Buhlen um neue Abgeordnete

Nach der Europawahl: Wie stellen sich die Rechten neu auf?

Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni in einem TV-Interview.

Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni in einem TV-Interview.

Brüssel. Enttäuschung, Spannung und Unsicherheit lag in der Luft des Brüsseler EU-Parlaments. Das geschäftige Treiben auf den Fluren und im Plenarsaal hat am Tag nach dem Rechtsruck bei der Europawahl nicht nachgelassen. Im Licht der Ergebnisse haben die Fraktionen bereits erste Abgeordnete aufgenommen, die neu ins Parlament gewählt wurden. Beispielsweise gehört nun auch ein Niederländer der Nieuw Sociaal Contract zur konservativen EVP-Familie, der auch CDU/CSU angehören.

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Nach dem Rechtsruck bei der Europawahl laufen die Verhandlungen mit neuen Abgeordneten auf Hochtouren. Etwa 100 der 720 gewählten Politikerinnen und Politiker gehörten am Wahlabend noch keiner Fraktion an, etwa die Hälfte von ihnen wird sich laut Schätzungen aber einer Gruppe anschließen. Zudem wird erwartet, dass sich die rechten Fraktionen angesichts veränderter Kräfteverhältnisse neu aufstellen. Die AfD-Abgeordneten könnten in die Rechtsaußenfraktion Identität und Demokratie (ID) zurückkehren, nachdem sie dort vor wenigen Wochen rausgeflogen waren. Ob auch Spitzenkandidat Maximilian Krah Teil der ID wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Seine SS-Äußerungen in einem Interview waren Anlass für den Rauswurf gewesen. Er wird nach einem Beschluss der anderen AfD-Abgeordneten am Montag nicht einmal mehr Teil der gemeinsamen Europadelegation sein. Der Sprecher der ID-Fraktion wollte sich auf Nachfrage des RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) nicht zur Aufnahme neuer Abgeordneter äußern.

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In der ID-Fraktion gibt der Rassemblement National von Rechtspopulistin Marine Le Pen den Ton an. Die rechten Franzosen sind zugleich die stärkste Delegation aus einem Mitgliedsland und wollen ihren Einfluss weiter ausbauen. Le Pen hatte bereits die Hand nach Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni ausgestreckt, die die rechts-nationalistische EKR-Fraktion anführt. „Die größte Gefahr wäre eine Verschmelzung von EKR und ID, die dann auf rund 130 Sitze kommt“, sagte René Repasi, Vorsitzender der Europa-SPD, dem RND. „Schließen sich AfD und Orban dem Bündnis auch noch an, sind sie zweitstärkste Kraft.“

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Derzeit ist die EVP die stärkste Fraktion, gefolgt von den Sozialdemokraten und der liberalen Renew. Sie könnten auch erneut eine informelle Koalition bilden. Der Politikwissenschaftler Manès Weisskircher von der TU Dresden glaubt aber, dass es zumindest vereinzelt zu Kooperationen oder indirektem Einfluss der erstarkten Rechtsaußen-Parteien kommen kann. Er verwies auf die Klima- und Umweltpolitik, bei der EKR-Abgeordnete zuletzt schon Druck auf die EVP ausgeübt hätten. „Das könnte weiterhin der Fall sein“, sagte er dem RND.

Dass sich ID und EKR zusammenschließen, gilt jedoch wegen vieler inhaltlicher Differenzen als unwahrscheinlich. „Frau Meloni will zudem im Rat anerkannt sein und will daher nicht allzu viel mit der ID zu tun haben“, sagt auch Repasi. Er hält eher eine dritte rechte Fraktion für möglich, die dann von der AfD angeführt würde – die „Hooligan-Fraktion“. Dieser, von einigen als „Resterampe“ bezeichneten Fraktion könnten dann diejenigen beitreten, die sonst niemand haben möchte. Dadurch würden sie mehr Gelder, mehr Personal und mehr Redezeit im Parlament bekommen.

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Unter den rechten Abgeordneten ohne Fraktion sind auch zehn aus Viktor Orbans Partei Fidezs. Ob Meloni sie aufnimmt, steht noch nicht fest. Die Fraktion will sich noch alle Optionen offenhalten, hieß es am Montag. Polens rechtspopulistische PiS hatte zwar Sitze verloren, doch die noch rechtsextremere Konfederacja dafür umso mehr gewonnen. „Während die PiS europaskeptisch ist, ist die Konfederacja antieuropäisch, prorussisch und antiisraelisch“, sagt David Gregosz, der das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Polen leitet. Es geht um sechs polnische Abgeordnete, die sich einer ultrarechten Fraktion wie der ID anschließen könnten.

Wie viele Abgeordnete eine Fraktion hinter sich versammeln kann, wird in wenigen Wochen auch über die Wiederwahl von Ursula von der Leyen entscheiden. Eine zweite Amtszeit könnte die EVP nur mit den Liberalen und Sozialdemokraten durchsetzen. Da bei früheren Wahlen aber 10 bis 15 Prozent der Abgeordneten anders abgestimmt als von der Fraktionsspitze empfohlen wurde, braucht von der Leyen einen größeren Puffer. Dies könnten Melonis Fratelli-Abgeordneten oder die Grünen sein. Geht es nach Rasmus Andresen, Leiter der deutschen Grünen im Parlament, sollen die Fratelli keinen Einfluss im nächsten Parlament bekommen. „Worst-Case-Szenario wäre, wenn Meloni und die EKR-Fraktion Teil von Mehrheiten werden“, sagte er dem RND. Die demokratischen proeuropäischen Parteien müssten deshalb stärker zusammenarbeiten. „Der Ball liegt bei Ursula von der Leyen.“

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Die EVP-Politikerin muss aber zunächst im Europäischen Rat die Mehrheit der Staats- und Regierungschefs von sich überzeugen, erst dann das Parlament. Ob Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch einmal von der Leyen unterstützt? Das vermag nach seinem Ausrufen von Neuwahlen niemand abzuschätzen. In Brüssel gibt es Überlegungen, dass er sich mit einer Entscheidung Zeit lassen könnte, um den Wahlkampf in Frankreich nicht zu gefährden. Am Tag nach der Wahl gibt es noch mehr offene Fragen als zuvor.

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