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Berichterstattung über Parteien Was abgestufte Chancengleichheit bedeutet

Stand: 07.07.2024 16:01 Uhr

Warum tauchen manche Parteien in der tagesschau und anderen ARD-Sendungen häufiger auf als andere? Was ist mit abgestufter Chancengleichheit gemeint? Und was sagt das Bundesverfassungsgericht zum Umgang mit extremistischen Parteien?

Parteien haben den im Grundgesetz festgeschriebenen Auftrag, "bei der politischen Willensbildung des Volkes" mitzuwirken. Solange sie nicht verboten wurde, gilt das für jede Partei. Deren hervorgehobene rechtliche Stellung ist unabhängig von ihrem Programm und auch von der Frage, ob der Verfassungsschutz sie beobachtet oder als "gesichert extremistisch" einstuft. Doch welche Regeln gelten für die Berichterstattung über Parteien?

Die Rundfunkfreiheit ist ebenfalls im Grundgesetz verankert. Laut Medienstaatsvertrag ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk "den Grundsätzen der Objektivität und Unparteilichkeit" verpflichtet und soll "eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen darstellen". Die öffentlich-rechtlichen Sender werden dadurch zum "Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung".

Grundsatz der Chancengleichheit gilt für Parteien

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass sich aus dem Grundgesetz auch der Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien ergibt. Dieses Grundrecht gilt demnach für alle Parteien, die nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten wurden. "Keinesfalls steht es den Organen des Rundfunks zu, Parteien, die zur Teilnahme an der Wahl zugelassen sind, von der Benutzung des Rundfunks auszuschließen, weil sie diese Parteien für zu unbedeutend oder gar für schädlich halten", entschieden die Richter bereits 1957.

Um seinen Auftrag erfüllen zu können, muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk somit Äußerungen von Parteien unter Berücksichtigung eines breiten Meinungsspektrums ermöglichen. Allerdings führt der Grundsatz der Chancengleichheit nicht in jeder Situation zu einer völligen Gleichbehandlung aller Parteien.

Abgestufte Chancengleichheit ermöglicht Differenzierung

Vielmehr sieht das Prinzip der abgestuften Chancengleichheit einen differenzierten Umgang mit den Parteien vor - und zwar abhängig von ihrer Bedeutung. Als wichtiges Kriterium führt hier das Bundesverfassungsgericht "das vorhergehende Wahlergebnis" einer Partei an sowie als weitere Faktoren "beispielsweise die Zeitdauer ihres Bestehens, ihre Kontinuität, ihre Mitgliederzahl, der Umfang und Ausbau ihres Organisationsnetzes, ihre Vertretung im Parlament und ihre Beteiligung an der Regierung in Bund oder Ländern". Besonders wenn es um die Berichterstattung im Vorfeld von Wahlen geht, spielen auch repräsentative Meinungsumfragen eine Rolle, weil sie ein Indiz sind für Aussichten auf den Einzug der Parteien ins Parlament sind.

Je nach ermittelter Bedeutung der Parteien sind Unterschiede in der Berichterstattung gerechtfertigt. Das Prinzip der abgestuften Chancengleichheit ist unter anderem bei der Berichterstattung von tagesschau.de im Vorfeld von Wahlen von zentraler Bedeutung. Aber auch zwischen Wahlen spielt die unterschiedliche Bedeutung von Parteien eine wichtige Rolle, wenn es etwa um Berücksichtigung dieser Parteien und ihrer Vertreter in einzelnen ARD-Sendungen oder Formaten wie dem ARD-Sommerinterview geht.

Die Sender haben als Teil der Rundfunkfreiheit im Kern eine Programmfreiheit. Redaktionell gestaltete Sendungen, die "auf einem schlüssigen und folgerichtig umgesetzten journalistischen Konzept" beruhen, stehen deshalb laut einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unter besonderem Schutz.

Urteile für und gegen Teilnahme an Sendungen

Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der damaligen tatsächlichen Kräfteverhältnisse sahen die Richter beispielsweise keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, als 2002 zur Sendung "TV-Duell der Kanzlerkandidaten" nur zwei Kandidaten eingeladen wurden, und zwar jene, die laut Sendungskonzept realistische Aussichten darauf hatten, Bundeskanzler zu werden. Der Versuch der FDP, ihrem Spitzenkandidaten mit Hilfe der Gerichte eine Teilnahme an der Sendung zu sichern, scheiterte.

Dagegen gelang es dem BSW im Juni 2024, per Gerichtsbeschluss die Teilnahme des eigenen Spitzenkandidaten an der vom WDR produzierten ARD-Sendung "Wahlarena 2024 Europa" durchzusetzen. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entschied, dass die Nichtberücksichtigung des BSW-Kandidaten durch das Sendungskonzept nicht gerechtfertigt sei, obwohl bei den einzelnen Themen "auch" Rückblicke auf die vergangene Wahlperiode vorgesehen waren. Das Format eines "Townhall Meetings" mit Bürgerfragen lasse vor allem zukunftsgerichtete Fragen erwarten. Das neu gegründete BSW stehe zudem mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen auf Basis von Umfragen nicht erkennbar in ihrer gegenwärtigen Bedeutung hinter FDP und Linke zurück, deren Vertreter eingeladen worden seien.

Gleichwohl betonte das Gericht auch hier die "grundrechtlich geschützte redaktionelle Freiheit". Diese erlaube es dem WDR, eine Wahlsendung mit einem anderem Konzept anzubieten, das beispielsweise die Begrenzung auf Teilnehmer von Parteien ermögliche, die bereits im Parlament vertreten sind.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 22. Juni 2024 um 11:45 Uhr.