Beziehungen zu China

Taiwans Wahlen im Schatten eines übermächtigen Nachbarn

Anhänger der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) demonstrieren während einer Wahlkampfveranstaltung am 11. Januar 2024 in Taipeh.

Anhänger der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) demonstrieren während einer Wahlkampfveranstaltung am 11. Januar 2024 in Taipeh.

Taipeh. Es gibt wohl wenige Unternehmer, die leidenschaftlicher gegen die Volksrepublik China poltern als Robert Tsao. Der 76-Jährige – weißes Haar, schwarze Lederjacke, runde Nickelbrille – hat in einen unscheinbaren Konferenzraum der Nationaluniversität Taiwan geladen, wo er dutzende chinesische Exiljournalisten begrüßt. Sie alle haben sich an diesem Nachmittag eingefunden, um darüber zu debattieren, wie Taiwan mit der Bedrohung durch den großen Nachbarn im Norden umgehen soll.

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„Dieses Jahr stehen weltweit viele wichtige Wahlen an, aber der Kernunterschied ist, dass es bei uns gleich zwei Parteien gibt, die nicht loyal zu ihrem Land sind, sondern von der kommunistischen Partei Chinas infiltriert wurden“, sagt Tsao, ohne allerdinge konkrete Beweise zu liefern.

Doch das hitzige China-Thema zieht sich wie ein roter Faden durch den Wahlkampf in Taiwan, wo die 23 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner am Samstag ihren neuen Präsidenten wählen. Dabei ist es längst nicht mehr so, dass sich Peking-Kritiker und Befürworter gegenüberstehen. Keine der Parteien strebt derzeit eine Wiedervereinigung mit dem Reich der Mitte an.

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Unterschiede zwischen den Parteien nur noch graduell

Die Unterschiede sind eher graduell: Während die Kuomintang (KMT) verstärkt um harmonische Wirtschaftsbeziehungen bemüht ist, möchte die amtierende Demokratische Fortschrittspartei mit ihrem Kandidaten Lai Ching-te vor allem die Verteidigung gegenüber China stärken.

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Dass Unternehmer Tsao diesen Peking-kritischen Kurs befürwortet, ist durchaus erstaunlich. Denn sein Halbleiterimperium mit dem Chiphersteller „United Microelectronics Corporation“ hat der in Shanghai geborene Taiwaner vor allem dank des riesigen chinesischen Marktes aufbauen können. Noch in den Nullerjahren hat er sich zudem ganz öffentlich für engere Geschäftsbeziehungen gegenüber dem Reich der Mitte eingesetzt.

Tsao investierte knapp 100 Millionen Euro in Taiwans Verteidigung

Längst jedoch hat bei ihm ein Sinneswandel eingesetzt: Im letzten September spendete Tsao sogar umgerechnet knapp 100 Millionen Euro für die Verteidigung Taiwans. Die Gelder gehen unter anderem an eine zivile Bürgerwehr, fließen aber auch in die Ausbildung für Scharfschützen der Armee. „Wir müssen uns als Taiwaner identifizieren, das ist die Grundlage, um unser Land zu beschützen“, sagt Tsao heute: „Und zuallererst müssen wir Chinas kognitive Kriegsführung bekämpfen“.

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Wir bringen die Leute dazu, endlich einzusehen, dass wir an einer Bedrohung sehr nah dran sind

Marco Hoi, Mitgründer der Kuma-Akademie

Wie dies konkret geht, lernen die Taiwaner in der Kuma-Akademie im Stadtzentrum Taipehs. Die NGO möchte eine zivilgesellschaftliche Verteidigungsinfrastruktur aufbauen. In ihren Workshops-Programmen gibt es Kurse über erste Hilfe oder Medienkompetenz gegen Desinformationskampagnen aus China.

Peking-kritische DPP mobilisiert kaum noch junge Menschen

„Die Leute brauchen eine Art militärisches Training. Wir können dabei nicht auf die Regierung warten, sondern die Zivilgesellschaft muss aktiv handeln“, sagt Marco Hoi, einer der Gründer der Kuma-Akademie. Dass man bereits seit über 70 Jahren unter einer konstanten Bedrohung lebe, ohne dass es jedoch jemals zum Krieg gekommen wäre, habe dazu geführt, dass die junge Generation die Gefahr nicht mehr ernstnähme. Das jedoch, sagt Hoi, sei eine Illusion: „Wir bringen die Leute dazu, endlich einzusehen, dass wir an einer Bedrohung sehr nah dran sind“.

China will vor allem den Hass gegen die USA in Taiwan verankern.

„Vergiftetes Schweinefleisch“, „Eiermangel“: Pekings perfider Infokrieg gegen Taiwan

Während Taiwan am Sonnabend einen neuen Präsidenten und das Parlament wählt, ist das kleine Land einer maßlosen Desinformationskampagne ausgesetzt: Mal geht es um angebliche Engpässe bei Eiern, mal um „vergiftetes Schweinefleisch“ aus den USA.

Doch tatsächlich finden seine warnenden Worte insbesondere bei der jungen Generation wenig Zustimmung. Als die Peking-kritische DPP am Donnerstagabend zu ihrer finalen Wahlkampfveranstaltung mobilisiert, nur einen Steinwurf vom Präsidentenpalast entfernt, erscheinen deutlich weniger Menschen als noch vor vier Jahren.

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„Mich nervt es, wenn die Politiker zu viel über China reden“

Damals war es vor allem die sich abzeichnende Niederschlagung der Demokratieproteste in Hongkong, welche die Taiwaner umtrieb. Denn ihnen wurde ein Spiegel für die eigene Zukunft vorgehalten: Wer sich auf China einlässt, der kann unmöglich seine politischen Freiheiten beibehalten. Mittlerweile jedoch interessiert das Thema vor allem westliche Medien, weniger die Lokalbevölkerung.

Die taiwanische Politikerin der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP), Hsieh Pei-fen (l), steht während einer Wahlkampfveranstaltung in Taipeh auf der Ladefläche eines Pick-up-Trucks. Die Jura-Absolventin der Harvard-Universität kandidiert in Taipeh für die Parlamentswahl am 13. Januar. Ihrer Ansicht nach sollte Taiwan, das nur von wenigen Staaten anerkannt wird, international stärker in die Politik involviert werden.

Die taiwanische Politikerin der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP), Hsieh Pei-fen (l), steht während einer Wahlkampfveranstaltung in Taipeh auf der Ladefläche eines Pick-up-Trucks. Die Jura-Absolventin der Harvard-Universität kandidiert in Taipeh für die Parlamentswahl am 13. Januar. Ihrer Ansicht nach sollte Taiwan, das nur von wenigen Staaten anerkannt wird, international stärker in die Politik involviert werden.

„Mich nervt es, wenn die Politiker zu viel über China reden. Sie spielen mit dem Thema, das ist eine Strategie“, sagt die 43-jährige Andrea Lee. Für sie selbst stehen bei den Wahlen ganz andere Sorgen im Vordergrund. „Ich kümmere mich um die Sachen, die mir im Alltag naheliegen. Mein größtes Anliegen ist die Diversität und die Rechte von LGTBQ-Personen“, sagt sie. Deswegen wähle sie nicht eine feste Partei, sondern für einen bestimmten Kandidaten – ganz egal, welcher Fraktion dieser angehöre.

„Sollen wir wirklich Xi Jinping vertrauen?“

Doch auf der Bühne zieht sich die vermeintliche Bedrohung aus China wie ein roter Faden durch die Wahlkampfreden der DPP-Politiker. „Wir müssen die pro-Peking-Abgeordneten blockieren und verhindern, dass sie eine Mehrheit erhalten“, sagt Chen Chien-jen, Premierminister des Landes.

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Sein Vorgänger Su Tseng-chang, ein begnadeter Redner mit rauchiger Stimme, versucht die Menge ebenfalls mit der China-Bedrohung anzuheizen: „Schaut euch doch nur an, was aus Hongkong geworden ist. Schaut auch auf Xinjiang, wo eine Million Leute in den Umerziehungslagern gesteckt wurden. Ist das nicht genug? Sollen wir wirklich Xi Jinping vertrauen?“ Die Menge applaudiert, doch ihr Jubel fällt verhalten aus.

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