Problemfälle des österreichischen Immobilienkonzerns Soravia bescheren Anlegern der deutschen Tochter One Group einen Komplettausfall. Das legt ein Insolvenzantrag nahe.
Anlegerinnen und Anleger von zwei Anlageangeboten der One Group aus Hamburg müssen sich auf einen Totalverlust einstellen. Sie haben Geld in die nachrangigen Schuldverschreibungen „ProReal Europa 9“ und „ProReal Europa 10“ gesteckt. Bei Schuldverschreibungen verleihen Anleger zum Beispiel an Firmen Geld gegen Zinsen. Insgesamt geht es um 278 Millionen Euro. Das legt der Insolvenzantrag der SC Finance Four GmbH, Neu-Isenburg, früher Hamburg, vom 8. März 2024 nahe, der am Insolvenzgericht Offenbach eingereicht wurde und der Finanztest vorliegt.
Beide Angebote hatte die One Group aus Hamburg Ende 2020 und Mitte 2021 auf den Markt gebracht. Die One Group gehört zum großen österreichischen Immobilienkonzern Soravia. Der Konzern mit mehr als 140-jähriger Geschichte hat 14 300 Wohnungen gebaut, Projekte mit 4,9 Milliarden Volumen sind nach eigenen Angaben derzeit in der Entwicklung. Nicht nur Soravia, sondern auch andere Immobilien-Projektentwickler kämpfen momentan mit nicht nach Plan verlaufenden Projekten.
Das Kapital der Anleger – 100 Millionen Euro (ProReal Europa 9) beziehungsweise 178,5 Millionen Euro (ProReal Europa 10) – sollte während der jeweils dreijährigen Laufzeit mit 6 Prozent beziehungsweise 5,75 Prozent pro Jahr verzinst werden. Ende Dezember 2023 wurden überraschend die Zinszahlungen ausgesetzt. Soravia Deutschland teilte Stiftung Warentest mit, etwa 11 000 Anlegerinnen und Anleger seien „von einem hohen Ausfallrisiko betroffen“.
Projektgesellschaften zahlten nicht
Die Schuldverschreibungen hatten die ProReal Europa 9 GmbH (PRE 9) und ProReal Europa 10 GmbH (PRE 10) herausgegeben. Der Insolvenzantrag beschreibt, dass beide Gesellschaften Kapital an die SC Finance Four GmbH für 10 Prozent Zinsen pro Jahr verliehen hätten. Die SC Finance Four wiederum habe damit 28 Darlehen an Projektgesellschaften vergeben, die ihr dafür 10,75 bis 12,25 Prozent Zinsen pro Jahr zahlen sollten. Diese Darlehensvergaben seien qualifiziert nachrangig gewesen. Das heißt: SC Finance Four konnte Forderungen schon nicht mehr durchsetzen, wenn eine Insolvenz bei den Projektgesellschaften droht.
Tatsächlich hätten Darlehensnehmerinnen nicht gezahlt. Dadurch und durch Folgeeffekte habe die Zahlungsunfähigkeit der SC Finance Four gedroht, weil diese ihre Zahlungen an die PRE9 und 10 nicht mehr leisten konnte. Die Forderungen der SC Finance Four an die Projektgesellschaften seien laut Insolvenzantrag nur noch in Höhe von 1,7 Prozent werthaltig.
Soravia Deutschland betonte auf Nachfrage von Finanztest, die tatsächliche Insolvenzquote – der Anteil, den Gläubiger bekommen – hänge von der weiteren Entwicklung ab und lasse sich heute nicht abschließend prognostizieren: „Tatsächlich ist aber davon auszugehen, dass ohne die Realisierung der beabsichtigten Sanierungsmaßnahmen ein Totalverlust droht.“
Kein Insolvenzantrag bei ProReal 9 und 10
Der Ausfall von SC Finance Four bringt PRE 9 und 10 in Schwierigkeiten. Die Anwaltskanzlei Semper Fidelis Rechtsanwälte aus Frankfurt, die den Insolvenzantrag eingereicht hatte, kündigt darin daher an, auch bei PRE 9 und 10 Insolvenzanträge vorzubereiten. Davon rückte Soravia Deutschland in der Stellungnahme ab: Es sei eine „Zahlungsunfähigkeit zukünftig nicht zu erwarten“. Für die Anlegerinnen und Anleger bedeutet das jedoch keine Entwarnung.
Grund: Die Schuldverschreibungen der Anleger sind nachrangig, das heißt, diese können ihre Forderungen nach Zahlung von Zinsen und Rückzahlung bei Insolvenzgefahr nicht durchsetzen, kriegen selbst kein Geld. Somit können sie keine Zahlungsunfähigkeit auslösen, solange der Zustand anhält.
Vier Projekte waren besonders problematisch
Vier Projekte, die sich laut Insolvenzantrag besonders negativ ausgewirkt haben:
- Das Projekt mit dem ehemaligen Rechenzentrum der Allianz in Unterföhring wurde demnach komplett abgewickelt, die gesamten 16,7 Millionen Euro Kredit hätten abgeschrieben werden müssen.
- Das gelte auch für das ehemalige Hotel „Sylter Hof“ in Berlin mit 30,4 Millionen Euro.
- Beim Wohn- und Hotelprojekt „Quartier Tegernsee“ sei zwar nur ein Teil rückabgewickelt worden, doch die 21,1 Millionen Euro hätten vollständig wertberichtigt werden müssen.
- Bei den Wohnanlagen „Zollhafen Elements“ in Mainz habe sich der Bau verzögert, wodurch 18,5 von 20,0 Millionen Euro hätten abgeschrieben werden müssen.
Zahlungszusagen schwer zu erfüllen
Es geht also um mehr als 86 Millionen Euro bei den vier Problemprojekten. Der Insolvenzantrag schildert zudem Folgeeffekte: Zuflüsse aus diesen Projekten seien schon dafür eingeplant gewesen, weitere Projekte zu finanzieren. „Die zeitgleiche Projektentwicklung von verschiedenen Projekten entspricht der marktüblichen Tätigkeit“ eines in der Region Deutschland, Österreich und Schweiz tätigen Projektentwicklers, erklärt Soravia Deutschland dazu.
Für die Fortsetzung wären laut Insolvenzantrag 80 bis 120 Millionen Euro nötig. Die seien weder von den Gesellschaftergruppen aufzubringen noch am Kapitalmarkt zu beschaffen. Das unerfreuliche Fazit der Analyse für Anlegerinnen und Anleger von PRE 9 und 10 in Deutschland: Die „derzeit zu finanzierenden Projekte“ seien ohne das Insolvenzverfahren von SC Finance Four nicht zu realisieren.
Andere Soravia-Gesellschaften weniger belastet
Mit weiteren Ausfällen rechnet der Konzern aber nicht. In dem Insolvenzantrag heißt es: „Alle sonstigen Gesellschaften innerhalb der Soravia-Gruppe sind von der Krise, die den gegenständlichen Antrag erforderlich macht, weder unmittelbar noch mittelbar betroffen.“ Sie seien „nicht in dem gleichen Maße belastet“ wie die SC Finance Four und „daher auch nicht insolvenzgefährdet.“
Lage bei ProReal 7 hat sich verschlechtert
Allerdings hatten Ende 2023 nicht nur PRE 9 und 10, sondern auch zwei weitere Gesellschaften mit Schuldverschreibungen für Anleger, die ProReal Deutschland 7 GmbH (PRD 7) und die ProReal Deutschland 8 GmbH (PRD 8), Zinszahlungen ausgesetzt. Diese haben laut dem Insolvenzantrag jedoch ihre Mittel über andere Gesellschaften weitergereicht, ein Ausfallrisiko sei „weitgehend auszuschließen“.
Zumindest bei PRD 7 hat sich die Lage seit Jahresende aber verschlechtert. Damals hieß es noch, PRD 7 werde die Schuldverschreibung 2024 vertragsgemäß an Anleger zurückzahlen. Zwei Monate später wurde dagegen mitgeteilt, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit könne die Vermögensanlage nicht bis Ende 2024 zurückgezahlt und die Ende Juni 2024 fälligen Zinsen sowie die endfällige Verzinsung geleistet werden.
Mit 105 Millionen Euro Volumen gehört ProReal 7 zu den größten Emissionen der One Group. Die drei Angebote PRD 7, PRE 9 und 10 alleine machen nach Angaben von Soravia Deutschland 40 Prozent des Anlagevolumens aus, das die One Group seit 2012 emittiert hat.
Kein glückliches Händchen bei der Auswahl der Projekte
Ist nur SC Finance Four so stark belastet, dass ein Insolvenzantrag notwendig erschien, scheint die Gesellschaft wenig Fortune bei der Auswahl der Projekte gehabt zu haben, die die Gesellschaft finanzierte.
Soravia Deutschland begründet die Unterschiede mit der negativen Marktentwicklung, die auch andere Projektentwickler treffe. Das Portfolio von SC Finance Four sei im Wesentlichen zwischen 2020 und 2021 eingekauft worden. Daher seien „Anleger der PRE 9 und PRE 10 deutlich stärker als Anleger anderer Emissionen belastet“.
Die mit Mitteln von PRD 7 und 8 finanzierten Projekte seien bis zu zweieinhalb Jahre früher begonnen worden und daher deutlich weniger betroffen: „Daher halten wir nach aktuellen Erkenntnissen die vollständige Rückzahlung an die Anleger bei erwartungsgemäßem Verlauf weiterhin für möglich; es wird jedoch zu Verzögerungen der Rückzahlung kommen, die im Umfang letztlich vom Marktgeschehen in den nächsten Monaten abhängt.“ Sicher ist es also offenbar auch bei PRD 7 nicht, dass es nur bei Verzögerungen bleibt.
Insolvenzantrag statt erneuter Stundung
Alternativ zum Insolvenzantrag wäre es möglich gewesen, PRE 9 und 10 um eine erneute Stundung zu bitten. Denn im Insolvenzantrag ist ohnehin die Rede davon, „über eine rechtssichere Vereinbarung hinsichtlich der Ansprüche der bisherigen Anleger die Fortführungsfähigkeit der Antragstellerin wiederherzustellen, um die vorhandenen Projekte – mit Eigenmitteln sowie gegebenenfalls Beteiligung neuer Investoren oder der Bestandsanleger – auszufinanzieren und realisieren zu können“.
Soravia Deutschland begründet den Antrag auf Eigenverwaltung damit, dass „durch eine qualifizierte Prüfung der Sanierungsmaßnahmen durch das Gericht und den Sachwalter die erforderliche Rechtssicherheit für alle Beteiligten hergestellt“ werde. Beabsichtigt sei ein Insolvenzplanverfahren.
Kein Zahlungsanspruch gegenüber Soravia
Inwieweit hätte zudem Soravia einspringen müssen? Im Jahresabschluss der SC Finance Four GmbH für das Geschäftsjahr 2022 ist als Anlage eine Auskunft der Geschäftsführung zu bestandsgefährdenden Risiken beigefügt. Dort heißt es: „Zudem liegt eine Absichtserklärung der Soravia Investment Holding GmbH als Alleingesellschafterin der SC Finance Four GmbH (ehem. SORAVIA Capital Four GmbH) für eine Kapitalausstattung im Bedarfsfalle vom 30.06.2023 vor.“
Soravia Deutschland betonte in der Stellungnahme an Stiftung Warentest, die „Absichtserklärung begründet keinen Zahlungsanspruch gegenüber der Soravia Investment Holding GmbH“.
Bank hatte schon 2022 beim Sylter Hof kalte Füße bekommen
Aus den Unterlagen zum Insolvenzantrag ergibt sich zudem, dass etwa beim Sylter Hof die finanzierende Bank schon 2022 kalte Füße bekommen hatte.
Dazu erläutert Soravia Deutschland, dass „der Ausfall eines oder auch mehrerer Projekte grundsätzlich durch die Übererlöse anderer Projekte“ hätte kompensiert werden können. Durch die Krise am gesamten Markt sei ab „dem vierten Quartal 2023 eine kurzfristige Erholung des Marktes nicht mehr zu erwarten“ gewesen.
Anlegerbeiräte sollen gewählt werden
Das Amtsgericht Offenbach hat nun für die SC Finance Four GmbH Rechtsanwalt Andreas Kleinschmidt von White & Case zum vorläufigen Sachwalter eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung bestellt (Aktenzeichen: 8 IN 170/24).
Zudem soll es freiwillige Anlegerbeiräte bei PRE 9 und 10 geben. Sie wurden nach Angaben von Soravia Deutschland in vorläufiger Besetzung eingerichtet und haben jeweils zweimal getagt. In den kommenden Wochen sei die Wahl in einem zweistufigen Prozess geplant. Anleger sollen sich demnach zur Wahl stellen können.
In einem zweiten Schritt sollen Anlegerinnen und Anleger dann ihre Stimme abgeben können. Die Anlegerbeiräte sollen „einen offenen Austausch“ garantieren: „Damit möchten wir das durch den drohenden Ausfall beeinträchtigte Vertrauen wieder aufbauen und Einblicke in das Sanierungsverfahren gewähren, an dem Anleger selbst – juristisch betrachtet – nicht unmittelbar beteiligt sind.“
Fall zeigt Risiko nachrangiger Angebote
Fazit: Anlegerinnen und Anleger der Schuldverschreibungen der One Group in Deutschland sind damit durch Problemfälle bei Soravia in Form eines drohenden Totalverlusts oder zumindest massiven Verzögerungen besonders stark belastet. Wieder einmal realisiert sich damit das hohe Risiko, das Anlegende mit nachrangigen Anlageangeboten tragen müssen.
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- Bei vier Namensschuldverschreibungen der Serie ProReal werden Zinszahlungen für das vierte Quartal 2023 ausgesetzt. Eine soll aber vertragsgemäß zurückgezahlt werden.
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