Produktion von Medikamenten Das Schweigen der Pharma­branche

1
Produktion von Medikamenten - Das Schweigen der Pharma­branche

Im Schutz­anzug. Arznei­mittel­herstellung in einem indischen Werk. © Getty Images / Bloomberg

Viele Arznei­stoffe stammen aus Fern­ost. Wie setzen sich große Hersteller dort für Qualität ein, für Sozialstan­dards und Umwelt­schutz? Ihre Antworten sind karg.

Wenn in China eine Fabrik explodiert, kann das bis nach Deutsch­land wirken. Wie 2016, als es ein chinesisches Werk traf, das fast den ganzen Welt­markt mit Piperacillin belieferte, einem wichtigen Antibiotikum. Es fehlte über Monate, auch hier­zulande.

Die Pharma­branche lässt Wirk­stoffe über­wiegend außer­halb der EU und USA herstellen. Etwa 80 Prozent stammen inzwischen laut Schät­zungen aus Dritt­ländern, vor allem aus Indien und China. Dort kostet die Produktion weniger als hier – auch wegen des nied­rigeren Lohn­niveaus und geringerer Umwelts­tandards.

Wir befragten zehn Pharma­hersteller

Wie gehen Pharma­hersteller mit dem Thema um? Woher beziehen sie die Wirk­stoffe ihrer Medikamente? Und wie sorgen sie an ausländischen Produktions­stand­orten für gute Qualität, Arbeits- und Umwelt­bedingungen? Das fragten wir zehn Anbieter, die mit besonders vielen Arznei­mitteln in unserer großen Daten­bank Medikamente im Test vertreten sind. Wir befragten sie jeweils zu dem Medikament des Unter­nehmens, über das Nutze­rinnen und Nutzer 2021 am häufigsten Informationen auf test.de aufgerufen haben, etwa den Blut­verdünner Plavix und das Gürtelrose-Mittel Zostex.

Die Branche mauert

Die Antworten der Pharmaunternehmen auf unsere Fragebögen waren spärlich. Wir bekamen kaum Einblick in diesen mächtigen Industrie­zweig. Lebens­mittel- und Textilhersteller sind da bei unseren Tests zur Unternehmensverantwortung deutlich weiter und trans­parenter. Wenig auskunfts­freudig zeigten sich vor allem Original­hersteller, die neue Medikamente entwickeln. Drei von ihnen – Berlin-Chemie, Pfizer, Sanofi – lieferten uns keinerlei Informationen. Weitere gaben nur kurze allgemeine Auskünfte.

Nur vier sind koope­rativ

Am koope­rativsten waren vier Generika­hersteller, die preisgüns­tige Nach­ahmerpräparate von Arzneien mit abge­laufenem Patent produzieren. Aliud, AbZ und Ratiopharm gaben an, bei Zulieferern auf Qualität zu achten, etwa durch regel­mäßige Audits. Damit erfüllen sie ihre gesetzlichen Pflichten, was die Güte der Produktion betrifft. Doch selbst bei ihnen erhielten wir kaum Informationen zu Arbeits- und Umwelt­bedingungen. Einer der Anbieter – 1A Pharma – teilte mit, der angefragte Wirk­stoff stamme aus Deutsch­land und den USA.

„Die Entscheidung muss der Arzt fällen“

Mehr Angaben musste uns 1A Pharma entsprechend unserer Anfrage nicht machen – wollte aber auch nicht. Die angefragte Arznei sei ein Betäubungs­mittel und verschreibungs­pflichtig. Da sei es ohnehin kritisch, die „Informationen zur Verfügung zu stellen, da die Entscheidung bei solchen Medikamenten der Arzt fällen muss (was uns selbst eine Werbung gegen­über Verbrauchern verbietet)“. Ähnlich argumentierte Hexal. Der Grund leuchtet uns nicht ein. Wir erkundigten uns lediglich nach Produktions­bedingungen.

Schwierige Über­wachung in Fern­ost

„Arznei­mittel aus Fern­ost sind nicht auto­matisch schlecht“, sagt Ulrike Holz­grabe, Professorin für pharmazeutische und medizi­nische Chemie an der Uni Würzburg, die sich schon lange mit dem Thema beschäftigt. „Grund­sätzlich gelten hohe Ansprüche an Medikamente, die in der EU auf den Markt kommen.“ Unter anderem müssten Zulieferer strenge GMP-Regeln beachten – kurz für Good Manufacturing Practice, gute Herstellungs­praxis.

Auch eine Über­wachung von Zulieferern durch Aufsichts­behörden sei vorgesehen. „Es ist aber vergleichs­weise schwierig, einen Hersteller zu kontrollieren, wenn er außer­halb der EU sitzt, womöglich Tausende Kilo­meter weit weg.“ Audits fänden oft stich­proben­artig statt und in aller Regel angemeldet. „Da können sich Firmen gut vorbereiten, Räume und Bücher in Ordnung bringen und so weiter.“

Verunreinigung in Vals­artan

Ein Beispiel für Qualitäts­probleme stammt aus dem Jahr 2018. Damals wurden EU-weit Blut­druck­senker mit dem Wirk­stoff Vals­artan zurück­gerufen. Sie waren mit Nitrosaminen verunreinigt, die vermutlich Krebs verursachen. Der Wirk­stoff stammte von der chinesischen Firma Zhejiang Huahai Pharmaceutical.

„Als die Verunreinigung auffiel, reagierte die US-Arznei­mittel­behörde schnell mit einem unangemeldeten Audit und entdeckte diverse Mängel in der Produktion“, sagt Holz­grabe. Insbesondere hätte das Herstel­ler­unternehmen die Synthese­methode von Vals­artan geändert, ohne die Über­wachungs­behörden zu informieren.

Weitere Medikamente betroffen

Im Nach­gang des Vals­artan-Skandals fielen noch mehr Verunreinigungen mit Nitrosaminen auf – darunter bei mehreren anderen Sartanen, bei Ranitidin, das die Menge an Magensäure verringert, und bei Vareniclin, das zur Raucher­entwöhnung dient.

Riskante Keime rund um Fabriken

Die Regeln für die gute Herstellungs­praxis und ihre Über­wachung haben vor allem die pharmazeutische Qualität im Fokus, die korrekte Herstellung von Medikamenten. Um Umwelts­tandards geht es kaum. Studien zeigen, dass Gewässer in der Nähe indischer und chinesischer Pharma­fabriken oft mit Antibiotika belastet sind.

2017 etwa erschienen Daten eines Recherche­teams von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Es hatte Wasser­proben in Hyderabad entnommen, einem indischen Pharma­industrie-Hotspot. Viele der Proben enthielten Antibiotika, teils hoch konzentriert. Zudem fanden sich Bakterien, die bereits resistent gegen die Arzneien geworden waren. Solche Keime sind sehr gefähr­lich. Durch globale Reisen und Trans­porte könnten sie sich weithin verbreiten – ein Risiko für die Welt.

Arbeits­welt im Schatten

Wenig heraus­finden lässt sich über die Arbeits­bedingungen in chinesischen und indischen Pharmafirmen. Fachleute und Institutionen wie China Labor Watch und die interna­tionale Arbeits­organisation ILO konnten uns keine Auskünfte dazu geben.

Prinzipien für Lieferketten

Es gibt durch­aus Engagement west­licher Pharmaunternehmen für bessere Bedingungen. So sind einige von uns ange­schriebene Unternehmen oder deren Mutter­konzerne – MSD, Novartis, Pfizer, Sanofi, Teva – laut Website Mitglied der „Pharmaceutical Supply Chain Initiative“ (PSCI). Sie hat Prinzipien für pharmazeutische Lieferketten entwickelt, die auch Arbeits- und Umwelt­aspekte umfassen. Was die Zugehörig­keit zu dieser Initiative konkret für die angefragten Wirk­stoffe bedeutet, erläuterten uns die befragten Anbieter nicht. Nur MSD gab über­haupt an, der US-Mutter­konzern Merck & Co. sei Mitglied.

„Prinzipiell können solche Branchen­initiativen einen wert­vollen Beitrag leisten“, sagt Maren Leifker. Die Juristin arbeitet beim Hilfs­werk Brot für die Welt und setzt sich für gute Bedingungen in Lieferketten ein. „Doch die Vergangenheit zeigt, dass es nicht reicht, bei der Industrie allein auf Freiwil­ligkeit zu setzen.“

Änderungen durch das Lieferkettengesetz

Daher sei das Lieferkettengesetz so wichtig. Ab 1. Januar 2023 müssen in Deutsch­land tätige Unternehmen Sorgfalts­pflichten in ihren Lieferketten nach­kommen. Sie müssen etwa regel­mäßig über­prüfen, ob Zulieferer Menschen­rechte verletzen oder die Umwelt schädigen – und wenn nötig Abhilfe schaffen. Das Gesetz betreffe auch Pharmaunternehmen, sagt Leifker, „aber nur, wenn sie groß genug sind“. Als Richt­schnur gelten 3 000 Beschäftigte in Deutsch­land; 2024 sinkt die Zahl auf 1 000.

Auch ein EU-Lieferkettengesetz ist in Planung – und könnte noch strenger werden als das deutsche (mehr Informationen zu beiden Gesetzen bietet beispiels­weise die Initiative Lieferkettengesetz).

Weitere Maßnahmen denk­bar

Es gibt weitere Ideen, speziell was Medikamente betrifft. Eine steht im Koalitions­vertrag und heißt: „Maßnahmen, um die Herstellung von Arznei­mitteln inklusive der Wirk- und Hilfs­stoff­produktion nach Deutsch­land oder in die EU zurück zu verlagern.“ Professorin Holz­grabe sagt: „Das könnte zumindest bei besonders wichtigen Mitteln wie Antibiotika hilf­reich sein, auch um Liefer­engpässen vorzubeugen.“

Die Preise könnten steigen

Allerdings könnten steigende Preise folgen – vor allem bei den Generika, die den Groß­teil der Versorgung ausmachen. „Sie kosten inzwischen so wenig, oft nur ein paar Cent pro Tages­dosis, da geht nichts mehr nach unten“, so Holz­grabe. Diese Entwick­lung liegt auch daran, dass Krankenkassen Rabatt­verträge mit Pharmafirmen abschließen – und dabei nur möglichst nied­rige Preise zählen. Wer die Ausschreibung gewinnt, darf die Versicherten der Kasse beliefern.

„Wir treten seit Langem dafür ein, dass auch Sozial- und Umwelt­aspekte bei den Rabatt­verträgen berück­sichtigt werden“, so der Branchen­verband Pro Generika. Die Frage ist, was uns Medikamente wert sind. Und zwar inklusive fairer Produktions­bedingungen und Maßnahmen, damit sie nicht knapp werden – etwa, weil irgendwo auf der Welt eine Fabrik explodiert. 

1

Mehr zum Thema

1 Kommentar Diskutieren Sie mit

Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.

Kommentarliste

Nutzer­kommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.

  • hgf86 am 15.08.2022 um 15:25 Uhr
    Unbedingt am Ball bleiben

    Ihre Recherche ist für den Verbraucher wahrscheinlich die einzige zumutbare Möglichkeit, sich vor Gefahren zu schützen. Bitte, nutzen Sie ALLE Ihnen verfügbaren Möglichkeiten zur Aufklärung.
    Mit Dank für Ihren Einsatz
    Hans-Georg Fischer