Es kommt nicht auf Brillanz an

Das Halbfinale der Pragmatiker: Warum Frankreich und Co. bislang nicht überzeugen

Antoine Griezmann (l.) Aurelien Tchouameni haben mit den Franzosen in der Offensive bisher nicht überzeugt.

Antoine Griezmann (l.) Aurelien Tchouameni haben mit den Franzosen in der Offensive bisher nicht überzeugt.

Die vier Mannschaften im EM-Halbfinale haben eine Gemeinsamkeit. Um diese Gemeinsamkeit zu erkennen, muss man nur den Trainern zuhören. Spaniens Übungsleiter Luis de la Fuente lobte nach dem Viertelfinale gegen Deutschland (2:1 nach Verlängerung) den Kampfgeist seiner Fußballer. Der Franzose Didier Deschamps gestand nach dem Erfolg über Portugal im Elfmeterschießen, dass seine Mannschaft mehr Tore schießen müsse. Ronald Koeman aus den Niederlanden freute sich nach dem Weiterkommen gegen die Türkei über das große Herz seiner Spieler. Und England-Trainer Gareth Southgate sagte nach dem gewonnenen Elfmeterschießen gegen die Schweiz, dass es bei Turnieren nicht immer darum gehe, gut zu spielen. Gerne hätte man ergänzt, dass es schön wäre, wenn die Engländer zumindest manchmal gut spielen würden.

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Frankreich und Spanien, die Niederlande und England haben sich ins EM-Halbfinale gekämpft, gemauert, gelangweilt, teilweise auch gezittert. Sie verbindet, dass sie bislang keine Glanzleistungen geboten haben. Für die Spanier gilt diese Feststellung natürlich nur eingeschränkt. Sie kamen dem Ideal des schönen Spiels – zumindest bis zum Viertelfinale – am nächsten. Die anderen drei Halbfinalisten allerdings irritieren das Publikum durch die Abwesenheit von fußballerischer Brillanz.

Ob die EM qualitativ schlechter ist als vergangene Großveranstaltungen, ist Ansichtssache. Doch fest steht: Es ist weder ungewöhnlich noch neu, dass sich bei Turnieren oft Mannschaften durchsetzen, deren Spiele über mäßigen Unterhaltungswert verfügen. Das liegt schon grundsätzlich an den Eigenheiten des Nationalmannschaftsfußballs. Im Verein können Trainer über Jahre in täglicher Kleinarbeit an ihren Teams tüfteln. Ein Nationaltrainer hat diese Zeit nicht. Er muss für ein Turnier eine Mannschaft zusammenstellen, die grundsätzlich funktioniert. Feintuning ist schwer möglich, Experimente eher kontraproduktiv. Das zeigte die überraschende Berufung Emre Cans in die deutsche Startelf gegen Spanien.

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Während der Vereinsfußball geprägt wird durch Ideologen mit klarem Stil (Beispiele sind Pep Guardiola, Jürgen Klopp oder Xabi Alonso), ist der Nationalmannschaftsfußball die Bühne der Pragmatiker. Exemplarisch dafür steht der französische Trainer Didier Deschamps. Defensive Stabilität ist ihm wichtiger als offensiver Zauber. Englands Trainer Southgate orientiert sich ausdrücklich an diesem Vorbild. Auch sein Kalkül ist: Wenn man keine Tore kassiert, kann man nicht ausscheiden. In beiden Fällen wird die Herangehensweise durch Ergebnisse legitimiert. Deschamps machte Frankreich 2018 zum Weltmeister. England steht bei der EM zum dritten Mal im vierten großen Turnier unter Southgate im Halbfinale.

„Der Fußball hat immer mehr Zuschauer, wird aber immer weniger attraktiv.“

Argentinischer Trainer Marcelo Bielsa

Der Sicherheitsfußball der großen Nationen hat auch mit der Erschöpfung der Protagonisten zu tun. Harry Kane zum Beispiel würde im EM-Halbfinale sein 54. Saisonspiel machen. „Der Fußball hat immer mehr Zuschauer, wird aber immer weniger attraktiv“, hat gerade der argentinische Trainer-Guru Marcelo Bielsa gesagt und damit die Überlastung der Fußballer zugunsten größerer Einnahmen kritisiert.

Bei der EM trägt auch der Modus dazu bei, dass die Mannschaften keinen Wert auf Spektakel legen. Weil in der Vorrunde der dritte Platz genügen kann, ist im Grunde nur ein Sieg zum Einzug in die K.-o.-Runde nötig. Oder gar keiner: Portugal holte bei der EM 2016 in der Gruppenphase drei Remis, gewann nur ein einziges Spiel in 90 Minuten – und reiste als Europameister ab. Beim deutschen EM-Titel 1996 lautete das Mantra: „Der Star ist die Mannschaft.“ Niemand hätte behauptet, dass die DFB-Auswahl damals spielerisch brilliert hätte. Und: Nichts hätte Kapitän Jürgen Klinsmann bei der Pokalübergabe egaler sein können.

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