Genossenschaften

Dubiose Genossenschaften: Gutes Image miss­braucht

7
Genossenschaften - Wie Sie solide von dubiosen unterscheiden

So warb die Alters­vorsorgegen­ossenschaft AVG Potsdam um Mitglieder. © Stiftung Warentest / Ralph Kaiser

Windige Anbieter nutzen laxe Vorschriften im Genossen­schafts­gesetz aus, um Mitglieder abzu­zocken.

Das Versprechen der Alters­vorsorgegen­ossenschaft AVG in Potsdam klingt gut: Bereits seit mehreren Jahren biete sie „nach den Regeln des über 100 Jahren bewährten Genossen­schafts­gesetzes, also unter Aufsicht eines staatlich über­wachten Prüfungs­verbandes“ eine „lang­fristige Alters­vorsorge“ an. Ein Traum, der „auch mit geringem Eigen­kapital realisier­bar“ sei. Mit den einge­zahlten Geschäfts­guthaben werden „weit über­durch­schnitt­liche Renditen erarbeitet“, wirbt die AVG. Rund 20 Millionen Euro haben rund 800 Genossen bei der AVG investiert. Jetzt müssen sie um ihr Geld fürchten.

Manche fördern vor allem ihre Führungs­riege

Immer wieder miss­brauchen Genossenschaften die gute Idee, gemein­sam mit anderen wirt­schaftliche, soziale oder kulturelle Projekte zum Vorteil der Mitglieder zu fördern. Manche locken mit dubiosen Mitteln, andere fördern vor allem ihre Führungs­riege auf Kosten der Mitglieder. Diese verlieren im Extremfall ihren gesamten Einsatz.

Unser Rat

Check­liste. Dubiose Geschäftemacher nutzen immer wieder das gute Image von Genossenschaften aus. Unsere Checkliste zeigt Merkmale, die schwarze Schafe oft aufweisen. Seien Sie skeptisch, wenn das Einwerben von Kapital im Vordergrund steht. Auf der Warnliste der Stiftung Warentest (kosten­pflichtig) finden Sie Genossenschaften, über die wir kritisch berichtet haben.

Hohe Rendite sollte Skepsis auslösen

Die AVG wollte das Vermögen mit „Investitionen an der Börse“ mehren. Dafür lieh sie der Karriere AG aus Potsdam Geld in Millionenhöhe, bei der ihr Aufsichts­rats­vorsitzender James H. Klein Allein­vorstand und Aktionär ist. Die Karriere AG sollte damit Erträge durch ein Börsen­handels­system erwirt­schaften, das Kleins Stiefsohn Ingo entwickelt hat. Von den Erträgen sollte auch die AVG profitieren. Dort war Kleins Ehefrau Ilona bis zur Liquidation der AVG im August 2018 Vorstand. Inzwischen ist sie Liquidatorin.

Wider­sprach Prüfungs­verband der Bafin?

Die Bundes­anstalt für Finanz­dienst­leistungs­aufsicht (Bafin) forderte die AVG im Februar 2018 auf, allen Mitgliedern inner­halb von vier Wochen ihr Geld zurück­zuzahlen. Es sei kein zulässiger Förderzweck, wenn eine Genossenschaft nach einer festen Anla­gestrategie anlege, die ausschließ­lich darauf abziele, Gewinne auszuschütten. Die AVG wickelte aber nicht ab – und über­raschender­weise ergriff die Bafin keine weiteren Maßnahmen. Zu den Gründen schweigt die Aufsicht. Offen­bar wider­sprach der Pots­damer Prüfungs­verband der Bafin und attestierte der AVG einen zulässigen Förderzweck.

Viele Interes­senkonflikte

Dennoch schimpfte AVG-Aufsichts­rats­chef Klein auf einer außer­ordentlichen General­versamm­lung kurz vor Weih­nachten 2018 auf die Bafin. Er stellte ihr Schreiben als „Bomben­drohung“ dar. Eine Zwangs­verwaltung durch die Bafin habe nur mit der Zustimmung der Mitglieder zur Liquidation der AVG abge­wendet werden können. Auch der Prüfungs­verband habe das so gesehen. Den Mitgliedern versprach Klein, dass sie keinen Euro verlieren würden.

Unlieb­samer Vorstand rausgeworfen

Wird eine Genossenschaft liquidiert, müssen alle Vermögens­werte verwertet werden. Wenn Führungs­kräfte mit wichtigen Geschäfts­part­nern verbunden sind, kann es zu Interes­senkonflikten kommen. Bei der AVG sorgte Klein bei der außer­ordentlichen General­versamm­lung 2018 dafür, dass ein unlieb­samer Vorstand rausgeworfen wurde. Dabei behauptete er wort­reich, die Interessen der Mitglieder in den Vordergrund zu stellen.

Zwei Straf­anzeigen wegen Untreue­vorwürfen

Doch mitt­lerweile gibt es daran Zweifel. Zwei Straf­anzeigen sind bei der Staats­anwalt­schaft Potsdam einge­gangen. Staats­anwalt Markus Nolte erklärt: „Wir prüfen Untreue­vorwürfe zum Nachteil von Genossen.“ Klein führt die Ermitt­lungen auf „haltlose Verleumdungen“ des raus­geschmissenen Ex-Vorstands zurück. Eventuellen Ermitt­lungen können „wir ruhig entgegen­sehen“.

Warnung vor früherer Genossenschaft

Klein hat viel Erfahrung mit dieser Unter­nehmens­form. Er war in den 1990er Jahren Vorstand der Genossenschaft Atlantis mit etwa 80 000 Mitgliedern, vor der Finanztest 1994 warnte, unter anderem weil sie unter Kleins Regie seit 1991 Verluste einge­fahren hatte. Klein, der suspendiert wurde*, bezeichnet die damaligen Vorwürfe bis heute als „Hetz­jagd der Stiftung Warentest“. Das Führungs­team der AVG schaltet und waltet, wie es will, so scheint es. Lücken im Genossen­schafts­gesetz machen das möglich.

Kein Informations­austausch zwischen Bafin und Staats­aufsichten

Der Prüfungs­verband, dem die AVG angehört, sieht offen­bar keinen Grund einzuschreiten. Ihn über­wacht wiederum das brandenburgische Wirt­schafts­ministerium als Staats­aufsicht. Es erfuhr aber nur zufäl­lig von dem Schreiben mit den Zweifeln der Bafin. Wolfgang Weber vom Wirt­schafts­ministerium erläutert dazu: „Einen Informations­austausch zwischen Bafin und Staats­aufsichten oder auch den Registerge­richten (bei denen sich Genossenschaften eintragen lassen müssen, Anm. d. Red.) sehen weder das Genossen­schafts­gesetz noch das Kapital­anlagegesetz­buch noch das Vermögens­anlagengesetz vor.“ Weber ergänzt: „Bestätigt ein Prüfungs­verband, dass eine Genossenschaft im Berichts­zeitraum den Förderzweck erreicht hat, ist das für die Staats­aufsicht Fakt.“

Prüf­verband räumt Streitig­keiten ein

Kontroll­instanzen müssen sich nicht gegen­seitig informieren, der Prüfungs­verband entscheidet, ob eine Genossenschaft einen zulässigen Zweck verfolgt – das eröffnet ein weites Feld für windige Angebote. Im Fall der AVG räumt der Vorstand des Pots­damer Prüfungs­verbands, Wolf­ram Klüber, ein, dass ihm „Streitig­keiten und Auseinander­setzungen inner­halb des Vorstandes und der Aufsichts­organe“ der AVG bekannt geworden sind. Der Prüfungs­verband habe Aufsichts­organe und Behörden im gesetzlichen Umfang informiert. Er stünde auch in Bezug auf die Finanztest-Anfrage im Kontakt mit den Aufsichts­behörden. Klüber berief sich aber ansonsten auf seine Verschwiegen­heits­pflicht als Prüfer.

Tricksen mit einer Muster­satzung

Schon bei der Gründung einer Genossenschaft ist es möglich, Lücken im Gesetz zu nutzen. Das machten Experten auf einem Symposium des Bundes­wirt­schafts­ministeriums im Februar 2019 deutlich. Gründungs­willige müssen sich einen der gut zwei Dutzend Prüfungs­verbände aussuchen und dort eine Satzung vorlegen. Ingeborg Esser, Haupt­geschäfts­führerin des GdW Bundes­verbands deutscher Wohnungs- und Immobilien­unternehmen, hat beob­achtet, dass „windige Anbieter dazu gerne die von der GdW heraus­gegebene Muster­satzung nutzen“. Wohn­wirt­schaftliche Zwecke ziehen bei der Mitglieder­suche, nicht zuletzt wegen staatlicher Förderungen. Daher nutzen dubiose Wohnungs­genossenschaften sie häufiger.

Zwei Prüfungs­verbände urteilen groß­zügiger als andere

Da anhand der Satzung entschieden wird, ob ein zulässiger Förderzweck vorliegt, ist es leicht, die Gründungs­prüfung zu über­stehen. Auffällig: Nach den Erfahrungen der Experten des Genossen­schafts­symposiums gibt es offen­bar zwei Prüfungsverbände, die groß­zügiger urteilen als andere. Das passt zu den Erfahrungen des Markt­wächter­teams bei der Verbraucherzentrale Hessen. Zwei Drittel der Verbraucher­beschwerden über Genossenschaften gehen auf das Konto dieser zwei Verbände. Es handelt sich um den DEGP Deutsch-Europäischer Genossen­schafts- und Prüf­verband in Dessau und um den Pots­damer Prüfungs­verband aus Ludwigs­felde in Brandenburg. Bei beiden ist Wirt­schafts­prüfer Wolf­ram Klüber Vorstand.

GenoGen und Inco vom selben Verband geprüft

Auch Finanztest sind diese beiden Verbände schon aufgefallen. Die Berliner Genotrust, bei der die Bafin 2018 die Abwick­lung der unerlaubten Einlagen­geschäfte anordnete, wurde wie die betrügerische GenoGen aus Münster vom DEGP geprüft. Die Inco Genossenschaft aus Duisburg, die Finanztest laut Urteil des Ober­landes­gerichts Stutt­gart „unseriös“ nennen darf, wird ebenfalls vom DEGP geprüft. Die Inco nennt den Prüfungs­verband zwar nicht auf ihrer Internetseite geno-inco.de, brüstet sich aber mit einer im Sinne der Trans­parenz von ihr veranlassten Sonderprüfung. Über das Ergebnis der Prüfung informiert die Seite nicht. Sie betrifft vermutlich die krummen Geschäfte, die Finanztest der Inco vorwirft.

Genossenschaften auf der Warn­liste

Genossenschaften - Wie Sie solide von dubiosen unterscheiden

Dubiose Anbieter. Diese Gesell­schaften stehen auf der Warn­liste der Stiftung Warentest.

Die Inco steht wie die Wohnungs­baugenossenschaften Protectum Moderne sowie die GenoKap auf der Geldanlage-Warnliste der Stiftung Warentest. Die GenoKap heißt seit Juli 2018 DWG Deutsche Wohnungs­baugenossenschaft. Beide sitzen in Groß­wall­statt und haben laut Impressum zwei Prüfungs­verbände. Neben dem Erfurter PDG Genossenschaftlichen Prüfungs­verband ist es wiederum der Pots­damer Prüfungs­verband. Er hat die Jahres­abschlüsse bis zum aktuellsten für 2017 geprüft.

Mündliche Voll­machten am Telefon

Beide Genossenschaften ließen Verbraucher anrufen und sich von ihnen am Telefon mündliche Voll­machten zum Beitritt geben. Das ist seit einer Gesetzes­änderung 2017 nicht mehr zulässig. Danach fiel die DWG der Verbraucherzentrale Hessen erneut auf: Interes­senten wurde eine ungewöhnliche Kombination aus Postident-Verfahren und einer Beitritts­erklärung zugesandt, mit der sie Mitglied der DWG wurden. Auf Anfrage betonte die DWG, dass dieses Verfahren Interes­senten erklärt werde. Sie nutze das „gesetzlich ausdrück­lich erlaubte Telefonmarketing“, um Mitglieder zu werben.

Nied­rigere Hürden locken auch windige Anbieter an

Das 2017 verabschiedete „Gesetz zum Bürokratie­abbau und zur Förderung der Trans­parenz bei Genossenschaften“ sollte die Gründung kleinerer Genossenschaften erleichtern. Dass nied­rigere Hürden auch windige Anbieter anlo­cken würden, hatte der Gesetz­geber nicht im Blick.

AVG-Genossen fürchten um ihre Alters­vorsorge

Was die AVG-Genossen erwartet, ist offen. Klein glaubt an ein Gutachten der Wirt­schafts­prüfungs­gesell­schaft Pricewaterhouse-Coo­pers, wonach die Handels­systeme „für Investmentgesell­schaften einen Wert von 111 Millionen Euro haben könnten“. Einige AVG-Genossen glauben das nicht mehr. Sie fürchten um ihre Alters­vorsorge. Sollte die Vermarktung des Börsen­handels­systems nicht gelingen und die AVG Verluste machen, sind die Genossen als Mitunternehmer der Genossenschaft daran beteiligt.

*Geändert am 18. April 2019

7

Mehr zum Thema

7 Kommentare Diskutieren Sie mit

Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.

Kommentarliste

Nutzer­kommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.

  • KathrinPflanz am 23.02.2022 um 12:39 Uhr
    Liebe Veronika Panzer, bitte melden Sie sich

    Sehr geehrte Frau Veronika Panzer. Wir haben im System leider Ihren Namen so nicht finden können. Insofern können wir den hier getätigten Vorwurf nicht resümieren. Bitte melden Sie sich bei der GF unter den auf Ihren Schreiben abgedruckten Kontaktdaten. Laut Satzung Artikel 5 Absatz 1 ist eine Kündigung möglich und wird selbstverständlich auch bearbeitet. Wenn Sie so freundlich wären offizielle Kanäle oder Telefonnummern zu wählen können wir sicher ein eventuelles Missverständnis aufklären, respektive aber auf jeden Fall helfen. Mit freundlichen Grüßen. Kathrin Pflanz (Vertriebsleitung)

  • Denowie2009 am 11.03.2021 um 20:50 Uhr
    Agronaro-Geno

    Hallo Robinsoncrussow,
    wie sind Sie an die Geno-Anteile gekommen?
    Über einen Finanzvermittler oder direkt über die Agronaro-Geno oder sonst wie?
    Danke für Ihre Antwort.
    Freundlichen Gruß
    Denowie2009

  • veronika.panzer am 20.12.2020 um 21:01 Uhr
    agronaro (HVG druzstvo)

    @Robinsoncrussow: Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung nur raten, die Finger davon zu lassen. Einzahlungen werden schnell bearbeitet, aber sobald man kündigt und eine Auszahlung fordert, wird man plötzlich ignoriert und der Auseinandersetzungsanteil ist trotz vorher kommunizierter toller Entwicklung plötzlich angeblich 0. Ich wäre heilfroh, wenn ich irgendwann einen Bruchteil meines Investments wieder sehen würde. Daher leider ganz klar "schwarzes Schaf"

  • Brummo am 19.07.2019 um 14:59 Uhr
    Im Nachhinein warnen ist einfach, aber vergebens.

    Als ich Sie vor 3 Jahren – bevor ich mich bei der AVG beteiligt hatte – bei Ihnen nach einer Bewertung erkundigt hatte, konnten sie mir NICHTS darüber erzählen.
    Jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, brauchen Sie auch nicht mehr vor dem Hochwasser zu warnen. Eine Genossenschaft in Liquidation kann sowieso keine Mitglieder mehr aufnehmen!
    Ich hatte mir damals von Ihnen zumindest eine grobe Einschätzung der Risiken gewünscht. Leider wurde ich enttäuscht.

  • gunnar.zucker am 29.06.2019 um 12:07 Uhr
    Bilanz prüfen

    Hallo zusammen,
    ich würde vor dem Kauf von Anteilen jeden dringend empfehlen die Bilanzen der letzten Jahre der Genossenschaft zu prüfen. Die meisten Genossenschaften sind dazu verpflichtet Ihre Bilanzen auf der Internetseite https://www.bundesanzeiger.de zu publizieren.
    Darüber hinaus sollte man sich im Vorfeld auch etwas Fachliteratur zu legen in den beispielsweise die wichtigsten Finanzkennzahlen von Genossenschaften vorgestellt werden. Hier kann ich beispielsweise, dass Buch - Raus aus der Niedrigzinsfalle empfehlen:
    *

    *Link vom Moderator gelöscht