„Mir fällt nichts ein, was besonders ist“

Ariane 6 ins All gestartet: Doch wer braucht diese Rakete überhaupt noch?

Die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 startet am europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana erstmals in den Weltraum.

Die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 startet am europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana erstmals in den Weltraum.

Zehn Jahre hat Europa auf diesen Moment gewartet: Die Ariane 6 ist am Dienstag gegen 21 Uhr deutscher Zeit erfolgreich vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana abgehoben. Es ist der erste Testflug der Trägerrakete, die in Zukunft europäische Satelliten und wissenschaftliche Instrumente ins All bringen soll.

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Mit dem Start der Ariane 6 hat ein neues Kapitel der europäischen Raumfahrt begonnen. Schon bald könnte Europa wieder einen eigenen Zugang zum Weltall haben. Dieser war mit dem letzten Flug der Ariane 5 im Juli vergangenen Jahres verloren gegangen. Die Rakete war bis dato das letzte und einzige europäische Transportmittel für Satelliten, Teleskope wie das „James Webb“ und andere wissenschaftliche Instrumente gewesen. Die Alternative, die Vega C, muss doch länger am Boden bleiben, nachdem ihr erster kommerzieller Start Ende 2022 missglückt war. Ohne die Ariane 6 bleibt nur die Option, Raketen anderer Ländern zu nutzen.

Eine Dauerlösung ist das aus Sicht der europäischen Weltraumorganisation Esa nicht: „Europa muss einen sicheren und autonomen Zugang zum Weltraum erhalten, um nicht von den Fähigkeiten und Prioritäten anderer Nationen abhängig zu sein“, verkündet die Esa im Vorfeld des Testflugs. Und diesen unabhängigen Zugang zum All soll die Ariane 6 schaffen, die Nachfolgerakete der Ariane 5.

Eine Rakete in zwei Versionen

„Mit dem Start der Ariane 6 schickt Europa nicht nur eine Rakete in den Himmel, sondern behauptet seinen Platz unter den Raumfahrtnationen der Welt“, erklärt die Esa. Die Ariane 6 ist ein Zeichen für internationale Zusammenarbeit: 13 europäische Länder waren am Bau der Rakete beteiligt – darunter etwa Frankreich (das Land hat den Mammutanteil an der Finanzierung getragen), Deutschland, Spanien, die Niederlande und Belgien.

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Entstanden ist eine Rakete, die es gleich in zwei Versionen geben soll: einmal als Ariane 62 und einmal als Ariane 64. Die Ariane 62 hat zwei Booster, die sie ins All katapultieren; die Ariane 64 hat vier Booster. Die Zwei-Booster-Version der Ariane 6 soll in Zukunft Nutzlasten von bis zu 10,3 Tonnen ins Weltall befördern, die Vier-Booster-Version sogar bis zu 21,6 Tonnen. Angetrieben werden beide Raketentypen mit flüssigem Sauerstoff und Wasserstoff.

Kann die Ariane 6 mit ihrer Vorgängerin mithalten?

Den ersten Testflug am Dienstag absolviert eine Ariane 62. An Bord sind neben Satelliten auch Experimente von Raumfahrtbehörden, Unternehmen, Forschungsinstituten und Universitäten. „Bei dieser Mission werden wir alle Überprüfungen hinsichtlich der Fähigkeit der Trägerrakete durchführen“, erklärt Michel Bonnet, Leiter des Testflugs bei der Esa. Es geht darum, die Rakete auf Herz und Nieren zu prüfen.

Die Fußstapfen, in die die Ariane 6 tritt, sind groß. Ihre Vorgängerin hat in fast 30 Jahren mehr als 100 Starts erfolgreich absolviert. Auch, wenn der Anfang holperig war: Am 4. Juni 1996 war die Ariane 5 bei ihrem Erstflug zerbrochen und die Teams am Boden hatten die Selbstzerstörung einleiten müssen. „Trotzdem war sie am Ende eine extrem zuverlässige und sehr gute Rakete“, lobt Martin Tajmar, Direktor des Instituts für Luft- und Raumfahrttechnik an der TU Dresden.

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Ariane 6 ist krisengeplagt

Eigentlich wollte die Esa an diesen Erfolg anknüpfen. Schon 2014 fiel die Entscheidung, Ariane 6 zu bauen. Sie sollte zum einen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Raumfahrt sichern, indem sie noch vor dem Aus der Ariane 5 an den Start geht, und zum anderen 40 bis 50 Prozent weniger kosten.

Doch die Bauzeit verzögerte sich, technische Probleme traten auf. Der geplante Start Ende 2020 konnte nicht eingehalten werden. Auch der angestrebte Startpreis von 70 Millionen Euro war nicht machbar. Inzwischen liegt der Preis für einen Flug nach Branchenschätzungen im Bereich von 100 Millionen Euro.

Geplant ist, dass die Ariane 6 neun- bis zwölfmal pro Jahr abhebt. Rund 30 Starts hätten institutionelle und kommerzielle Kunden schon gebucht, sagt Caroline Arnoux, Leiterin des Ariane-6-Programms bei Arianespace. 18 dieser Starts entfallen auf Amazon-Chef Jeff Bezos und sein Projekt Kuiper. Ziel des Projektes ist es, Kommunikationssatelliten ins All zu bringen, die Zugang zu globalem Breitbandinternet, insbesondere in unterversorgten Regionen, schaffen sollen.

Europäische Kunden wenden sich ab

Doch es gibt auch Kunden, die sich von der Esa und ihren Partnern abwenden – so wie der europäische Wettersatellitenbetreiber Eumetsat. Er wollte seinen neuesten Wettersatelliten eigentlich Anfang 2025 an Bord einer Ariane-6-Rakete ins All fliegen, doch vor wenigen Tagen kam plötzlich die Kehrtwende: Der Satellit wird jetzt doch mit der Falcon-9-Rakete transportiert, entwickelt von Elon Musks Firma SpaceX.

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„Diese Entscheidung wurde aufgrund außergewöhnlicher Umstände getroffen“, erklärte der Generaldirektor von Eumetsat, Phil Evans. „Sie beeinträchtigt nicht unsere übliche Politik der Unterstützung europäischer Partner.“ Und doch ist die Entscheidung aus Sicht von Ulrich Walter ein Zeichen dafür, dass die Firma der Ariane 6 nicht traut. „Wer weiß, ob die Ariane 6 Anfang 2025 wirklich flugbereit ist, während SpaceX verlässlich ist“, sagte der ehemalige Astronaut und emeritierte Professor für Raumfahrttechnik. „Das Unternehmen hat schon über 280 Flüge erfolgreich absolviert. Und bei Elon Musk kriegen sie alles viel günstiger.“

Und dann kam SpaceX ...

SpaceX hat die Raumfahrtindustrie gehörig durcheinandergewirbelt. Elon Musk einzuholen, geschweige denn zu übertrumpfen, sei „praktisch unmöglich“ geworden, meint Raumfahrtexperte Tajmar. Er selbst konnte sich die Arbeiten in der SpaceX-Zentrale in Kalifornien anschauen. Dort würden Raketen wie am Fließband produziert, sagte er. „Es ist beinahe so: Auf der einen Seite kommen die Materialien rein und auf der anderen kommt die fertige Rakete raus.“

„Sie schaut aus wie eine alte Rakete – und ist es im Prinzip auch.“

Martin Tajmar,

Direktor des Instituts für Luft- und Raumfahrttechnik an der TU Dresden, über die Ariane 6

Die Verfügbarkeit der Raketen sei stark gestiegen, so Tajmar. Allein im vergangenen Jahr waren SpaceX 96 Starts mit seiner Falcon‑9-Rakete gelungen. In diesem Jahr kam ein weiterer Erfolg hinzu: Im vierten Anlauf schaffte es Musks Riesenrakete „Starship“, ihren Testflug zu beenden. Die Rakete soll Astronautinnen und Astronauten in Zukunft direkt zum Mond bringen – und vielleicht sogar irgendwann zum Mars.

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Musks Erfolgsrezept sei laut Walter das KISS-Prinzip – heißt: Keep it simple and stupid. Also frei übersetzt: Halte es so einfach wie möglich. „Seine Raketen sind auf das Einfachste und Notwendigste reduziert, und daher extrem zuverlässig“, sagte er. Dadurch und durch die Massenproduktion seien sie zudem viel kostengünstiger als die der Konkurrenz.

Ariane 6 ist „nichts Neues“

Mit diesem Konkurrenten kann die Ariane 6 nicht mithalten. „Sie schaut aus wie eine alte Rakete – und ist es im Prinzip auch“, sagte Tajmar. Dass es die Rakete mit zwei oder vier Boostern gibt, sei „nichts Neues“, genauso wie dass die Oberstufe der Rakete mehrfach zünden kann, um die Satelliten an Bord in unterschiedliche Umlaufbahnen zu bringen. Auch dass die Rakete horizontal zusammengebaut wurde, sei in der Branche nicht außergewöhnlich. „Mir fällt nichts ein, was besonders ist oder neu sein sollte.“

Gleichzeitig sei die Logistik recht teuer – da rächt sich die internationale Zusammenarbeit in gewisser Weise. Wenn einzelne Bauteile über Ländergrenzen hinweg transportiert werden müssen, koste das Zeit und Geld. „Kommerziell und attraktiv ist das nicht“, meint Tajmar. „Das muss man ganz anders gestalten, indem man nicht mehr so große staatliche Strukturen hat, wo die Aufträge über ganz Europa verteilt werden.“

Nur Europa hat keine Rakete

„Die Europäer sind inzwischen im weltweiten Vergleich ziemlich abgeschlagen“, konstatiert auch Walter. Die chinesische Raumfahrtbehörde hat mithilfe ihrer Raketen bereits eine eigene Raumstation im All aufgebaut, Indien hat mehrere Typen von Raketen und lieferte im August vergangenen Jahres mit seiner Trägerrakete erstmals eine Sonde auf dem Mond ab und die USA treiben mit ihrer SLS-Schwerlastrakete eine neue Ära der bemannten Mondlandung voran. „Und Europa als eine der größten Wirtschaftsnationen hat zurzeit nicht einmal eine eigene funktionsfähige Rakete. Das kann doch nicht sein!“

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Eine eigene Rakete mit Zugang zum All ist für Europa allein deshalb wichtig, weil so Sicherheitsinteressen gewahrt werden können. Da die Ariane 6 noch nicht zur Verfügung stand, gelangten die „SARah“-Aufklärungssatelliten der Bundeswehr zuletzt etwa mit einer Rakete von SpaceX ins All. „So was würden die Amerikaner niemals machen. Das ist undenkbar“, sagte Walter. Schließlich bestehe dabei die Gefahr, dass Daten und Technik ausspioniert werden. Die Ariane 6 ist für die Zukunft der europäischen Raumfahrt also unabdingbar. Für Walter steht fest: „Wir brauchen einen eigenen Zugang zum Weltraum.“

Wir haben diesen Artikel am 9. Juli 2024 zuletzt aktualisiert.

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