistungen anzu­bieten. Und an diesem Ziel sollen alle unsere Teams mit Leidenschaft und Spaß gearbeitet haben.

Herr Primus, werden Sie nun Ihre Stadt­fahrten auf dem Fahr­rad zu großen Europa­touren erweitern?

Ich werde sicherlich ehren­amtlich weiter im Verbraucher­schutz­bereich arbeiten, auch privat gibt es einiges zu tun. Ich habe vier Kinder und man sagt ja, Kinder­betreuung hört eigentlich erst auf, wenn die Kinder 40 sind. Und wer weiß, vielleicht kommen bald Enkel?

Ich gehe mit einem weinenden Auge, aber ich gehe auch in der sicheren Über­zeugung, dass sich die Stiftung weiter gut entwickeln wird. Ich bin jeden einzelnen Tag gern hierherge­kommen, habe mich immer aufs Arbeiten gefreut. Deshalb geht auch ein großer Dank an unsere Mitarbeite­rinnen und Mitarbeiter!

Zur Person

Julia Bönisch

Die 43-jährige Diplom-Journalistin ist seit 2020 bei der Stiftung Warentest, zunächst als Bereichs­leiterin Digitale Trans­formation und Publikationen in der Geschäfts­leitung. Von Januar 2024 an über­nimmt sie die Führung der Stiftung. Zuvor arbeitete Bönisch zwölf Jahre bei der „Süddeutschen Zeitung“, wo sie von 2017 bis 2019 Chef­redak­teurin von sz.de und Mitglied der Chef­redak­tion der Süddeutschen Zeitung war.

Hubertus Primus

Der 68-jährige Jurist führte die Stiftung Warentest seit Anfang 2012. Im Haus ist er jedoch bereits seit 1990: Von 1999 bis 2011 war er Chef­redak­teur der Zeit­schrift test, davor sechs Jahre lang Chef­redak­teur von Finanztest, wo er zunächst als Redak­teur begonnen hatte.

Vorstands­wechsel bei der Stiftung Warentest - „Unabhängig­keit ist unsere Stärke“

Vor dem Interview. Julia Bönisch (links), Interviewerin Susanne Meunier (Mitte) und Hubertus Primus beim Fotoshoo­ting. © Pablo Castagnola

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