Vergiftungen Wo Sie im Ernst­fall Hilfe finden

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Vergiftungen - Wo Sie im Ernst­fall Hilfe finden

Reinigungs­mittel gehören nicht in Kinder­hände.

Shampoo getrunken, falsche Medikamente geschluckt: Meist sind es Kinder oder Senioren, die sich versehentlich vergiften. Viele Unfälle wären leicht zu vermeiden. Im Ernst­fall aber müssen Profis helfen. Die test.de-Tabelle zeigt auf einen Blick, wo Sie schnell Hilfe finden.

Magen auspumpen lassen ist kein Spaß

Richtig glauben können es die Mitglieder eines Gesund­heits­forums im Internet nicht: „Ich hab so gegen zwölf ein biss­chen Spül­mittel und Putz­mittel mit Wasser getrunken. Was wird passieren?“ Nutzerin Gerda, im Forum als Ratgeberin geschätzt, antwortet prompt: „Ich denk, die Frage soll ein Witz sein. Dann bin ich jetzt auch mal witzig: Du musst in die Klinik und Dir den Magen auspumpen lassen.“ Dass jemand aus Spaß ein Gläschen Haus­halts­reiniger trinkt, ist eine Ausnahme. Dass Betroffene Hilfe in Foren suchen, die Regel. Verläss­liche Auskünfte gibt es dort aber nur selten. Besser: Erst­maßnahmen umsetzen (siehe Liste unten) und den Gift­notruf anrufen. Hier beraten Ärzte und Kranken­pfleger, oft sind auch Pharmakologen mit an Bord.

Gift­notrufzentralen rund um die Uhr besetzt

Bundes­weit gibt es neun Gift­notrufzentralen. Alle sind rund um die Uhr besetzt, ihre Auskünfte für Laien kostenlos – und extrem gefragt. 230  000 Anrufe gab es allein im Jahr 2012: In fast 40 Prozent der Fälle hatten die Betroffenen falsche oder zu viele Medikamente geschluckt, in 26 Prozent chemische Mittel wie Farben, Lacke oder ätzende Reiniger. Relativ häufig sind zudem Unfälle durch Kosmetika, etwa Nagellack­entferner oder Shampoo. Auch Garten­pflanzen, zum Beispiel Maiglöck­chen oder Heckenkirschen, bereiten nach einer Erhebung des Bundes­instituts für Risiko­be­wertung (BfR) immer wieder Probleme. Schwere Vergiftungen oder Todes­fälle sind selten. Doch auch Unfälle, die keine bleibenden Schäden hervorrufen, sind unangenehm und oft vermeid­bar.

Schnelle Hilfe: Gift­notrufzentralen in Deutsch­land

Egal, wo Sie wohnen: Sie können jede Gift­notrufzentrale anwählen. Neun Einrichtungen, von den Bundes­ländern finanziert, teilen sich das Bundes­gebiet auf. Sieben davon haben dieselbe Nummer: 1 92 40 (plus gegebenenfalls jeweilige Vorwahl). Die Auskunft ist für Laien gratis.

Stadt

Notruf-Nummer

Internet­adresse

Berlin

0 30/1 92 40

giftnotruf.charite.de

Bonn

02 28/1 92 40

www.gizbonn.de

Erfurt

03 61/73 07 30

www.ggiz-erfurt.de

Freiburg

07 61/1 92 40

www.uniklinik-freiburg.de/giftberatung

Göttingen

05 51/1 92 40

www.giz-nord.de

Homburg an der Saar

0 68 41/1 92 40

www.uniklinikum-saarland.de/giftzentrale

Mainz

0 61 31/1 92 40

www.giftinfo.uni-mainz.de (seit 2012 in Über­arbeitung)

München

0 89/1 92 40

www.toxinfo.org

Nürn­berg1

09 11/3 98 24 51

Keine eigene Internet­präsenz

Legende

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Anrufe zwischen 16 Uhr und 8 Uhr morgens werden auto­matisch zum Münchner Gift­notruf weitergeleitet.

Spül­mittel und Shampoo

Mehr als die Hälfte aller Gift­unfälle betrifft Ein- bis Vierjäh­rige. Daniela Acquarone von der Gift­notrufzentrale der Berliner Charité: „Klein­kinder trinken Spül­mittel oder andere schäumende Produkte.“ Gebildet wird der Schaum von Tensiden in den Putz­mitteln. Gerät er in die Lunge, wird es gefähr­lich. Acquarone rät, Entschäumer­tropfen aus der Apotheke zuhause zu haben. Das sind Produkte, die gegen Blähungen wirken. Auch etwas Butter könne helfen. Lebens­bedrohlich sei der Schluck aus der Spül­mittel­flasche für die Kleinen aber selten, beruhigt die Medizinerin. „Meist probieren sie minimale Mengen und merken sofort, dass es nicht schmeckt.“

Tipp: Leben in Ihrem Haushalt Kinder, sollten Sie Medikamente und Reiniger, aber auch Duftöl- und Lampenöl-Flaschen hinter verschlossenen Türen lagern.

Demenz­kranke besonders gefährdet

Nicht nur die Jüngsten, auch ältere Menschen bedürfen besonderen Schutzes. Ihre Sinneswahr­nehmungen sind oft nicht mehr besonders gut, die Reaktionen auf den schlechten Geschmack kommen zu lang­sam. Greifen sie durstig zur falschen Flasche, haben sie schnell mehr als hundert Milliliter im Magen – Mengen, die lebens­gefähr­lich werden können. Verschärft wird das Risiko bei Demenz­kranken, die Getränke und Putz­mittel schon einmal verwechseln. Hinzu kommt, dass Senioren nicht im gleichen Maß beaufsichtigt werden wie Kinder. Axel Hahn, Leiter der Fach­gruppe Vergiftungs­dokumentation beim BfR, geht davon aus, dass viele Vergiftungen bei älteren Menschen noch nicht einmal erkannt werden. „Denken Sie etwa an Lungen­entzündungen. Sie könnten durch­aus davon ausgelöst werden, dass die älteren Herr­schaften unbe­merkt größere Mengen Tenside geschluckt haben.“

Tipp: Füllen Sie gefähr­liche Substanzen nie in Wasser- oder Trink­flaschen. Bedenken Sie bei der Gartenplanung, dass Pflanzen wie Eisenhut und Herbst­zeitlose, Rizinus, Oleander oder Gold­regen giftig sind.

Praktische Neuheiten mit Risiko

Zusätzliche Risiken stecken auch in neu entwickelten Produkten: Das BfR beschäftigt sich derzeit unter anderem mit Flüssig­wasch­mitteln in wasser­löslicher Folie, den Liquid Caps. Seit sie auf dem Markt sind, häufen sich die Vergiftungs­fälle. „Die Bonbon-Form und bunte Farbe machen sie für Kinder interes­sant“, erklärt Hahn. Wichtig: sie für die Kleinen unerreich­bar zu lagern. Darauf machen auch die Hersteller aufmerk­sam. Kinder­sichere Verpackungen, wieder­verschließ­bare Innentüten und Bitter­stoffe in der Folie, die vom Schlu­cken abhalten, könnten Extra-Schutz bieten. Das BfR weist auch auf die Gefahren durch neue Lithium-Knopf­zellen hin, die etwa in Fotokameras verwendet werden. Mit einem Durch­messer von 22 Milli­metern sind sie etwas größer als die bislang verwendeten Knopf­zellen. Werden sie verschluckt, können sie leicht in der Speise­röhre steckenbleiben. Mit Folgen: „Durch den hohen Entladestrom in den Lithium­zellen entstehen verbrennungs­artige Symptome“, warnt Experte Hahn.

Tipp: Gehen Sie in die Hocke und betrachten Sie Ihre Wohnung mit den Augen eines Kindes: Knopf­zellen kullern so schnell, Ziga­retten bröseln herr­lich und der Nagellack­entferner in der rosa Flasche sieht aus wie für kleine Prinzes­sinnen gemacht. Bringen Sie Kinder­sicherungen an!

Milch und Jogurt keine Gegen­mittel

Mediziner warnen davor, bei einer möglichen Vergiftung auf Haus­mittel zu setzen: „Milch oder Milch­produkte wie Jogurt sind in den seltensten Fällen hilf­reich“, macht Daniela Acquarone klar. Oft führten sie zum Erbrechen. Bei schäumenden Produkten steige die Gefahr, dass Schaum in die Lunge gerate, ätzende Substanzen wie Rohr­reiniger würden ein zweites Mal durch die Speise­röhre gespült. Streng verboten ist auch die Gabe von Salz­wasser. Bleibt Erbrechen als Folge aus, können gerade bei Klein­kindern kleinste Mengen zu schweren Kochsalz­vergiftungen führen.

Tipp: Smartphone-Nutzer können die App des BfR „Vergiftungs­unfälle bei Kindern“ herunter­laden. Sie informiert zu Inhalts­stoffen und Gefahren von Chemikalien, Medikamenten, Pflanzen und Pilzen. Außerdem nennt sie Erste-Hilfe-Maßnahmen. Zudem können Nutzer den Gift­notruf ihrer Region direkt über die App anwählen.

Notfall – was tun?

  • Gift­notruf-Nummer wählen, Namen und Menge der auslösenden Substanz nennen.
  • Wasser, Tee oder Saft geben, kein Salz­wasser, keine Milch.
  • Für frische Luft sorgen, kein Erbrechen auslösen.
  • Betroffene Haut abspülen, Augen mindestens 10 Minuten unter fließendem Wasser.
  • Bewusst­los? Ein Fall für den Notarzt: 112 wählen.
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