Renten­besteuerung Verfassungs­richter prüfen Doppel­besteuerung

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Renten­besteuerung - Verfassungs­richter prüfen Doppel­besteuerung

Gericht­liche Prüfung. Werden Tausende Rentne­rinnen und Rentnern vom Finanz­amt zweimal zur Kasse gebeten? © picture alliance/dpa

Wann zahlen Rentner doppelt Steuern? Damit beschäftigen sich die höchsten deutschen Gerichte. Steuer­bescheide für Rentner bleiben in dem Punkt nun von Amts wegen offen.

Worum ging es in den beiden BFH-Fällen?

Den Stein ins Rollen gebracht, haben zwei Senioren. Sie haben gegen ihre Steuer­bescheide geklagt, weil ihre Rente doppelt besteuert werden würde. Doch der BFH winkte in beiden Fällen ab. Nach den neuen BFH-Rechen­parametern kommt es bei den Klägern zu keiner Doppel­besteuerung. Der ehemalige Steuerberater, der seit 2007 eine Alters­rente bezieht, erhält immerhin 46 Prozent seiner Rente steuerfrei (Az. X R 33/19). Im Fall eines Zahn­arztes im Ruhe­stand stellte der BFH klar, dass es bei privaten Renten nicht zur Doppel­steuer kommen kann – anders als bei gesetzlichen Renten (Az. X R 20/19). Jetzt haben die beiden Kläger gegen die BFH-Entscheidungen Verfassungs­beschwerde einge­legt.

Bundes­verfassungs­gericht prüft Beschwerden

Der Streit um die doppelte Besteuerung der Rente geht weiter. Die beiden Kläger haben beim Bundes­verfassungs­gericht (BVerfG) in Karls­ruhe Verfassungs­beschwerde gegen die Urteile vom Bundes­finanzhof (BFH) einge­legt (Az. X R 20/19 und X R 33/19). Das Gericht prüft nun, ob es die Beschwerden annimmt (Az. 2 BvR 1143/21 und 2 BvR 1140/21).

Die Rentner­ehepaare klagen weiter, dass ein Teil ihrer steuer­pflichtigen Rente auf bereits während ihres Erwerbs­lebens versteuerten gesetzlichen Renten­versicherungs­beiträgen beruht und somit doppelt besteuert wird. Der BFH stellte zwar neue Para­meter auf, wie eine Doppel­besteuerung zu berechnen ist und kippte die bisherige Auffassung der Finanz­verwaltung. Unterm Strich haben die BFH-Richter aber bei den Klägern keine doppelte Besteuerung fest­gestellt.

Kläger sehen Benach­teiligung für Verheiratete

Die Musterkläger kritisieren, dass nach den BFH-Urteilen Eheleute gegen­über Nicht­verheirateten benach­teiligt seien, weil eine mögliche Witwenrente ange­rechnet wird. Und das obwohl sie gekürzt oder nicht gezahlt wird, wenn der Witwer oder die Witwe eigenes Einkommen beziehen oder bezogen haben. Zudem ist strittig, ob die Renten­versicherungs­beiträge vor 2005 vorrangig in der Berechnung als steuerfreie Vorsorgeaufwendungen zählen. Denn bis 2004 gab es anders als heute für sämtliche Sozial­abgaben nur einen einheitlichen Vorsorgehöchstbetrag.

Steuer­bescheide für Rentner ergehen nur noch vorläufig

Sie meinen, dass Sie als Rentnerin oder Rentner zu Unrecht doppelt Steuern zahlen? Dann müssen Sie ab sofort gegen Ihren Steuer­bescheid nicht mehr extra Einspruch einlegen. Denn seit dem 30. August 2021 müssen die Finanz­ämter diese Steuerbescheide vorläufig erteilen (BMF-Schreiben vom 30. August 2021). Wegen einer eventuellen Doppel­besteuerung der Renten haben sämtliche Einkommensteuer­bescheide für Veranlagungs­zeiträume ab 2005 daher einen Vorläufigkeits­vermerk und werden bis zur entsprechenden Entscheidung des BVerfG oder des BFH nicht bestands­kräftig.

Der Vermerk betrifft alle Rentenzah­lungen, die der nachgelagerten Besteuerung unterliegen. Dazu gehören:

  • Leib­renten,
  • Renten aus der gesetzlichen Renten­versicherung,
  • Renten aus land­wirt­schaftlichen Alters­kassen,
  • Alters­vorsorge der berufs­stän­dischen Versorgungs­werke,
  • Rürup-Renten.

Tipp: Bewahren Sie alle erforderlichen Dokumente gut auf. Gehen die Verfahren des BVerfG oder des BFH zu Ihren Gunsten aus, müssen Sie eine Doppel­besteuerung anhand Ihrer konkreten Belege dem Finanz­amt nach­weisen. Für die Ermitt­lung einer etwaigen doppelten Besteuerung von Renten brauchen Sie die jähr­lichen Rentenbe­zugs­mitteilungen und alle Steuer­bescheide Ihrer aktiven Berufs­jahre, aus denen sich die einge­zahlten Beiträge in die Rentenkasse ergeben.

Warum sind die BFH-Urteile so wichtig?

Obwohl das höchste deutsche Finanzge­richt, der Bundes­finanzhof (BFH) in München, zwei Klagen von Rentnern gegen die Besteuerung ihrer Alters­bezüge abge­wiesen hat, haben die beiden Urteile weitreichende Folgen für Tausende künftige Rentner. Denn jetzt ist eindeutig klar, dass künftige Rentnergenerationen viel eher in die doppelte Besteuerung durch den Systemwechsel bei der Renten­besteuerung seit 2005 rutschen als heute. Davor hat die Stiftung Warentest übrigens bereits im Jahr 2006 gewarnt. Das Bundes­verfassungs­gericht hat klar­gestellt, dass eine Doppel­besteuerung nicht zulässig ist (Az. 2 BvL 17/99).

Was haben die Richter entschieden?

Die obersten Finanz­richter haben erst­mals fest­gelegt, wie genau gerechnet werden muss, ob jemand im Ruhe­stand doppelt Steuern zahlt. Entgegen der Auffassung der Finanz­verwaltung dürfen weder der Grund­frei­betrag noch die Steuer­abzüge für Kranken- und Pflege­versicherungs­beiträge als steuerfreie Rentenbezüge in die Berechnung mit einfließen (Az. X R 33/19).

Darum geht es grund­sätzlich

Nachgelagerte Besteuerung.
2002 stufte das Bundes­verfassungs­gericht die unterschiedlichen Steuer­regeln für gesetzliche Renten und Pensionen als verfassungs­widrig ein – und erzwang einen Systemwechsel hin zur „nachgelagerten Besteuerung“. Seit 2005 bleibt nun über­gangs­weise für jeden neuen Rentner­jahr­gang weniger von der Rente steuerfrei: Wer im Jahr 2021 in Rente geht, muss bereits 81 Prozent seiner Anfangs­rente versteuern, nur 19 Prozent sind steuerfrei. Hat die Rente schon 2005 oder früher begonnen, sind 50 Prozent steuerfrei. Im Gegen­zug können beitrags­zahlende Berufs­tätige seit 2005 jedes Jahr in der Steuer­abrechnung einen höheren Anteil ihrer gesetzlichen Rentenbeiträge von der Summe der Einkünfte abziehen – zum Beispiel wirken sich 2021 inklusive Arbeit­geber­anteil 92 Prozent steuer­mindernd aus, 2005 waren es nur 60 Prozent.
Die Über­gangs­regel.
Bis zum Jahr 2040 steigt die Besteuerung der Rente weiter stufen­weise, dafür zählen im Arbeits­leben jedes Jahr höhere Beiträge zur Renten­versicherung steuerlich – bis Beitrags­zahler diese im Jahr 2025 in voller Höhe von der Summe der Einkünfte abziehen können und die Neurenten ab 2040 komplett steuer­pflichtig sind.
Das Problem:
Die Über­gangs­phase kann dazu führen, dass künftige Rentne­rinnen und Rentner eher als heute von einer verfassungs­widrigen doppelten Besteuerung betroffen sein werden.

Was kritisiert der BFH?

Da der Rentenfrei­betrag für neuen Renten­jahr­gang geringer ist, dürfte er „künftig rechnerisch in vielen Fällen nicht mehr ausreichen, um die aus versteuertem Einkommen geleisteten Teile der Renten­versicherungs­beiträge zu kompensieren“, zitiert tagesschau.de die Urteils­begründung. Unterschiedliche Gruppen seien davon in unterschiedlicher Weise betroffen: Selbst­ständige stärker als Arbeitnehmer, Ledige stärker als Verheiratete – und, wegen ihrer nied­rigeren Lebens­erwartung, Männer stärker als Frauen.

Tipp: Wie Sie am besten beim Finanz­amt für das Jahr 2020 abrechnen und nur so viel Steuern zahlen wie nötig, erklären wir in unserem Special Steuererklärung für Rentner. Schritt für Schritt durch die Originalformulare führt unser Ratgeber Steuererklärung 2019/2020 – Rentner, Pensionäre. Das Buch enthält viele Beispiel­rechnungen und Hilfe­seiten.

In welchen Fällen kommt es zu einer Doppel­besteuerung?

Keine doppelte Besteuerung liegt vor, wenn die Summe der voraus­sicht­lich steuerfreien Rente zumindest so hoch ist wie die Summe der Renten­versicherungs­beiträge, die Sie aus Ihrem versteuertem Einkommen gezahlt haben. Allerdings ist die Berechnung sehr aufwendig: Dafür wird die Summe aller Beitrags­zahlungen aus versteuertem Einkommen der Gesamt­summe der steuerfreien Renten­einnahmen (entsprechend der Lebens­erwartung laut statistischem Bundes­amt) gegen­überge­stellt. Sind die steuerlich belasteten Alters­vorsorgeaufwendungen höher, liegt eine doppelte Besteuerung vor.

Was zählt zum steuerfreien Rentenbe­zug?

Der Bundes­finanzhof hat jetzt klar­gestellt: Zum steuerfreien Rentenbe­zug zählen auch künftige Ansprüche auf Frei­beträge aus der Hinterbliebenenrente des Ehepart­ners. Folg­lich kommen nicht verheiratete Rentner eher in die Doppel­besteuerung.

Aber: Alle anderen Steuer­abzugs­beträge – wie der steuerfreie Grund­frei­betrag von derzeit 9 744 Euro (2021), Abzüge für Kranken- und Pflege­versicherungs­beiträge, Werbungs­kosten- und Sonder­ausgabenpausch­betrag – dürfen entgegen der bisherigen Auffassung der Finanz­verwaltung laut BFH nicht in die Berechnung der steuerfreien Rentenbezüge mit einfließen.

Was muss sich ändern?

Da Laien den Nach­weis über eine Doppel­besteuerung aber nicht ohne Weiteres erbringen können, und auch steuerlichen Beratern und der Finanz­verwaltung die Berechnung kaum zuzu­muten ist, fordern Interes­senvertreter wie der Bundes­verband Lohn­steuer­hilfe­ver­eine (BVL e.V.) schnells­tens eine gesetzliche Lösung. Laut Spiegel Online gibt es Über­legungen im Bundes­finanz­ministerium, zusammen mit der Reform der Einkommensteuer in der kommenden Wahl­periode auch die Besteuerung der Rentenbeiträge zu ändern. Ziel sei es, dass die Beiträge zur Renten­versicherung schon vor 2025 komplett vom steuer­pflichtigem Einkommen abge­zogen werden können. Doch das dürfte nicht ausreichen, um eine Doppel­besteuerung zu vermeiden.

Mit welchen Abgaben müssen Rentner derzeit rechnen?

Auch Rentner müssen mit Abzügen für Steuern und Sozial­abgaben rechnen. Bei der Planung der Renten­einkünfte sollten diese Abgaben unbe­dingt berück­sichtigt werden, damit es später nicht zu bösen Über­raschungen kommt. Die verwirrende Abgaben­politik in Deutsch­land erschwert allerdings den Über­blick. In unserem Special Steuererklärung für Rentner zeigen wir, welche Abgaben bei welchen Renten­arten fällig werden. Bei der Berechnung hilft unser Steuerrechner.

Tipp: Wenn Sie befürchten, dass Sie später als Rentnerin oder Rentner doppelt Steuern zahlen müssen, sollten Sie sämtliche Steuer­bescheide und Unterlagen zum Versicherungs­verlauf unbe­dingt aufbewahren!

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Kommentarliste

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  • ChristophP56 am 10.06.2022 um 17:31 Uhr
    Die Berechnung der versteuerten Beiträge bis 2004

    Die Berechnung der Steuerfreien Altersvorsorgebeiträge lässt sich ziemlich einfach durchführen.
    Das Bruttoeinkommen steht im Rentenverlauf, den man von der DRV anfordern kann.
    Die Beitragssätze für die Rentenversicherung, Krankenversicherung, ALV und PV sind ebenfalls recherchierbar. Bis einschl. 2004 wurden alle Sozialversicherungsbeiträge in einen Topf geschmissen und steuerlich nur eine Vorsorgepauschale berücksichtigt. Wenn nun in dem jeweiligen Jahr die Summe der KV, ALV und PV größer als die Vorsorgepauschale ist, wurden die Rentenversicherungsbeiträge des Arbeitnehmens vollkommen besteuert. Im anderen Fall, zieht man den Differenzbetrag von KV, ALV und PV gegenüber der Vorsorgepauschale von den einbehaltenen AN-Rentenversicherungsbeiträgen ab und erhält die versteuerten Beiträge.
    In meinem Fall wurden meine eigenen Beiträge zur RV bis 2004 zu 55% bereits versteuert.
    Ab 2005 ist die Berechnung dann einfacher, gestaffelt von 40% der Beiträge in 2005, 48% in 2006 usw.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 13.07.2021 um 11:00 Uhr
    Berechnung der gezahlten Beiträge

    @CC7894: Bitte schauen Sie sich auf der Site des Bundes der Steuerzahler e.V. die Kurzanleitung zur Berechnung der Doppelbesteuerung an:
    https://steuerzahler.de / Suche / Doppelbesteuerung / So wird die Doppelbesteuerung berechnet
    In Schritt 3 seiner Anleitung verweist der Bund darauf, wie die anerkannten Vorsorgeaufwendungen auf die Ermittlung der Arbeitnehmerbeiträge vor 2005 behandelt werden. (maa)

  • CC7894 am 10.07.2021 um 17:36 Uhr
    Berechnung der gezahlten Beiträge

    Mit "Versorgungsfreibetrag" meine ich folgendes: Bei mir als damalig Unverheiratetem wurde in den Einkommensteuerbescheiden der 80er Jahre von den Versicherungsbeiträgen der sog. Versorgungsfreibetrag von z.B. 3510,- DM pro Jahr abgezogen. Es stellt sich mir die Frage, ob dieser Betrag nun komplett von den gezahlten Pflichtbeiträgen abgezogen wird, um die "aus versteuertem Einkommen gezahlten Beiträge" zu bestimmen. Dann würde sich die berücksichtigte Summe stark reduzieren.
    Der Freibetrag würde dann für andere grundsätzlich abzugsfähige Versicherungsbeiträge nicht mehr berücksichtigt werden.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 07.07.2021 um 10:12 Uhr
    Beitragszahlungen aus versteuertem Einkommen

    @MayerM: Wenn keine Steuerbescheide und Gehaltsabrechnungen mehr vorliegen, dann wird die Berechnung schwierig - insbesondere dann, wenn auch der Ehepartner noch gearbeitet hat. Es lassen sich eben gerade nicht die steuerfrei gebliebenen Beiträge dem Versicherungsverlauf einfach entnehmen.
    (TK)

  • MayerM am 06.07.2021 um 12:41 Uhr
    Beitragszahlungen aus versteuertem Einkommen

    Vielen Dank für die Stellungnahme.
    Woher weiß ich welche Beitragszahlungen aus versteuertem Einkommen erfolgten? Alte Einkommensbescheide liegen nicht mehr vor. Die Beiträge stehen aber im Rentenbescheid. Kann man damit nichts anfangen? Warum nicht?