Schicksalswahl in den USA

Wie wird man Biden los – und Trump auch? Ein Drei-Punkte-Plan

Der neue amerikanische Traum: Neustart in Washington ohne Joe Biden – und ohne Donald Trump.

Der neue amerikanische Traum: Neustart in Washington ohne Joe Biden – und ohne Donald Trump.

Wo genau ist eigentlich das Machtzentrum der USA, wenn der Präsident gerade politisch kollabiert?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Auf diese Frage gaben jetzt die 23 zur Partei Joe Bidens zählenden Gouverneurinnen und Gouverneure der US-Bundesstaaten keine akademische, sondern eine sehr hemdsärmelige Antwort. Sie setzten eine geheime Videokonferenz an, ohne Bild- und Tonaufzeichnungen, Büromitarbeiter waren nicht zugelassen. Und dann wurde Tacheles geredet: Sollen wir jetzt Bidens Präsidentschaftskandidatur nach seinem völlig missratenen Auftritt im TV-Duell gegen Donald Trump weiterlaufen lassen – oder ihm die Sache sanft aus der Hand nehmen?

Die Gouverneursrunde wollte ausdrücklich nicht mit dem Weißen Haus reden, sondern über das Weiße Haus. Das Gravitätszentrum der Nation wanderte plötzlich stundenlang weg von Washington. In der Verfassung steht davon nichts, in der Praxis aber kommt so etwas vor. Machtpolitisch sind solche Konstellationen selten und spektakulär zugleich, wie eine Sonnenfinsternis. Wer so etwas miterlebt, erinnert sich daran noch Jahrzehnte später.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Nichts drang nach draußen. Doch viel geriet in Bewegung. Die Runde traute sich, nichts Geringeres als den möglichen Anfang vom politischen Ende der Ära Biden zu skizzieren.

Es war Zeit für eine strukturierte Debatte, ohne die Hechelatmung der vergangenen Tage. Zwei emotionale Wellen hatten zuvor die Partei hin- und hergeworfen.

Die erste, gegen Biden, ließ viele Demokraten in den Hinterzimmern die Fassung verlieren: Der 81-Jährige, hieß es in spontanen Reaktionen, müsse nach seinem Versagen beim TV-Duell auf Dauer von der Bühne gejagt werden, und zwar so schnell wie möglich.

Die zweite Welle, zugunsten Bidens, appellierte dann ans Menschliche und ans Solidarische: Die Partei dürfe nicht zulassen, dass, wie es Bidens Ehefrau Jill formulierte, „diese 90 Minuten die vier Jahre seiner Präsidentschaft definieren“. Auch das fanden plötzlich viele richtig.

Aber was nun? Im Kreis der Gouverneurinnen und Gouverneure wurde offenbar nicht mehr hin und her diskutiert, sondern ein Ausweg gesucht.

Biden kann die von ihm unfreiwillig angestoßenen Debatten nicht mehr unter Kontrolle bringen. Und die Sorge, dass sich solche Debatten beim nächsten kleineren oder größeren Anlass wiederholen werden, ist berechtigt. Also lautet für die US-Demokraten in den kommenden Tagen die zentrale Frage: Wie wird man Biden los, ohne dass es unwürdig wird für ihn und für seine Partei? Außenpolitisch sensible Naturen fügen hinzu: Es soll auch nicht weltpolitisch schädlich werden für die USA.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Wer die aktuell anstehenden kommenden Dinge sortiert, kommt bei pragmatischer Betrachtungsweise zu einem Drei-Punkte-Plan. Es geht, nachdem das Ziel bestimmt ist, nur noch um das richtige Tempo und das richtige Timing.

dpatopbilder - 11.06.2024, USA, Washington: US-Präsident Joe Biden spricht bei der «Gun Sense University» des Everytown for Gun Safety Action Fund, einer Veranstaltung zum Thema Waffengewalt. Foto: Evan Vucci/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Debatte über Präsidentschaftskandidatur: Bidens Bollwerk zeigt Risse

Bei den Demokraten wächst nach dem desaströsen TV‑Duell die Unruhe über ihren Präsidentschaftskandidaten. Erste Abgeordnete fordern offen einen Verzicht des 81‑Jährigen. Nach einem Bericht der „New York Times“ sieht Biden inzwischen seine Kampagne in Gefahr.

1. Erst muss der Nato-Gipfel laufen

Die Supermacht USA bewegt sich nicht im luftleeren Raum. Die politische Führung in Washington muss darauf achten, dass aus der Krise Bidens keine Krise des Westens wird. Die zeitgleich stattfindenden ungewöhnlich großen politischen Schaukeleien in Frankreich und Großbritannien – den beiden anderen Atommächten des Westens – legen ebenso wie die prekäre Lage in der Ukraine und im Nahen Osten äußerste Sorgfalt und Zurückhaltung nahe.

Als erstes muss der Nato-Gipfel vom 9. bis 11. Juli in Washington über die Bühne gehen. Hier geht es um ein für die ganze Welt wichtiges Vitalitätszeichen des Westens. Die mittlerweile 32 Staats- und Regierungschefs der Allianz wollen auf die 75 Jahre anstoßen, in denen niemand ihr Bündnis anzugreifen wagte. Und sie wollen die beiden Neuen, zwei ehemals Neutrale, noch herzlich begrüßen, Schweden und Finnland. Dass Biden in diesem Rahmen noch einmal als Gastgeber und auch als stiller Beweger der jüngsten Fortschritte gefeiert wird, ist absolut angemessen: Der immer maßvolle, immer vermittelnde Biden hat sich um das Bündnis und dessen in der Ukraine-Krise neu gefundenen Zusammenhalt in hohem Maße verdient gemacht.

2. Erst muss Trump nominiert werden

Auch den Parteitag der Republikaner vom 15. bis 18 Juli in Milwaukee müssen die Demokraten auf jeden Fall abwarten. Sobald die Republikaner den 78-Jährigen skandalbeladenen Donald Trump offiziell auf den Schild gehoben haben, werden viele von ihnen sich fühlen wie in einer Falle. Denn die Demokraten können danach noch elegant ihren Kandidaten auswechseln – die Republikaner wären von nun an plötzlich die einzige Partei, die erklären muss, warum sie einen ebenfalls gelegentlich etwas breiförmig daherredenden Mann ins Weiße Haus entsenden will, der im Laufe seiner bevorstehenden Amtszeit ein Alter von 82 Jahren erreichen würde.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

3. Dann muss Biden verzichten

Wenn Biden im richtigen Moment verzichtet – idealerweise in einem gut bemessenen Abstand zum Parteitag der Demokraten vom 19. bis 22. August in Chicago – könnte er nicht nur seiner Partei neuen Schub geben. Er würde aus der gesamten Geschichte sogar als Held hervorgehen. Der Demokrat Harry S. Truman hat es mit seinem Verzicht auf eine Wiederwahl im Jahr 1952 vorgemacht: Man kann durchaus beides hinbekommen: die eigenen Grenzen erkennen – und Weltgeschichte schreiben.

Noch einige Wochen allerdings müssen Biden und sein Team im Weißen Haus all dies offiziell dementieren, es geht in der Politik manchmal nicht anders. Parallel dazu muss Biden eine informelle Einigung mit seinen Gouverneurinnen und Gouverneuren über alle Details des Übergangs zu einer Ersatzkandidatin oder einem Ersatzkandidaten finden.

Gretchen Whitmer, Gouverneurin von Michigan.

Gretchen Whitmer, Gouverneurin von Michigan.

Die nächsten Runden fanden und finden ja auch schon wieder unter Beteiligung des Weißen Hauses statt. Die Gouverneurinnen und Gouverneure sind eine selbstbewusste Sorte von Politikern. Haben sie schon jemanden gefunden, der zur Kandidatur bereit ist? Wenn ja, winkt allen derzeit in Düsternis gehüllten US-Demokraten noch eine positive Sommerüberraschung. Die Aufstellung eines neuen Kandidaten oder – noch besser – einer Kandidatin der Demokraten gegen Trump ist etwas, worauf die Republikaner nicht wechseln können. Allzu sehr hat sich die Maschinerie der Republikaner schon auf Biden eingeschossen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Gesucht wird jetzt kein Übermensch. Vizepräsidentin Kamala Harris hat zwar den bekanntesten Namen, bringt aber den Nachteil mit sich, schon zum Washingtoner Establishment zu gehören. Allzu lange schon ist die kluge Juristin aus Kalifornien auf dem Feindradar der Republikaner: persönlich, politisch und auch soziokulturell. Ihre Kandidatur würde zu wenig ändern an den bekannten Spaltungen und Grabenkämpfen in der amerikanischen politischen Landschaft.

Besser wäre es, wenn die Gouverneurinnen und Gouverneure in ihren eigenen Reihen nach Ersatz suchen, nach jemandem, der weiter unten startet, sich außerhalb des Rasters bewegt und am Anfang weniger bekannt ist. Amerika liebt Aufsteigergeschichten. Zugleich gibt es bei vielen Wählerinnen und Wählern den Wunsch, dass die amerikanische Politik ihre unheilvollen ideologischen Verkantungen und Blockaden überwindet. Schon eine ganz normale, mittige und pragmatische Gouverneurin wie Gretchen Whitmer aus Michigan würde daher als Präsidentschaftskandidatin Wunder wirken. Es wäre keine Notlösung, sondern ein Befreiungsschlag: für die US-Demokraten, fürs ganze Land, ein Stück weit sogar für die ganze Welt.

Mehr aus Politik

 
 
 
 
Anzeige

Spiele

Das tägliche Kreuzworträtsel

Testen Sie ihr Allgemeinwissen und finden Sie das Lösungswort des Tages.

Anzeige

Spiele entdecken