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Spionagesatelliten der Bundeswehr Pleite im Weltall

Bei zwei von drei neuen Spionagesystemen sind die Antennen verklemmt: Der Bundeswehr droht eine folgenreiche Schlappe bei einem ihrer wichtigsten Satellitenprojekte. Das Ministerium sieht den Hersteller in der Pflicht.
»SARah«-Satelliten im All (künstlerische Darstellung): Kernstück für die Modernisierung der strategischen Aufklärung

»SARah«-Satelliten im All (künstlerische Darstellung): Kernstück für die Modernisierung der strategischen Aufklärung

Foto: OHB

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Die Bundeswehr muss erhebliche Probleme bei einem ihrer wichtigsten Weltraumprojekte einräumen. In einer vertraulichen Unterrichtung informierte das Ministerium von Boris Pistorius (SPD) den Bundestag, dass zwei von drei Ende vergangenen Jahres ins All geschossene Satelliten des Spionageprogramms »SARah« keine Radarbilder liefern können. Begründung: »Da sich die Antennenmasten mit der Radarsensorik nicht ausklappen lassen«.

Der Hersteller, die Bremer Firma OHB, versucht demnach schon seit gut sechs Monaten erfolglos, die Blockade zu lösen. Mehrmals führte man Resets der Steuerungssoftware durch. Zudem versuchten die Experten, durch bestimmte Flugmanöver der Satelliten Vibrationen zu erzeugen, um das Ausklappen doch noch zu ermöglichen.

Alle Notmaßnahmen aber hätten »bis heute nicht zum Erfolg geführt«, so das Ministerium.

Das Programm »SARah« gilt als Kernstück für die Modernisierung der strategischen Aufklärung der Bundeswehr. Die zwei Satelliten des neuen Spionagesystems, das aus dem All unter anderem hochauflösende Bilder von der Erdoberfläche aber auch 3D-Reliefs liefern sollte, wurden Ende 2023 von der US-Firma SpaceX ins All geschossen.

Unmittelbar nach dem Start hatte die Bundeswehr noch von einem »Meilenstein« bei der Verbesserung der Aufklärungsfähigkeiten der Truppe gesprochen. Nun ist der Frust beim Beschaffungsamt und im Ministerium groß.

Bereits am Mittwoch hatte der zuständige Abteilungsleiter im Verteidigungsausschuss hinter verschlossenen Türen berichtet, es sei wahrscheinlich, dass das System »SARah« wegen der Probleme nicht in Betrieb genommen werden kann. Zwar liefern ältere Satelliten der Bundeswehr weiterhin Spionagebilder, sie erreichen aber bald das Ende ihrer ohnehin bereits verlängerten Lebenszeit.

Das Ministerium machte klar, dass es die Verantwortung für die Probleme bei der Bremer Firma OHB sieht. »Die Satelliten befinden sich unverändert im Eigentum der Firma OHB«, heißt es in der Unterrichtung. Das Beschaffungsamt hatte vertraglich sichergestellt, dass die Satelliten erst an die Bundeswehr übergeben werden, wenn sie betriebstauglich sind.

Die Firma wurde demnach aufgefordert, bis Anfang Juli »einen aktualisierten Plan zum weiteren Vorgehen vorzulegen«. Kann OHB nicht liefern, so das Ministerium, müsse die Firma ihrer »vertraglich zugesicherten Nachbauverpflichtung« nachkommen und zwei Ersatzsatelliten herstellen.

Funktionsfähigkeit der Antennen vor dem Start offenbar nicht getestet

Für OHB ist die Pleite im Weltall ein schwerer Rückschlag. Wenn die Firma die beiden Satelliten nachbauen muss, um ihre Verträge zu erfüllen, droht ein herber finanzieller Schaden. Nach SPIEGEL-Informationen hatte OHB die Funktionsfähigkeit der Antennen vor dem Start der Satelliten nicht am Boden testen lassen. Laut Insidern ist dies ziemlich ungewöhnlich.

Bereits am Donnerstag hatte OHB auf Nachfragen des SPIEGEL eine Stellungnahme abgelehnt. Einen Tag später sah sich das Ministerium genötigt, dem Bundestag seine Position zu der Schlappe zu erläutern und mit dem Finger auf den Hersteller zu zeigen.

Bisher galt die Satellitenaufklärung der Bundeswehr stets als eine der wenigen Fähigkeiten, mit denen die Truppe auch international glänzen konnte. Die Abkürzung SAR im Namen des Systems steht für Synthetic Aperture Radar, Radar mit synthetischer Apertur.

Radarsatelliten bieten im Vergleich zu optischen Satelliten, die mit Kameras ausgerüstet sind, einen entscheidenden Vorteil: Sie senden aktiv elektromagnetische Impulse aus und können Bilder unabhängig von Wetter und Tageszeit machen.

Nach den USA und Russland war Deutschland das weltweit dritte Land, das ab Ende 2007 über ein System von Radar-Aufklärungssatelliten verfügte. Der Verbund der fünf von OHB gebauten Kleinsatelliten namens SAR-Lupe konnte Bilder mit einer Auflösung von unter einem Meter machen. Die Aufnahmen waren beispielsweise im Afghanistan-Einsatz ein strategischer Vorteil, um die Lage am Boden aus dem All aufzuklären.

Heute sind aktuelle Radaraufnahmen mit Auflösungen im Bereich von 0,5 Metern auch kommerziell erhältlich, etwa vom US-Unternehmen Capella. Die finnische Firma Iceye wiederum stellt die Aufnahmen ihrer Radarsatelliten auch der ukrainischen Armee zur Verfügung. Erst am Dienstag erklärten die Ukrainer, bei den Finnen bereits 4.173 Radarbilder bestellt zu haben. Mehr als ein Drittel der Aufnahmen seien für die konkrete Feuerplanung gegen russische Ziele genutzt worden.

Bisheriges System hat Lebenszeit längst überschritten

Deutschlands System »SAR-Lupe« ist mittlerweile ziemlich in die Jahre gekommen. Die ursprüngliche Lebenszeit von zehn Jahren ist längst abgelaufen, trotzdem hofft man nun, dass sie wenigstens noch ein paar Jahre durchhalten. Als fehleranfällig bei alternden Satelliten gelten unter anderem die Reaktionsräder für die Lageregelung. Auch der Hydrazin-Treibstoff, der zum Halten der Bahn nötig ist, geht irgendwann zur Neige. Ebenso die elektronischen Komponenten werden fehleranfälliger, je länger sie der Weltraumstrahlung ausgesetzt sind.

Das »SARah«-System aus drei Satelliten sollte »SAR-Lupe« daher ablösen und deutlich schärfere Bilder mit Auflösungen im Zentimeterbereich ermöglichen. Doch kam es zu Verzögerungen.

Ein erster, von Airbus gebauter Satellit, wurde schließlich im Sommer 2022 mit SpaceX von der Vandenberg Space Force Base in Kalifornien gestartet. Hier gibt es keine Hinweise auf Probleme.

Die zwei anderen Fluggeräte, von OHB gefertigt und im Dezember 2023 ebenfalls mit SpaceX aus Vandenberg gestartet, sind es, die der Bundeswehr nun mehr als nur Sorgen machen.

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Dass die Bundeswehr ihre Satelliten mit einem US-Unternehmen ins All bringt, ist nicht unumstritten. Europäische Raumfahrtmanager waren damals deutlich verstimmt darüber, dass die deutschen Aufklärungssatelliten mit US-Raketen und nicht mit europäischen Ariane-Raketen gestartet wurden. Umgekehrt wäre ein solches Manöver schwer vorstellbar gewesen. Die US-Regierung hätte niemals einen oder gar mehrere Spionagesatelliten zum Start ins Ausland gegeben. Selbst bei guter Bewachung besteht das Risiko, dass die Technik ausgespäht oder gar sabotiert wird.

Wenn eine Rakete in den Weltraum abhebt, entstehen starke Vibrationen. Diese können dazu führen, dass sich zum Beispiel Teile von Satelliten verklemmen können, die aus Platzgründen zum Start eingeklappt wurden. So hatte sich im vergangenen Frühjahr eine 16 Meter lange Antenne der Esa-Jupitersonde »Juice« zunächst nicht ausfahren lassen. Durch ein kontrolliertes Rüttelmanöver konnte ein Haltestift, der sich beim Start verklemmt hatte, aber doch noch erfolgreich gelöst werden .

SpaceX hat reichlich Erfahrung mit Weltraumstarts. Von weltweit 223 Raketenstarts im vergangenen Jahr führte Musks Firma allein 98 durch, auf europäische Raketen entfielen gerade einmal drei. Auch mit dem Transport von sensiblen Satelliten kennt sich das Unternehmen aus, das immer wieder Nutzlasten zum Beispiel für das US-Militär oder Geheimdienste wie das National Reconnaissance Office startet, zuletzt im Mai.

Auch einen Radarsatelliten mit ausfaltbarer Antenne, wie sie die »SARahs« haben, hat SpaceX bereits befördert: Der SAR-Satellit des südkoreanischen 425-Projekt soll dabei helfen, Nordkoreas Militäraktivitäten im Blick zu behalten.