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Rätselhafter Post: Erklärt Cristiano Ronaldo hier wirklich seinen Rückzug?


Rätsel um Ronaldo
Was hat ihn bloß so ruiniert?


Aktualisiert am 08.07.2024Lesedauer: 6 Min.
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Tränen lügen nicht: Portugals Superstar Cristiano Ronaldo nach seinem verschossenen Elfmeter gegen die Slowakei.Vergrößern des Bildes
Tränen lügen nicht: Portugals Superstar Cristiano Ronaldo nach seinem verschossenen Elfmeter gegen die Slowakei. (Quelle: PATRICIA DE MELO MOREIRA/Getty)

War's das für Cristiano Ronaldo? Das EM-Aus könnte der letzte Auftritt des Superstars im Nationaltrikot gewesen sein. Nun äußert er sich selbst – mit einem rätselhaften Posting.

Wie geht eine Mannschaft mit dem Ausscheiden bei einer EM um? Wie verdaut eine Fußballnation das tragische Scheitern ihres Teams im Elfmeterschießen? Fragen, die dieser Tage vielerorts in Europa gestellt werden. Nur nicht in Portugal.

Zwar sind die Portugiesen auch aus dem Kontinentalturnier geflogen, unglücklich zudem, mit einem 3:5 im Elfmeterschießen gegen Frankreich, doch die einzige Frage, die sich die Fußballfans im Land des Europameisters von 2016 seit Samstagabend stellen, ist die nach der Zukunft ihres Superstars. Wie geht es weiter mit Cristiano Ronaldo? Macht er weiter? Tritt er zurück?

Video | Superstar Cristiano Ronaldo schleicht geknickt vom Platz
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Quelle: MagentaTV

Bisweilen wirkt es ja so, als ob Ronaldo selbst sich als eine Art Heiland begreift, gekommen, um ein ganzes Land zu erlösen. Und so wandte sich der Gefeierte nach dem EM-Aus an seine Jünger: "Ich bin sicher, dass dieses Erbe auf und neben dem Spielfeld gewürdigt wird und wir darauf aufbauen werden. Gemeinsam", schrieb er nach der Viertelfinalniederlage in den sozialen Medien etwas kryptisch.

Mehr als 12 Millionen Menschen gefiel dieser Psalm. Sie legten dem Kicker ihr virtuelles Herz zu Füßen.

Pepe in vier von fünf EM-Partien dabei

Aber was meint der mehrfache Weltfußballer mit "gemeinsam"? Will Ronaldo etwa am Aufbau der kommenden Generation portugiesischer Fußballer mitwirken? Hält er eine Teilnahme an der nächsten WM (2026) oder gar EM (2028) für denkbar? "Alles dreht sich nur um Ronaldo", schrieb der britische "Guardian" jüngst. "Der portugiesische Fußball ist längst zum großen Psychodrama von Ronaldos Älterwerden geworden."

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Bei den nächsten Weltfußballspielen in Kanada, Mexiko und den USA wäre Ronaldo 41 Jahre alt. Heute kein Alter mehr, in dem man als Spitzensportler zwingend abdanken muss. Ronaldos Mitspieler Képler Laveran Lima Ferreira ist dafür der beste Beweis. Portugals Abwehr-Hüne stand im nicht mehr ganz so zarten Alter von 41 Jahren noch in vier von fünf EM-Partien auf dem Platz. Auch er ließ seinen Abschied aus dem Nationalteam offen.

Ferreira dürfte den meisten nur unter seinem Pseudonym Pepe bekannt sein. Auch Ronaldo hat einen Künstlernamen. Der klingt allerdings weniger nach dem netten Kumpel von nebenan als nach einem übermotorisierten Supersportwagen: CR7. Doch der Motor läuft nicht mehr so rund wie in früheren Tagen. Die Tormaschine stottert. Ronaldo selbst musste das nun einräumen, wenn auch nur indirekt.

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"Wir wollten mehr. Wir haben mehr verdient. Für uns. Für jeden von euch. Für Portugal", schrieb er. Sie wollten mehr, aber sie konnten nicht mehr. Und das gegen eine französische Mannschaft, die bislang auch nicht gerade überragend gespielt hat bei dieser EM. Allzu oft erschien die Partie wie das Duell zweier Goldener Generationen, deren Glanz allmählich einer unübersehbaren Mattheit weicht.

Früher, da verbreitete Ronaldo ganz allein Angst und Schrecken auf dem Feld. Wenn er nur zu einem seiner gefürchteten Freistöße antrat, zuckten die Gegner schon zusammen. Heute sieht das etwas anders aus. Erstmals bei einer Europameisterschaft gelang dem Modellathleten kein Tor.

Statt mit Treffern glänzte Ronaldo mit juvenilem Teint, was die Kollegen des Boulevards sogleich dazu veranlasste, sich ausführlich den (vermeintlichen) Schönheitsbehandlungen des 39-Jährigen zu widmen. ("Dieser Weinkrampf wirft Fragen auf ... Was ist mit seinem Gesicht passiert?"). Was mit Ronaldos fußballerischem Markenzeichen passiert ist, rückt zunehmend in den Hintergrund – offenbar ist seine Haarlinie inzwischen wichtiger als seine Freistoßtechnik. Das hat Gründe.

Portugals Ein-Mann-Kapelle

Von insgesamt 61 Freistoßversuchen bei Welt- und Europameisterschaften erzielte Ronaldo nur einen einzigen Treffer. Dabei sind Freistöße seit 2010 Chefsache im portugiesischen Team. Nur zweimal durfte seitdem ein anderer als er einen Freistoß schießen. Ungewöhnlich, denn laut Statistik kann man sich getrost ein Kaltgetränk holen gehen, wenn Ronaldo Freistöße tritt: Ein Tor wird höchstwahrscheinlich nicht fallen.

Kaum eine Zahl zeigt besser, wie sehr sich ein Team einem einzelnen Akteur unterordnen kann. Dass Ronaldo trotz bescheidener Erfolgsquote ein ganzes Standard-Genre für sich reklamiert, hat kein portugiesischer Nationaltrainer seit 14 Jahren mehr infrage gestellt. Dass er wie selbstverständlich immer den Ball bekommt, wenn der Schiri zum Freistoß pfeift, ist in Portugal eingepreist.

Niemanden stört das. Alle scheinen das Schauspiel zu genießen, wenn Ronaldo mal wieder breitbeinig wie ein Revolverheld Anlauf nimmt – und den Ball dann ins Nirgendwo drischt. Ronaldos Theatralik ist immer noch ein faszinierender Anblick, und die Leute zahlen nicht nur für Effizienz vor dem Tor, sondern auch für gute Unterhaltung. Doch die Show hat ihren Preis.

"Mit 39 ist er immer noch gut, aber nicht mehr derselbe wie früher", sagte Arsène Wenger dem französischen Radiosender RMC nun. Doch der ehemalige Coach von Arsenal London meinte auch: "Ronaldo hat die Euro für Portugal ruiniert". Ein hartes Urteil, dem man nicht folgen muss. Was Wenger wohl meint: Die Ein-Mann-Kapelle, als die das portugiesische Nationalteam seit Jahren auftritt, hat keine Zukunft. Denn was alternde Stars wie Ronaldo und Pepe tatsächlich ruinieren, sind die Erfolgschancen von Portugals Nachwuchs.

Erwachsene Männer laufen herum und schreien Ronaldos Namen

Ronaldo, seit anderthalb Jahren bei al-Nassr in Saudi-Arabien unter Vertrag, fehlt das Tempo von einst, er versprüht keine Magie mehr. Aber es traut sich offenbar niemand, es dem Nationalheiligtum zu sagen. Nationaltrainer Roberto Martinez hat Ronaldo während der EM bis zum Äußersten und darüber hinaus unterstützt. Obwohl mit Diogo Jota vom FC Liverpool oder Gonçalo Ramos von Paris St. Germain hungriger Ersatz zur Verfügung stand, weigerte er sich, den glücklosen Ronaldo gegen Frankreich vom Platz zu nehmen.

Dennoch ist der Kult um seine Person weiterhin riesig. Selbst erwachsene Männer zogen während der EM durch die Straßen von Frankfurt, Leipzig, Berlin oder Hamburg und schrien immer wieder Ronaldos "Siiiiiuuuu"-Rufe. Überall war sein Trikot mit der Nummer "7" zu sehen, die Fans trugen Masken mit dem Gesicht ihres Helden.

So weit würden sie in Portugal natürlich niemals gehen. Unglaubliche 212 Länderspiele hat Ronaldo absolviert, dabei 130 Tore erzielt, der Titelgewinn 2016 ist unvergessen. Doch es wurde auch registriert, dass Ronaldo nach dem Elfmeterschießen erst einmal nicht zum Unglücksraben Joao Félix ging, um ihn nach seinem missglückten Versuch aufzubauen. Zwar bedankt Ronaldo sich nach jedem Sieg und nach jeder Auszeichnung immer artig bei seinem Team, auf dem Platz lässt er aber keinen Zweifel daran, wen er für den bedeutendsten Mitwirkenden hält. Sich selbst.

Ronaldo dabei zusehen, "wie er wütet"

Und so wirken seine Tränen nach dem verschossenen Elfmeter gegen die Slowakei ein wenig selbstmitleidig (seine Mitspieler kamen danach übrigens sofort an und trösteten ihn). Ebenso wie die Stellungnahme nach dem EM-Aus Portugals nur auf ein Wort hinauszulaufen schien: gemeinsam. Man werde auf dem Erbe dieser EM aufbauen, so der 39-Jährige – und offenbar sieht er sich als Teil dieses Neuaufbaus.

Darin drückt sich ein seltsam übersteigertes Selbstverständnis aus, denn wer wirklich ein Erbe weitergeben will, kann sich nicht zugleich als Empfänger einsetzen. Kann Ronaldo einfach nicht loslassen? Ist es das, was er mit seinem rätselhaften Posting sagen will? Ronaldos Mitspieler Rúben Dias zeigte sich nach dem Ausscheiden sichtlich genervt vom Ronaldo-Kult. "Gibt's noch andere Fragen?", meinte er auf einen möglichen Rücktritt des Superstars angesprochen – und verschwand in den Katakomben.

"Verblassende Legenden umgibt immer eine gewisse Faszination", schreibt Jonathan Wilson im "Guardian" über das Dilemma alternder Sportstars. "Ihnen dabei zuzusehen, wie sie verzweifelt gegen das Schwinden ihrer Superkräfte ankämpfen, wie in der achselzuckenden, schmollenden Gestalt jenes letzte Gefecht verkörpert wird, das ewige Wüten des Menschen gegen die Vergänglichkeit."

Warum auch dieser aussichtslose Kampf gegen die Vergänglichkeit, das verzweifelte Hinauszögern des sportlichen Verfallsdatums seine Berechtigung hat, schreibt Wilson: "Verfall und Altersschwäche haben ihren Unterhaltungswert. Wie sich die Romantiker an den Ruinen einer alten Abtei delektieren konnten, so weiden sich andere an der taumelnden Figur Cristiano Ronaldos."

Wie es nun weitergeht? Vielleicht gemeinsam? Wann er aus dem Fußballgeschäft verschwindet? Das weiß natürlich nur einer: Ronaldo selbst.

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