„Die Datenlage ist eindeutig“

Wenn Kleinkinder Erdnussprodukte essen, kann das eine Allergie verhindern

Eine zeitige Gewöhnung kann vor einer Erdnussallergie schützen - und zwar langfristig.

Eine zeitige Gewöhnung kann vor einer Erdnussallergie schützen - und zwar langfristig.

London/Berlin/Bonn. Die Resultate dieser Langzeitstudie stellen frühere Empfehlungen zum Umgang mit Allergien auf den Kopf: Frühzeitiger Kontakt zu Erdnussprotein schon im ersten Lebensjahr senkt das Risiko für eine Erdnussallergie deutlich - und zwar bis mindestens ins Jugendalter.

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Kinder, die bereits sehr zeitig mit dem Lebensmittel in Kontakt kommen, haben demnach langfristig ein um mehr als 70 Prozent geringeres Risiko, diese Allergie zu entwickeln, als Kinder, die solche Produkte nicht erhalten. Das berichtet ein Forschungsteam aus Großbritannien und den USA im Fachmagazin „NEJM Evidence“.

„Die Datenlage ist eindeutig“, betont Studienleiter Gideon Lack vom King‘s College London. „Eine frühe Einführung von Erdnuss in der Kindheit führt zu einer Langzeittoleranz und schützt Kinder bis ins Jugendalter vor einer Allergie.“ Die Praxis könnte demnach jedes Jahr weltweit mehr als 100.000 Fälle von Erdnussallergien verhindern.

In Deutschland sind etwa 0,4 Prozent der Kinder im Alter bis zwei Jahre betroffen

„Diese Studie bestätigt, dass frühzeitiges und regelmäßiges Essen von Erdnussprodukten eine stabile Toleranz ermöglicht“, sagt Kirsten Beyer. In Deutschland seien etwa 0,4 Prozent der Kinder im Alter bis zwei Jahre von einer solchen Allergie betroffen, erklärt die Leiterin des Kinderallergologischen Studienzentrums der Berliner Charité - deutlich weniger als etwa in den USA, Australien oder Großbritannien, wo Erdnussprodukte wesentlich gängiger sind.

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Die Symptome können von Kribbeln und Nesselsucht über Erbrechen und Atembeschwerden bis hin zu einer lebensbedrohlichen anaphylaktischen Reaktion reichen. Die Allergie beginnt meist in den ersten drei Lebensjahren und hält in der Regel lebenslang an.

Lange empfahlen Fachleute Eltern, besonders gefährdete Kinder von dem Lebensmittel fernzuhalten. „Jahrzehntelange Ratschläge, Erdnüsse zu meiden, haben Eltern Angst davor gemacht, ihren Kindern in jungem Alter Erdnuss zu geben“, sagt Lack. Diese Meidung könnte, so sein Verdacht, sogar zur Häufung der Allergien beigetragen haben. Davon geht auch die Berliner Expertin Beyer aus.

Die Vorgängerstudie sorgte für ein Umdenken

Die nun veröffentlichte Untersuchung ist eine langfristige Fortsetzung der sogenannten LEAP-Studie (Learning Early About Peanut Allergy), deren erste Ergebnisse im Jahr 2015 publiziert wurden - und die in der Fachwelt für enormes Aufsehen und ein Umdenken sorgten. Einbezogen waren damals mehr als 640 Babys im Alter von 4 bis 11 Monaten, die eine Neurodermitis oder eine ausgeprägte Allergie gegen Hühnereiweiß hatten - und damit als besonders gefährdet galten. Kinder mit einem starken Verdacht auf eine bereits bestehende Erdnussallergie waren ausgeschlossen.

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Eine Hälfte der Kinder nahm bis zum Alter von fünf Jahren regelmäßig Erdnussprotein in Form von Mus oder Pulver zu sich - pro Woche mindestens sechs Gramm Erdnussproteine -, die andere Hälfte nicht. Ohne Kontakt zu dem Lebensmittel entwickelte mehr als jedes sechste Kind (17,3 Prozent) eine Erdnuss-Allergie, mit Kontakt waren es dagegen nur 3,2 Prozent. Das entsprach einer Risikosenkung um 81 Prozent.

Der Allergologe Anthony Fauci, damals Direktor des US-Nationalen Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten (NIAID), nannte die Größenordnung für die Verhinderung einer Erdnussallergie beispiellos: „Die Resultate haben das Potenzial, unsere Herangehensweise zur Vermeidung von Lebensmittelallergien umzukrempeln.“ Die Behörde überarbeitete ihre Empfehlungen zum Umgang mit einer Erdnussallergie. Auch in Deutschland habe man damals die Leitlinien angepasst, sagt Beyer.

„Das hat die Welt auf den Kopf gestellt“

„Das war die wichtigste Studie zu Lebensmittelallergien des letzten Jahrzehnts“, sagt Lars Lange von der allergologischen Ambulanz der GFO-Kliniken Bonn. „Das hat die Welt auf den Kopf gestellt.“

In der nun veröffentlichten Folgestudie - genannt LEAP-Trio - durften insgesamt rund 500 der ursprünglichen Teilnehmer ab dem Alter von sechs Jahren nach Belieben Erdnüsse essen - unabhängig davon, ob sie deren Inhaltsstoffe im ersten Teil der Studie gemieden hatten oder nicht. Resultat: Im Alter von 13 Jahren hatten immer noch gut 15 Prozent jener etwa 250 Kinder, die vorher Erdnüsse gemieden hatten, eine solche Allergie. In der konsumierenden Gruppe waren es nur gut 4 Prozent.

Der Schutzeffekt hatte sich also in der Zwischenzeit leicht abgeschwächt, lag aber immer noch bei 71 Prozent. Dass die Präventionswirkung etwas schwächer wurde, erklärt das Team damit, dass in der Zwischenzeit neun Kinder aus der ursprünglichen Abstinenzgruppe das Lebensmittel tolerierten. Lediglich eines jener Kinder, die bereits ursprünglich Kontakt zu Erdnussprodukten hatte, entwickelte noch nach dem Alter von 6 Jahren eine Allergie dagegen.

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Der Schutzeffekt galt übrigens unabhängig davon, ob und wie viel Erdnussprodukte die jeweiligen Kinder im Untersuchungszeitraum aßen. Das bedeutet, dass eine in der frühen Kindheit erworbene Toleranz auch dann noch anhält, wenn man später nicht dauerhaft Kontakt zu einem Lebensmittel hält.

„Dies ist eine sichere und hocheffektive Maßnahme“

„Dies ist eine sichere und hocheffektive Maßnahme, die schon ab dem Alter von vier Monaten umgesetzt werden kann“, sagt Erstautor George Du Toit, ebenfalls vom King‘s College. „Das Kleinkind muss von der Entwicklung her bereit sein für Beikost.“ Erdnuss solle etwa als weicher, pürierter Brei eingeführt werden.

Keinesfalls, so warnt der Bonner Allergologe Lange, solle man kleinen Kindern ganze Erdnüsse geben. In Australien führten die Ergebnisse der LEAP-Studie in den Folgejahren gehäuft zu Krankenhausbehandlungen von Kindern, denen Erd- und andere Nüsse in die Luftröhre geraten waren, wie Forschende aus Melbourne 2021 im „Journal of Allergy and Clinical Immunology“ berichteten.

Die Allergologin Beyer rät, gefährdete Säuglinge etwa mit Neurodermitis - wenn sie in einer Familie leben, die regelmäßig Erdnussprodukte isst - mit der Beikost kindgerechte Erdnussprodukte anzubieten. Und zwar, so betont sie, regelmäßig: „Wenn man das nur selten anbietet, dann sollte man es besser ganz lassen“, sagt sie. „Eine kontinuierliche Exposition ist wichtig.“ Eine Erdnussallergie sollte allerdings vorher ausgeschlossen werden. Das könne der Kinderarzt durch einen Bluttest auf Allergie-Antikörper gegen Erdnuss ermitteln.

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Unabhängig vom Lebensmittel empfiehlt die Expertin: „Füttern Sie Ihrem Kind das, was Sie selbst zu Hause essen - und das regelmäßig.“ Das gelte auch für Hühnerei. Eine Allergie dagegen ist in Deutschland viel verbreiteter als eine Erdnussallergie - davon sind etwa 2 Prozent der Kinder betroffen. Hier, so Beyer, sollten Kinder Ei nicht weich gekocht oder als Rührei bekommen, sondern gebacken oder durcherhitzt.

RND/dpa

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