Nach Wahl in Taiwan

Peking übt sich in Strauß-Technik

Anhänger des Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Fortschrittspartei Taiwans, Lai Ching-te, und seines Vizepräsidentschaftskandidaten, Hsiao Bi-khim, während einer Wahlkampfveranstaltung in Taipeh, Taiwan, am 12. Januar 2024.

Anhänger des Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Fortschrittspartei Taiwans, Lai Ching-te, und seines Vizepräsidentschaftskandidaten, Hsiao Bi-khim, während einer Wahlkampfveranstaltung in Taipeh, Taiwan, am 12. Januar 2024.

Dass die Realität in Peking vor allem eine ideologische Kategorie ist, hat die chinesische Staatsführung an diesem Wochenende erneut offenbart. Faktisch gibt es nicht den leisesten Zweifel, dass die Präsidentschaftswahl in Taiwan eine herbe Niederlage für Xi Jinping darstellt. Nach außen hin jedoch weigert man sich schlicht, die offensichtlichen Gegebenheiten anzuerkennen.

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Wahl kann generellen Trend hin zur Wiedervereinigung nicht verändern

Vom Büro für Taiwan-Angelegenheiten in Peking hieß es am Samstagabend in einer Stellungnahme, die Wahl könne „den generellen Trend hin zu einer unausweichlichen Wiedervereinigung“ mit dem Festland nicht verändern: „Die Ergebnisse der beiden Wahlen zeigen, dass die Demokratische Fortschrittspartei nicht in der Lage ist, die vorherrschende öffentliche Meinung zu repräsentieren“. Dabei hat der Kandidat eben jener Partei einen eindeutigen Sieg eingefahren.

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Mit stolzen 40 Prozent haben die Taiwanerinnen und Taiwaner den 64-jährigen William Lai ins Amt gewählt. Damit haben sich die 23 Millionen Inselbewohnerinnen und -bewohner deutlich für eine Fortsetzung der Regierungspolitik von Vorgängerin Tsai Ing-wen ausgesprochen, die selbstbewusst gegenüber China auftritt und die Beziehungen zum Westen verstärkt. Hou Yu-ih von der China-freundlichen Kuomintang (KMT) erreichte mit rund 33 Prozent deutlich weniger Zustimmung. Und „China-freundlich“ ist dabei lediglich eine graduelle Unterscheidung: Hou fordert genau wie Lai ebenfalls eine Verstärkung von Taiwans Verteidigung, um sich gegen eine mögliche Invasion der chinesischen Volksbefreiungsarmee zu schützen.

„Ein Land, zwei Systeme“ gewinnt an Beliebtheit

Durch die Wahl rücken Pekings Versuche zu einer „friedlichen Wiedervereinigung“ nun in noch weitere Ferne. Das war allerdings nicht immer so: Pekings Versprechen an Taiwan – „ein Land, zwei Systeme“ – gewann vor gar nicht allzu langer Zeit durchaus an Beliebtheit. Denn China entwickelte sich zur aufstrebenden Weltmacht und strahlte nicht zuletzt die Verheißung einer ökonomisch prosperierenden Zukunft aus. Zudem verstand es die Volksrepublik mit ihrem riesigen Markt von 1,4 Milliarden Chinesinnen und Chinesen, Taiwans Volkswirtschaft in eine starke Abhängigkeit zu bringen.

Doch seit der repressive Autokrat Xi Jinping vor über zehn Jahren an die Macht kam, hat sich der Glanz der Volksrepublik in Abschreckung gewandelt. Ein weiteres Schlüsselmoment stellte der Sommer 2020 dar, als die kommunistische Partei die Demokratie-Bewegung in Hongkong mit einem nationalen Sicherheitsgesetz niederschlagen ließ und die Bevölkerung ihrer politischen Freiheiten beraubte. Damit wurde China für die meisten Taiwanerinnen und Taiwaner endgültig zu einem roten Tuch. Denn auch in Hongkong wurde dieselbe Autonomieerklärung „ein Land, zwei Systeme“ abgegeben – ein Versprechen, das Peking ganz offensichtlich gebrochen hat.

Kommentator glaubt nicht an Richtungswechsel in Politik

Doch Hu Xijin, einer der führenden Kommentatoren des Landes, glaubt dennoch nicht, dass Chinas Staatsführung ihre Politik ändern solle. Der ehemalige „Global Times“-Chefredakteur schreibt auf seinem Weibo-Account mit schwer zu überbietendem Zynismus: „Ist die friedliche Wiedervereinigung nur von der Bereitschaft der Menschen in Taiwan abhängig? Was denken Sie nur! Die Option von Gewalt ist die Voraussetzung für eine friedliche Wiedervereinigung“.

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Auf seinen Beitrag erhält Hu jede Menge Zustimmung. „Taiwans Wiedervereinigung rückt näher und näher!“, lautet einer der Kommentare, den die Userinnen und User lemmingartig wiederholen. Ein weiteres Posting lässt ebenfalls tief in die Parallelwelt des chinesischen Internets blicken: „Ich hoffe, die Menschen in Taiwan werden so bald wie möglich dasselbe glückliche Leben führen wie die Menschen im Festland“. Frei nach dem Motto, man müsse die Leute zu ihrem Glück zwingen.

Inoffizielle US-Delegation als Provokation

Dass weit über 95 Prozent aller Taiwanerinnen und Taiwaner überhaupt keine Wiedervereinigung mit der Volksrepublik unter Xi Jinping wollen, spielt im chinesischen Diskurs überhaupt keine Rolle. Sämtliche Konflikte werden fast ausschließlich durch die antiamerikanische Brille gesehen: Die Hongkonger Demokratiebewegung wurde laut den chinesischen Medien von der CIA unterwandert, der Ukraine-Krieg von den Vereinigten Staaten provoziert, und auch die taiwanische Bevölkerung würde natürlich nur unter der Knute Washingtons stehen.

Dementsprechend wertet Peking es als besondere Provokation, dass kurz nach William Lais Wahlsieg Sonntagabend eine inoffizielle US-Delegation in Taipeh erwartet wird. Dabei handelt es sich um ehemalige Regierungsbeamte, etwa den früheren Nationalen Sicherheitsberater Stephen Hadley und den ehemaligen Vize-Außenminister James Steinberg.

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Experte: Wahrscheinlichkeit einer Invasion derzeit sehr niedrig

Dass der Konflikt rund um die Taiwan-Straße allerdings in den nächsten Tagen eskalieren wird, glauben nur die wenigsten in Taipeh. Professor Chen Ming-Chih sieht derzeit jedenfalls keine unmittelbare Gefahr. „Wir wissen, dass Xi Jinping mit allen möglichen innenpolitischen Problemen konfrontiert ist. Deshalb glaube ich, dass die Wahrscheinlichkeit einer Invasion derzeit sehr niedrig ist. Zudem sehen wir auch keine Warnzeichen einer logistischen Vorbereitung“, sagt der Experte von der Tsing-Hua-Nationaluniversität in Taipeh.

Sehr wohl jedoch werde Xi dem neuen Präsidenten Taiwans das Regieren schwer machen – indem er wirtschaftliche Sanktionen gegen den Inselstaat erlässt, ihn international weiter isoliert und nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche innenpolitisch zu spalten versucht.

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