Abgas­skandal Chance auf Entschädigung

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Abgas­skandal - Chance auf Entschädigung

Ärger um die Abgase. Sie enthalten bei fast allen Autos mit Diesel­motor, die bis einschließ­lich nach Euro 6b zugelassen worden sind, viel mehr giftiges Stick­oxid als erlaubt. © Getty Images / Herbert Kehrer

Auto­hersteller haben illegal getrickst. Dafür haften sie. Neues Urteil aus Stutt­gart: Auch Mercedes hat Kunden vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt.

Neues Urteil im Muster­verfahren des Verbraucherzentrale Bundes­verband (vzbv) gegen Mercedes: Wegen etlicher Modelle mit Euro 6-Diesel­motoren hat der Hersteller seine Kunden vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt. Zumindest Mitarbeiter des Unter­nehmens trifft der Schuld­vorwurf. Dafür hafte das Unternehmen, auch wenn Vorstands­mitgliedern kein Vorsatz nach­weisbar sei. Noch bei weiteren Euro 5-Modelle von Mercedes reduziert die Motorsteuerung die Abgas­reinigung unter bestimmten Bedingungen illegal, ohne dass den Mitarbeitern des Konzerns Vorsatz nach­weisbar ist.
Ober­landes­gericht Stutt­gart, Urteil vom 28.03.2024
Aktenzeichen: 26 MK 1/24
Verbraucher­anwälte: Dr. Stoll & Sauer Litigation, Lahr
Sowohl Mercedes als auch der vzbv können beim Bundes­gerichts­hof Revision einlegen. Der Auto­konzern hat schon angekündigt: Er wird das Urteil anfechten.

Folge des Muster-Urteils, würde es rechts­kräftig werden: Wo Mercedes Kunden vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt hat, wird der Konzern die betroffenen Autos zurück­kaufen müssen. Kunden würden dann den Kauf­preis zurück­erhalten. Mercedes dürfte aber eine Entschädigung für die mit dem jeweiligen Wagen gefahrene Strecke abziehen. Bei Mittel­klasse-Modellen sinkt die Entschädigung nach Ansicht der allermeisten Gerichte nach 250 000 Kilo­metern sogar auf 0. Von Oberklasse-Modellen erwarten viele Gerichte eine Lauf­leistung von 300 000 Kilo­metern. Wegen der Euro 5-Autos, bei denen Mercedes und seinen Mitarbeitern kein Vorsatz nachgewiesen ist, muss das Unternehmen Besitzern der Autos zwischen 5 und 15 Prozent des Kauf­preises erstatten. Dieser so genannte kleine Schaden­ersatz bleibt in voller Höhe erhalten, so lange der Rest­wert des Wagens und der Wert der mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter zusammen nicht über dem Kauf­preis des Wagens liegen. Sobald Wert und Nutzungs­entschädigung und des Wagens den Schaden­ersatz über­steigen, wird er um die Differenz gekürzt. Bei als Gebraucht­wagen begehrten und damit teuren Modellen kann der Schaden­ersatz schon bei wenige mehr als 125 000 Kilo­metern Lauf­leistung auf 0 sinken.

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Nutzer­kommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 08.04.2024 um 10:27 Uhr
    Kleiner Schadensersatz

    @alle: Der kleine Schadenersatz lag in den meisten Fällen, zu denen es bisher Urteile gibt, bei 10 Prozent des Kaufpreises. Allerdings sind der Restwert des Wagens sowie der Gegenwert von Kilometern jenseits der Lebenserwartung als Vorteil anzurechnen. Bei Autos, für die gebraucht im Verhältnis zum Neupreis recht viel gezahlt wird, kann der Schadenersatz deshalb schon bei wenig mehr als 125 000 Kilometern auf 0 sinken.

  • floflo1990 am 08.04.2024 um 10:08 Uhr
    Musterfeststellungsklage gegen Mercedes

    Hier noch ergänzend der Link zur Pressemitteilung des OLG Stuttgart. Das Urteil selbst ist m.W. noch nicht veröffentlicht.
    https://oberlandesgericht-stuttgart.justiz-bw.de/pb/,Lde/Startseite/Medien/24_+Zivilsenat_+Musterfeststellungsurteil+in+dem+Musterfeststellungsverfahren+des+Bundesverbands+der+Verbraucherzentralen+und+Verbraucherverbaende+gegen+die+Mercedes-Benz+Group+AG/?LISTPAGE=8975136

  • floflo1990 am 08.04.2024 um 10:03 Uhr
    Musterfeststellungsklage gegen Mercedes

    Das OLG Stuttgart hat am 28.03.24 einer Musterfeststellungsklage des vzbv gegen Mercedes teilweise stattgegeben. Gegenstand des Verfahrens, für das sich 2.476 Verbraucher ins Klageregister eingetragen hatten, waren div. Mercedes Typen der Schadstoffklassen Euro 5 und 6. Alle Fahrzeuge enthielten unzulässige Abschalteinrichtungen unterschiedlicher Art. Hinsichtlich der Euro-6-Fahrzeuge hatte das Gericht einen mindestens bedingten Vorsatz angenommen und Schadensersatz wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung bejaht. Bei den Euro-5-Fahrzeugen wurde der Vorsatz verneint und Schadensersatz auf den sog. Differenzschaden beschränkt. Die Verbraucheranwälte sehen in dem Urteil einen klaren Sieg der Verbraucher. Ich halte es hingegen eher für einen Pyrrhussieg, da sich bis zur Rechtskraft der große Schadensersatz oft nicht mehr rechnen und als Differenzschaden meist wohl nicht mehr als 5 % anerkannt werden wird. Bei Verkauf des Fahrzeugs könnte ein Verbraucher sogar ganz leer ausgehen.

  • WittyPitty am 04.04.2024 um 17:00 Uhr
    Danke floflo1990

    Danke floflo1990 für deine Ausführungen, die ich sehr hilfreich finde. Vielleicht nur zur Klarstellung, um meine Meinung vielleicht besser zu verstehen: Sollte Haltern betroffener Fahrzeuge tatsächlich und effektiv das Betreiben des Fahrzeuges untersagt werden durch das KBA, dann sehe natürlich auch ich einen ganz realen Schaden für die betroffenen Halter. Dann stellt sich die Frage nach einem tatsächlichen Schaden und natürlich damit auch einem Schadenersatz ganz neu. Was ich hier kritisiert habe ist lediglich, dass wohl offenbar Millionen (?) von Autofahrern auf den Klagezug aufspringen, ohne tatsächlich eine persönliche Betroffenheit zu haben. Das mag, wie du richtig ausführst, rechtlich gesehen durchaus sogar zum Erfolg führen. Ich bin halt nur der Meinung, dass jemand nur Schadenersatz für etwas verlangen sollte, wodurch er auch einen tatsächlichen Schaden erlitten hat. Und dann natürlich auch nur in der Höhe des erlittenen Schadens.

  • floflo1990 am 04.04.2024 um 11:03 Uhr
    Differenzschaden (kleiner Schadensersatz)

    Noch eine Ergänzung zum Schaden. Der BGH hatte Schadensersatzansprüche nur bei vorsätzlich sittenwidriger Schädigung angenommen, die er beim sog. Thermofenster als nicht erwiesen ansah. Aufgrund neuer Rechtssprechung des EuGH musste er seine Ansicht jedoch korrigieren und sieht nunmehr auch bei bloß fahrlässiger Tatbegehung einen Schadensersatzanspruch als begründet an. Allerdings beschränkt der BGH diesen Anspruch auf den sog. Differenzschaden, für den er, da er sich nicht konkret berechnen lässt, eine Größenordnung von 5-15 % vom Kaufpreis annahm. In einem vom BGH zurückverwiesenem Verfahren gegen Mercedes hat der 15. Senat des OLG Koblenz kürzlich 5 % Schadensersatz zugebilligt und ist damit an der unteren Grenze geblieben (Az. 15 U 1383/21). Bereits letztes Jahr hat der 6. Senat des gleiches Gerichts bei einem Fiat Wohnmobil ebenfalls nur 5 % anerkannt. Das Gericht sieht offenbar wie WittyPitty den Schaden selbst schon als fraglich an, war aber an die Vorgabe des EuGH/BGH gebunden.