Porträt zum DFB-Star

Toni Kroos, ein Mann, der passt

Mit Schwung durch die Gruppenphase: Toni Kroos beim EM-Spiel gegen die Schweiz in Frankfurt.

Mit Schwung durch die Gruppenphase: Toni Kroos beim EM-Spiel gegen die Schweiz in Frankfurt.

Der richtige Zeitpunkt, auf den kommt es an. Bei vielen Dingen, aber ganz besonders bei Abschieden. Lothar Matthäus hat den richtigen Zeitpunkt verpasst. Der Weltfußballer kickte und kickte – so lange, bis ihn selbst die Mitspieler nicht mehr haben wollten. Anders Philipp Lahm. Er trat aus der Nationalmannschaft zurück, nachdem er sie zum WM-Titel 2014 in Brasilien geführt hatte. Das letzte Bild von Lahm im DFB-Trikot ist das Bild eines strahlenden Siegers, sein Abschied ein Treffer. Und Toni Kroos?

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Seit Monaten dreht sich bei dem 34-Jährigen alles um die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt, mit dem Profifußball aufzuhören: Kroos’ Vereinskarriere ist vor etwas mehr als einem Monat zu Ende gegangen, mit dem 2:0-Erfolg seines Klubs Real Madrid gegen Borussia Dortmund im Finale der Champions League, dem wichtigsten Klubwettbewerb im europäischen Fußball. Die Heim-EM mit der Nationalmannschaft ist nun Kroos’ selbst bestimmter Schlussakt. Und wer weiß – vielleicht sogar ein furioser. An diesem Freitag trifft Deutschland zunächst einmal im Viertelfinale in Stuttgart auf Spanien, es ist das Duell der beiden bisher wohl besten Mannschaften des Turniers.

Wir warten auf ihn, wenn er seine Meinung ändert.

Carlo Ancelotti,

Real-Madrid-Trainer

Viele haben in den vergangenen Wochen versucht, Toni Kroos zu überreden, seine Rücktrittsankündigung zu widerrufen. „Wir warten auf ihn, wenn er seine Meinung ändert“, sagte beispielsweise Real-Madrid-Trainer Carlo Ancelotti. Doch keine Chance, Kroos bleibt konsequent. Nach der Europameisterschaft ist Schluss, Abpfiff.

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Im März war Kroos nach dreijähriger Abwesenheit in die Nationalmannschaft zurückgekehrt. Als Heilsbringer des deutschen Fußballs mit einer letzten Mission in Fußballschuhen: Er sollte für ein möglichst gutes Abschneiden der DFB-Auswahl bei der Heim-EM sorgen. Natürlich, so sagt Kroos, sei sein Ziel der Titel. Aber er weiß auch, dass er den ultimativen Triumph bei seiner Abschiedstour nicht erwarten kann, zu schlecht waren die Auftritte der Nationalmannschaft in der jüngeren Geschichte: Vorrunden-Aus bei den Weltmeisterschaften 2018 (mit Kroos) und 2022 (ohne Kroos), das Achtelfinal-Aus bei der EM im Jahr 2021 – auch mit ihm. Nach dem Turnier verabschiedete er sich zum ersten Mal aus der Nationalmannschaft.

Kroos nimmt sich selbst nicht zu ernst

Denn Kroos brauchte Distanz. Ruhe. Er ist als Typ gerade für diese schnelle, laute Branche erstaunlich gelassen, selbstreflektiert, verfügt über genügend Selbstironie, nimmt sich nicht zu ernst. Dass er seit zehn Jahren in Spanien spielt und dadurch einen gewissen Abstand zum heimischen Markt hat, hilft ihm.

Es gibt einen Kinofilm über Kroos, der ihn mit seiner Familie in ihrer Villa nahe Madrid zeigt. Die Kanninchen hoppeln auf dem Rasen, die drei Kinder planschen mit Papa im Pool – und seine Frau Jessica erzählt, dass sie schon seit Jahren nicht mehr nach Madrid reingefahren ist. Sie lacht: „Wir leben wie so ein altes Ehepaar.“ Das klingt nicht nach Langweile, eher nach Zufriedenheit. „Wir wollen gar nicht raus“, sagt Kroos etwas später. Ist er bei seiner Frau – mit der er schon seit seinem 18. Lebensjahr zusammen ist – und den Kindern, sei es ihm egal, ob er 5:0 gewonnen oder verloren hat. Der Mann ist ein Familienmensch. Und genau diese Familie soll nach dem Karriereende mehr in den Fokus rücken. Endlich mehr Freizeit, mehr Freiheit und Selbstbestimmtheit. Kein Ablaufplan in der Kabine, kein Wochenplan, nicht der immer gleiche Takt: Training, Physiotherapie, Training, Spiel, Reha. Und: Bus, Flughafen, Bus, Hotel, Bus, Stadion.

Das Leben aus dem Koffer, das kennt Kroos schon seit seiner Jugend. Früh stellten sich Erfolge ein. Kroos kommt aus einer Sportlerfamilie. Er lernte das Kicken beim Greifswalder SC unter seinem Vater Roland, der im Verein als Jugendtrainer arbeitete und früher selbst dort Fußball gespielt hatte. Seine Mutter Birgit war zwischen 1981 und 1988 zehnmal DDR-Meisterin im Badminton. Auch der ein Jahr jüngere Bruder Felix war Profifußballer. Zusammen moderieren beide den Podcast „Einfach mal luppen“. Mit der wöchentlichen Reihe haben sich die Brüder ein eigenes Medium geschaffen abseits der persönlichen Häppchen-Dienste auf Social Media. Aber nicht aus Sendungsbewusstsein, sondern – und das hört man – aus Spaß an der Aufgabe. Geschwisterfunk. Man liebt sich, man neckt sich. Nun auch vor Publikum. Der Name des Podcasts ist eine Reminiszenz der beiden an den geliebten Opa Heinz, zugleich deren härtester Kritiker. Er gab den Enkeln schon früh stets den Rat, bei einer aussichtsreichen Schussposition nicht nur draufzuknallen, sondern „einfach mal zu luppen“, den Ball über den Torhüter zu heben. Opa Kroos hat noch mehr zu sagen – oft tut er es im Podcast seiner Enkel.

Toni Kroos (links) und sein ein Jahr jüngerer Bruder Felix.

Toni Kroos (links) und sein ein Jahr jüngerer Bruder Felix.

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Felix Kroos war als Fußballer nicht so gut, nicht so erfolgreich wie der größere Bruder. Für Toni ist er dennoch stets Ratgeber und Vertrauter. In den Podcastfolgen, humorvoll, ironisch, lacht Toni Kroos oft lauthals, nicht unbedingt erwartbar bei einem eher introvertierten Menschen. Die Familie um ihn herum, das ist für den Fußballer sicheres Terrain, die eigene Hälfte – und die bedeutet ihm alles, wie er sagt. Nach seinem letzten Ligaspiel für Real Madrid konnte Kroos die Tränen bis zu jenem Zeitpunkt zurückhalten, als er seine Kinder an der Seitenlinie in die Arme schloss: „Ich war ziemlich stark, bis ich meine Kinder sah. Sie haben mich gekillt“, sagte er, als er schon wieder lachen konnte.

Und nun? Kroos hat ein besonderes Spiel vor der Brust – ausgerechnet gegen Spanien. Dem Land, das er in den vergangenen zehn Jahren bei Real Madrid lieben gelernt hat, dessen Sprache er nahezu perfekt spricht. Die Spanier könnten es sein, die ihn nun in Rente schicken, das ist Ironie des Schicksals. Doch selbst, wenn es so kommen sollte – Aus im EM-Viertelfinale, kein Abschied als Europameister – gilt Kroos schon jetzt als Gewinner. Er ist mit 34 Titeln der erfolgreichste deutsche Fußballspieler. Das kann ihm keiner nehmen.

Toni Kroos mit seinen drei Kindern bei seinem Abschied von Real Madrid am 25. Mai.

Toni Kroos mit seinen drei Kindern bei seinem Abschied von Real Madrid am 25. Mai.

Mittwochmittag, der Saal im EM-Medienzentrum ist voll, Kroos hält Audienz. Auf einer der täglichen Pressekonferenzen zu erscheinen, ist für einige Nationalspieler so erheiternd wie im Regen auf den Bus zu warten. Nico Schlotterbeck hat die Tage offen gestanden, auf dieser Bühne nur Platz zu nehmen, weil ihn die Pressesprecherin der Nationalmannschaft darum gebeten hat. Bei Kroos ist das anders. Er fühlt sich ganz offensichtlich wohl auf der Pressebühne, spricht so klar, dass er kein Mikrofon bräuchte. Er lacht, nicht aus Verlegenheit, sondern aus Freude über eine Situation.

Kroos versichert glaubhaft, dass ein noch besserer Abschied vom Vereinsfußball als der Champions-League-Sieg mit Real Madrid vor etwas mehr als einem Monat kaum denkbar gewesen wäre. Sechsmal hat Kroos den Wettbewerb insgesamt gewonnen, öfter als jeder andere deutsche Fußballer. Der letzte Akt seiner Karriere soll ebenfalls einen Pokal bringen: „Der Plan, in die Nationalmannschaft zurückzukehren, war natürlich mit dem Ziel verbunden, Europameister zu werden. Aber ich wäre auch nicht am Boden zerstört, wenn es nicht klappt.“ Das klingt tatsächlich glaubhaft. Nach einem Mann, der mit sich im Reinen ist.

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Toni Kroos gilt als bester deutsche Fußballer seiner Generation, als einer der besten Fußballer überhaupt, aber in Deutschland haben viele lange gebraucht, um das zu begreifen. Die Präzision seiner Pässe, die Übersicht, die Ruhe am Ball suchen ihresgleichen. Kroos bestimmt den Rhythmus eines Spiels, gibt seinen Mitspielern das Tempo vor. Umschalten, einen Gang hochschalten. Oder auf die Bremse treten, piano, piano, das Spiel langsamer machen, den Gegner locken. Querpässe als Mittel zum Zweck. Nicht gern gesehen vom Publikum, verpönt bei Uli Hoeneß, der auf das landläufig verwendete Schimpfwort „Querpass-Toni“ sogar noch einen drauf setzte. Nach dem Aus bei der EM 2021 sagte der langjährige Manager des FC Bayern: „Dieser Toni Kroos hat in diesem Fußball nichts mehr verloren, mit seinem Querpassspiel passt er nicht mehr in diesen Fußball. Seine Art zu spielen, ist total vorbei.“ Ansichtssache.

Selbst Hoeneß hat seine Meinung geändert

Jupp Heynckes, ehemaliger deutscher Nationalspieler und als Trainer des FC Bayern und von Bayer Leverkusen einer der größten Förderer von Kroos, sieht in dessen Spiel „nicht nur Talent und Qualität, sondern eine mentale Stärke, die Ehrgeiz und Leidenschaft sowie Ruhe und Besonnenheit beinhaltet. All das hat Toni. Ihn kann ohnehin nichts aus der Ruhe bringen. Selbst in Stresssituationen behält er auf dem Platz die Übersicht und Orientierung.“ Wofür es auch mal einen Querpass braucht.

Hoeneß hat mittlerweile seine Meinung über Kroos („Ich mag den Toni ja sehr“) etwas angepasst, und auch die abwertenden Töne über Kroos’ strategisches Spiel schwingen nur noch bei Wenigen mit. „Jeder, der das heute noch schreibt, der hat leider gar keine Ahnung vom Fußball“, sagt Bundestrainer Julian Nagelsmann. „Toni ist mit Abstand der beste Mittelfeldspieler in Europa. Und darum geht am Ende des Tages: auf einem guten Weg Richtung Tor zu kommen.“ Es ist als Huldigung zu verstehen, dass Fans in den EM-Stadien Deutschland-Trikots mit der Beflockung „Querpass-Toni“ auf dem Rücken tragen.

„Es wird Momente geben, in denen ich den Fußball vermissen werde, vor allem das Spielen, weil ich weiß, dass es nie wieder etwas geben wird, was ich so gut können werde“, sagt Kroos. Und trotzdem. Er freue sich „sehr auf diesen Abschnitt“ und meint damit: die Zeit nach der Karriere.

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Er wolle sich um die „Toni-Kroos-Akademie“ in Madrid kümmern. Außerdem gibt es da noch seine Stiftung, die seit 2015 schwer kranken Kindern und deren Familien hilft – und in der sich Jessica Kroos engagiert. Und wie viele ehemalige Fußballer folgt auch der 34-Jährige einem Trend: Er investiert in eine alternative Liga, die so genannte Icon League.

Förderer Jupp Heynckes bescheinigt Kroos einen Reifeprozess: „Toni, der zu Beginn seiner Karriere eher zurückhaltend und introvertiert war, ist heute sehr klar und geradlinig, hat seinen eigenen Kopf.“ Heynckes war vom Mittelstürmer der Extraklasse zu einem Trainer der Weltklasse geworden. Ein Weg, vorgezeichnet für Kroos? „Dass er irgendwann einmal Trainer wird – nein, das glaube ich nicht“, sagt Heynckes.

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