Grauer Kapitalmarkt In der Cannabis-Falle von Juicyfields

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Grauer Kapitalmarkt - In der Cannabis-Falle von Juicyfields

Wunder­same Pflanze. Dass Cannabis-Anbau ein höchst lukratives Geschäft sein könnte, glaubten viele, die in die Firma Juicyfields investierten. © Getty Images / Olena Ruban

Eine Internetplatt­form erfindet mit „Crowdgrowing“ eine neue Anlageform in Cannabis. Sie lockt Tausende in eine teure Falle.

Update [17.08.2022]: Landes­kriminal­amt durch­sucht Wohnungen

Durch­suchungen. Wie die Berliner General­staats­anwalt­schaft mitteilte, durch­suchte das Landes­kriminal­amt Berlin am 16. August im Zusammen­hang mit Ermitt­lungen gegen zwölf mutmaß­lich Verantwort­liche der Internetplatt­form juicyfields.io deren Wohnungen und Geschäfts­räume von fünf Firmen an zwei Stand­orten. Dabei sollen zahlreiche Unterlagen sicher­gestellt worden sein.

Derzeit lägen Anzeigen von 230 Anlegern vor. Die Ermitt­lungen sollen klären, ob die Cannabis­pflanzen tatsäch­lich existierten oder ob möglicher­weise Anle­gerinnen und Anleger im Rahmen eines Schnee­ball­systems betrogen wurden. Auch die Höhe eines etwaigen Schadens ist Gegen­stand der Ermitt­lungen. Gegen vier Gesell­schaften wurden bereits jetzt Vermögensarreste über jeweils gut 2,5 Millionen Euro voll­streckt.

An der Durch­suchung war auch die Bundes­anstalt für Finanz­dienst­leistungs­aufsicht (BaFin) beteiligt. Die Ermitt­lungen dauern an.

Update [22.07.2022]

Eine Million Euro. Die Bundes­anstalt für Finanz­dienst­leistungs­aufsicht (Bafin) hat Finanztest bestätigt, dass sie gegen die Juicy Holdings B.V. Zwangs­gelder in einer Höhe von insgesamt einer Million Euro fest­legte. Sie setzen sich aus jeweils 250 000 Euro zusammen, die sich auf die vier Pflanzen beziehen, die als Anlage angeboten wurden. Die Frist zur Zahlung lief am 21. Juli 2022 aus.

Nicht zugelassene Vermögens­anlagen. Die Aufsicht reagierte damit darauf, dass die Firma trotz einer vorherigen Androhung von Zwangs­geldern nicht reagierte und weiterhin nicht zugelassene Vermögens­anlagen anbot. „Die fort­laufenden Verstöße der Juicy Holdings B.V. erfolgen nach frucht­losem Ablauf der Frist der Androhungen der Zwangs­gelder“, heißt es im Schreiben der Bafin, das an die Firma gerichtet war.

13. Juli 2022, kurz vor 22 Uhr. Rund 1 000 Menschen sitzen vor ihren Bild­schirmen, zuge­schaltet in einer Zoom-Konferenz. Alles Anleger, die fürchten, abge­zockt worden zu sein. Sie haben sich verabredet, weil Zahlungen von Juicyfields ausblieben.

500 000 E-Grower, also Anleger, die digital in Pflanzen investieren, waren nach Angaben der Betreiber auf juicyfields.io registriert. Die E-Grower kauf­ten über diese Internetplatt­form Cannabis­pflanzen für medizi­nische Zwecke und kassierten mehr­mals im Jahr zwei­stel­lige Renditen aus den Ernteerlösen – zumindest bisher.

Mit ihren Kanälen bei Facebook oder Instagram erreichte die Platt­form Tausende Anleger und wurde immer bekannter. Doch plötzlich sind alle Videos der Platt­form auf ihrem YouTube-Kanal verschwunden, die zuvor millionenfach geklickt worden waren.

Wechselnde Verantwort­liche

Im Zoom-Meeting herrscht Konfusion. In kurzer Zeit hatten vorher mehr­fach die Zuständigen im Impressum gewechselt. Mitarbeiter, die lange als „Promis“ der Firma galten, sind abge­taucht. Vermeintliche Part­nerfirmen verbreiten Ad-Hoc-Meldungen, in denen sie sich von Juicyfields distanzieren.

Eine Anlegerin spricht von einem „Exit Scam“: Einem Betrug, bei dem anfäng­liche Ausschüttungen mit den Geldern neuer Anleger finanziert werden, bis sich die Hintermänner mit der Beute von einem Tag auf den nächsten davon machen. Genau das scheint passiert zu sein.

Einige Zoom-Teilnehmer wollen es nicht glauben. Sie haben sich blenden lassen von zahlreichen YouTube-Videos, die immer die gleiche Story erzählten: vom großen Geschäft mit Cannabis, an dem nicht nur die Konzerne verdienen können, sondern jeder – die Crowd.

Auf Gold­gräberwelle mitgeschwommen

Cannabis scheint satte Renditen zu verheißen. Was in Kanada und den USA zum Milliarden­geschäft wurde, ist auch in Europa im Anmarsch. 2020 wurden in Europa bereits 230,7 Millionen Euro mit medizi­nischem Cannabis umge­setzt. 2025 sollen es über 3,1 Milliarden Euro sein. Die geplante Legalisierung als Genuss­mittel in Deutsch­land löst eine Gold­gräber­stimmung aus. Mit dem Frei­zeitmarkt könnte sich die Blütenmenge auf jähr­lich 400 Tonnen erhöhen.

Legalisierung

Deutsch­land hat die Abgabe von Medizinalcannabis 2017 reguliert und arbeitet derzeit an der Richt­linie für Genuss­zwecke. Kanada hat als erste Industrienation 2018 Anbau, Handel und Konsum für Genuss­zwecke legalisiert. In den USA ist dies in 19 Bundes­staaten legal. Uruguay und die Nieder­lande haben den Cannabisgenuss teil­weise legalisiert.

Cannabisboom

Im Jahr 2020 wurden auf dem legalen Cannabismarkt in Europa rund 230,7 Millionen Euro umge­setzt. Laut Prognose könnten sich die Umsätze bis zum Jahr 2025 auf über 3,1 Milliarden Euro steigern. Eine Studie der Uni Düssel­dorf beziffert staatliche Einsparungen und jähr­liche Steuer­einnahmen infolge der Legalisierung in Deutsch­land auf 4,7 Milliarden Euro.

Import/Export

Deutsch­land importiert den größten Teil seines medizi­nischen Cannabis. So wurden 2021 rund 20,6 Tonnen Cannabis zu medizi­nischen und wissenschaftlichen Zwecken in Form von getrock­neten Blüten und Extrakten importiert. Die für vier Jahre (seit 2019) staatlich lizensierte Anbaumenge in Deutsch­land selbst beträgt 10,4 Tonnen Blüten.

Auf dieser Welle surfte Juicyfields perfekt. E-Growing wirkt modern, disruptiv – wie Bitcoin, bloß grüner. Eine Mischung aus Crowdfunding und Gärtnern, jedoch ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen. Viele Anleger hatten in den vergangenen Monaten bei Telegram stolz von ihren Auszahlungen berichtet, posteten Belege und wischten Bedenken weg, dass die Anlegergelder auf ein Konto nach Zypern flossen oder die Bundes­anstalt für Finanz­dienst­leistungs­aufsicht (Bafin) warnte.

Unser Rat

Risiko. Viele Vermögens­anlagen wie Direkt­investments und Nach­rangdarlehen sind sehr riskant. Auch ein Total­verlust ist möglich. Investieren Sie nur Beträge, deren Verlust Sie verschmerzen können.

Umfassend informieren. Worauf Sie achten sollten, bevor Sie Geld in vermeintlich renditeträchtige Anlagen stecken, lesen Sie in unserem Special „Vorsicht, riskante Geldanlagen“ (mit Check­liste).

Unterschiedliche Cannabis-Sorten im Angebot

Juicyfields verkaufte medizi­nische Cannabis­pflanzen und hatte mehrere Sorten zur Auswahl: Die Pflanze JuicyFlash war mit 50 Euro am güns­tigsten, konnte aber nur einmal geerntet werden. Ertrag: 45–55 Gramm, Verkaufs­preis: 1,50 Euro pro Gramm, Einnahmen von aufgerundet 68–83 Euro. Das hätte eine gerundete Rendite von 36 bis 66 Prozent pro Ernte bedeutet. Teurer war Juicy Mist mit 2 000 Euro. Ertrag: 150–200 Gramm, Verkaufs­preis: 2 Euro pro Gramm. Einnahmen bei jähr­lich vier Ernten: 1 200 bis 1 600 Euro. Nach fünf Jahren (6 000 bis 8 000 Euro) sollte sich die Rendite auf 200 bis 300 Prozent belaufen.

Im Zoom-Meeting erzählt ein Teilnehmer, er habe seinen Job aufgegeben und nur von den Auszahlungen von Juicyfields gelebt. Das im Internet viel gepriesene passive Einkommen sprach sich über Telegram herum. Diverse YouTuber warben für Juicyfields und verdienten selbst mit bezahlten Affiliate-Links, die direkt zur dubiosen Platt­form führten.

Große Cannabis­konzerne an der Börse: Höhenrausch und Kater

Grauer Kapitalmarkt - In der Cannabis-Falle von Juicyfields

© Stiftung Warentest

Absatz­märkte unklar

Die traumhaften Margen waren ebenso erstaunlich wie die Erntemengen. Schon 2021 sollen 72 Tonnen medizi­nische Cannabisblüten einge­fahren worden sein, teilte Juicyfields mit und prognostizierte für 2022 rund 120 Tonnen. 72 Tonnen hätten 2020 einen Markt­wert von rund 158 Millionen Euro. Miss­trauisch hätten Anleger eigentlich angesichts der noch weit­gehend bestehenden Handels­beschränkungen sein sollen. Wohin diese riesigen Mengen exportiert werden sollten, schien kaum jemand zu hinterfragen. Einer der größten Märkte – Deutsch­land – importierte 2021 von allen Lieferanten gerade einmal 20,6 Tonnen. Zudem haben die Welt­markt­führer zuletzt deutlich an Börsen­wert verloren.

Aber Juicyfields generierte mit der Trend­story vom coolen Cannabis­geschäft massenhaft Follower in den sozialen Medien. Allein im deutschen Telegram-Kanal waren über 22 000 Mitglieder angemeldet, die sich minütlich austauschten. Der Kanal wurde professionell moderiert und Fragen zügig beant­wortet.

Erfolg­reich trotz Warnungen

Es gab auch einen Telegram-Kanal, der sich nur mit Fragen zur Bafin befasste; die Finanz­aufsicht warnte schon im März und untersagte der Firma im Juni das Geschäft, weil Juicyfields keinen Prospekt vorgelegt hatte und so gegen das Vermögens­anlagegesetz verstieß. Ebenso die spanische Finanz­aufsicht. Doch bei Telegram wurden solche Informationen gekonnt zerstreut: Juicyfields biete über­haupt kein Investment an, sondern nur E-Growern eine Platt­form, um sich mit regionalen Produzenten von Cannabis zu verbinden.

Die Firma war auch auf Messen welt­weit vertreten – in Barcelona, Johannis­burg, Danzig, Mexiko City oder Berlin. Über­all die Stände von Juicyfields – medial unterstützt durch Newsletter und Videos.

Die Firma erschien so anerkannt und finanz­stark, dass sie auch Haupt­sponsor der größten Wirt­schafts­messe Europas für Cannabis wurde. Vertreter von Juicyfields sollten dort Mitte Juli 2022 auftreten – bis alles kollabierte.

Schnelle Führungs­wechsel

Ursprüng­lich stand bei der Platt­form die Juicy Grow GmbH aus Berlin im Impressum, gegründet von einem Viktor Bitner. Die Firma wurde 2020 in das Handels­register einge­tragen. Als „CEO“ trat Alan Glanse auf. Doch der zog sich nicht nur urplötzlich im Früh­jahr 2022 zurück, sondern war auch nie in der Firma registriert. Seither wechseln die Zuständigen. Im Impressum als „CEO“ stand auch ein Südafrikaner mit dem Namen Willem van der Merwe. Der legte angeblich kurz nach dem Zoom-Meeting nach knapp zwei Monaten sein Amt nieder.

Neue Gesell­schaft zu Jahres­beginn

Anfang 2022 wechselte auch die Gesell­schaft, die im Impressum von juicyfields.io stand. Danach fand sich dort eine Juicy Holdings B.V. aus Amsterdam mit ihrem Direktor Robert Michael Müller. Die Firmen­adresse ist auch als Co-Working-Space bekannt. Diese Holding gehört zu 100 Prozent der JuicyFields AG in der Schweiz, die noch bis Ende 2021 Luxburg Carolath Holding AG hieß. Auch deren Vize­präsident tritt unter anderem Namen auf und nennt sich seither Jörg Wolfgang Prinz von Sachsen-Coburg und Gotha Herzog zu Sachsen. Die Familie Sachsen-Coburg kennt den Mann „nicht persönlich“, wie sie gegen­über Finanztest mitteilte. Er tauchte 2009 im Zusammen­hang zwielichtiger Finanzierungen bei der Nürburgring-Affäre auf. In deren Folge verlor der rhein­land-pfäl­zische Finanz­minister sein Amt.

Bei der Luxburg Carolath Holding AG – heute: JuicyFields AG – finden sich weitere illustre Namen. Ihr Präsident heißt Stefan Ludwig Graf von Luxburg und sein Vorgänger war Friedrich Ulrich Maximilian Johan Graf von Luxburg, Präsident einer gleichnamigen Familien­stiftung in Maracaibo, Vene­zuela.

Verwirrt waren die Anleger in der Zoom-Konferenz auch wegen der Kontakt­angaben, die am selben Tag mehr­fach im Impressum wechselten. So stand dort plötzlich eine LC Med AG aus Berlin. Diese dementierte umge­hend: „Wir stellen vorab klar, dass die LC Med AG mit der Website www.juicyfields.io und deren Betreiber/n nichts zu tun hat und keine geschäftlichen Beziehungen ... unterhält“.

Verwirrende Verbindungen

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Aufgeklebt. LCD Med auf anderem Firmenschild.

Doch es gab Beziehungen: Denn 2019 besitzt die Luxburg Carolath Holding AG (später umbe­nannt zur JuicyFields AG) sämtliche Aktien der LC Med AG. Die Firma ist mit dem Vertrieb von medizi­nischem Cannabis befasst. 2019 verwaltete die Luxburg Carolath Holding AG mehrere Investmentfonds in Liechten­stein. Einer davon – der LC Pharma Fund – kaufte 2021 sämtliche Aktien der LC Med AG.

Sonderbar ist, dass ausgerechnet dieser Fonds die LC Med-Aktien kaufte. Und schließ­lich verwundert auch der Preis: 40 Millionen Euro. Die LC Med AG besitzt Lizenzen zum Import von medizi­nischem Cannabis, aber bislang machte die Firma nur Verluste. 2020 stand ein Fehl­betrag von 1,3 Millionen Euro in der Bilanz. Die LC Med AG hat kein richtiges Schild an ihrem Firmensitz. An ihrer Adresse am Kurfürs­tendamm in Berlin klebt nur ein laminiertes Stück Papier mit ihrem Namen auf dem einge­fassten Schild einer anderen Firma. Dort steht: „Luxburg Carolath Group Tradition since 1329“.

Vertreter der Luxburg Carolath Gruppe, zu der die JuicyFields AG gehörte, weisen alle Vorwürfe, die mit einem mutmaß­lichen Anla­gebetrug der Internetplatt­form Juicyfields.io in Zusammen­hang stehen könnten, zurück.

Die Staats­anwalt­schaft Berlin bestätigte Finanztest laufende Ermitt­lungen gegen die Juicy Grow GmbH. Betroffene Anle­gerinnen und Anleger sollten Anzeige erstatten.

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